Gille: Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2001
Gille: Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2001
Gille: Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2001
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
1038<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Rechtsprechung</strong><br />
neue strategische Konzept 1999 sei gegenüber dem aus dem Jahre 1991, <strong>in</strong> dem<br />
noch Absichtserklärungen<br />
dom<strong>in</strong>iert hätten, gerade <strong>in</strong> den hier <strong>in</strong>teressierenden<br />
Teilen wesentlich verdichtet. Insbesondere die maßgeblichen Aussagen zu den<br />
nicht unter Art. 5 NATO-Vertrag fallenden Aufgaben würden nicht mehr nur als<br />
Teil der sicherheitspolitischen Analyse, sondern auch als Teil des Sicherheitsansat-<br />
des Krisenreaktionse<strong>in</strong>satzes sei tatbe-<br />
zes des Bündnisses behandelt. Der Begriff<br />
standlich ausgeformt <strong>in</strong> Teil III Nr. 31 ff. des Wash<strong>in</strong>gtoner Beschlusses13: Wenn<br />
sich e<strong>in</strong> Konflikt krisenhaft so zugespitzt habe, daß präventives Vorgehen nicht<br />
mehr erfolgversprechend ersche<strong>in</strong>e, könne der Rat gegebenenfalls <strong>in</strong> Kooperation<br />
mit den befaßten <strong>in</strong>ternationalen Organisationen tätig werden und hierfür auf e<strong>in</strong>e<br />
Reihe von Handlungs<strong>in</strong>strumenten zurückgreifen, welche die nicht unter Art. 5<br />
NATO-Vertrag fallenden Krisenreaktionse<strong>in</strong>sätze militärischer Natur e<strong>in</strong>schlössen.<br />
Der E<strong>in</strong>satz habe <strong>in</strong> Übere<strong>in</strong>stimmung mit dem jeweils anwendbaren Völkerrecht<br />
zu erfolgen. Hierdurch würden die seit 1994 entwickelten Verfahren verallge-<br />
me<strong>in</strong>ert. Der Bestimmung der Kernfunktion des Bündnisses schließe sich nicht,<br />
wie noch im Konzept 1991, e<strong>in</strong>e Klausel an, wonach die Mitgliedstaaten mit der<br />
Formulierung dieser Kernfunktion bestätigten, "daß der Wirkungsbereich des<br />
Bündnisses, wie auch ihre Rechte und Pflichten aus dem NATO-Vertrag unverän-<br />
dert bleiben". Aus alledem könne jedoch nicht geschlossen werden, daß e<strong>in</strong>e objektive<br />
Änderung des NATO-Vertrags vorliege. Die getroffenen Inhaltsbestimmungen<br />
ließen sich noch als Fortentwicklung und Konkretisierung der offen formulierten<br />
Bestimmungen des NATO-Vertrags<br />
verstehen. Der Nordatlantikrat erkläre aus-<br />
drücklich, daß Zweck und Wesen des Bündnisses unverändert blieben. Die Dichte<br />
der vertraglichen Verpflichtungen sei im Bereich der Krisenreaktion ger<strong>in</strong>ger aus-<br />
geprägt. Die Mitgliedstaaten<br />
koord<strong>in</strong>ierten ihre Maßnahmen "von Fall zu Fall"<br />
aufgrund von Konsultationen nach Art. 4 NATO-Vertrag. E<strong>in</strong>e Pflicht zur kolle-ktiven<br />
Reaktion sei im Gegensatz zur kollektiven Verteidigung gemäß Art. 5<br />
NATO-Vertrag nicht vorgesehen. Der Primat der Politik sowie der Mechanismus<br />
konsensualer Willensbildung im Nordatlantikrat über die Feststellung der Voraus-,<br />
setzungen, die Festsetzung und den Vollzug e<strong>in</strong>er Maßnahme würden auch und gerade<br />
für diese neue Funktion der NATO gelten. Die Mitgliedstaaten handelten dabei<br />
auf der Grundlage des jeweiligen mitgliedstaatlichen Verfassungsrechts. Dem<br />
entspreche es, daß die Bundesregierung e<strong>in</strong>er Beteiligung Deutschlands an Krisenreaktionse<strong>in</strong>sätzen<br />
im Rat unter dem Vorbehalt vorheriger konstitutiver Zustimmung<br />
des Bundestages zustimme.<br />
Das Bündnis habe bereits mehrfach auf gravierende Änderungen der politischen<br />
Situation reagiert, ohne den Vertrag förmlich zu ändern. Der NATO-Vertrag sei<br />
<strong>in</strong>soweit entwicklungsoffen. E<strong>in</strong>e solche Elastizität im H<strong>in</strong>blick auf die Fortentwicklung<br />
des dem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zugrundeliegenden<br />
Vertrags sei auch erforderlich, um das Bündnis se<strong>in</strong>en Zielen entsprechend leistungs-<br />
und anpassungsfähig zu halten. Die Auslegung des Art. 59 Abs. 2 Satz 1<br />
13 Siehe Anm. 9.<br />
http://www.zaoerv.de<br />
© 2002, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht