Gille: Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2001
Gille: Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2001
Gille: Deutsche Rechtsprechung in völkerrechtlichen Fragen 2001
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
1076 <strong>Deutsche</strong> <strong>Rechtsprechung</strong><br />
Schutzbereich des § 51 AusIG e<strong>in</strong>bezogenen. Personenkreises der Flüchtl<strong>in</strong>ge und<br />
Verfolgten i.S.v. Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 Nr. 1 GFK zu gelten.<br />
Die erleichterten An-<br />
forderungen an die Qualifizierung von Verfolgungsmaßnahmen durch Bürgerkriegsparteien<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em noch andauernden Bürgerkrieg als quasi-staatliche, politi-<br />
<strong>in</strong> entsprechender Anwendung der Grund-<br />
sche Verfolgung seien daher auf die -<br />
- sätze aus Art. 31 VTVK87 - gewonnene Auslegung des Flüchtl<strong>in</strong>gsbegriffs <strong>in</strong> Art. 1<br />
A Nr. 2 GFK zu übertragen. Die Frage, ob <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bürgerkriegssituation nach<br />
dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von e<strong>in</strong>er Bürgerkriegspartei politische<br />
Verfolgung ausgehen könne, sei folglich danach zu beurteilen, ob diese zum<strong>in</strong>dest<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Kernterritorium e<strong>in</strong> Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität -<br />
- übergreifenden Friedensordnung tatsächlich errichtet habe.118<br />
- 36. Mit Urteil vom 23.8.<strong>2001</strong> (34 X 66/01 NVwZ<br />
i.S. e<strong>in</strong>er<br />
Beilage 13/<strong>2001</strong>, 41) bekräf-<br />
tigte das VG Berl<strong>in</strong>, daß Tötungen von Frauen <strong>in</strong> Jordanien aus Gründen der "Familienehre"<br />
asylrechtliche politische (geschlechtsspezifische) Verfolgung i.S.d. 5 51<br />
Abs. 1 AusIG darstellen und daß die Gefahr, Opfer e<strong>in</strong>es Mordes aus Gründen der<br />
"Familienehre" zu werden, zugleich e<strong>in</strong> Abschiebungsh<strong>in</strong>dernis nach § 53 Abs. 4<br />
AusIG i.Vm. Art. 3 EMRK begründet. Daß es sich bei Tötungen<br />
aus Gründen der<br />
"Familienehre" um politische Verfolgung handele, ergebe sich zum e<strong>in</strong>en aus dem<br />
Gesichtspunkt der Gerichtetheit, denn die rechtsverletzende Maßnahme treffe die<br />
Person gerade <strong>in</strong> Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale. Zum anderen ergebe<br />
sich dies aus dem Moment der politisch motivierten Ausgrenzung. Der Übergriff<br />
zum weiblichen<br />
knüpfe erkennbar an das unverfügbare Merkmal "Zugehörigkeit<br />
Geschlecht" an, zu dessen Merkmal Geschlecht" auch das Merkmal der selbstbe-<br />
stimmten sexuellen. Identität gehöre. Nach der jordanischen Rechtspraxis könne<br />
sich nur der Mann frei im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er selbstbestimmten sexuellen Identität im gesellschaftlichen<br />
Umfeld bewegen. Exklusiv nur zugunsten des Mannes griffen nach<br />
dem jordanischen Strafgesetzbuch Privilegierungstatbestände <strong>in</strong> Fällen der Tötung<br />
aus Gründen der Familienehre" oder bei Affekttaten. Diese Rechtspraxis sei zugleich<br />
Ausdruck für den gesellschaftlich getragenen Konsens, daß (nur) Frauen für<br />
e<strong>in</strong> von der traditionellen Rollenvorstellung abweichendes sexuelles Verhalten mit<br />
dem Tod zu bestrafen seien. Die Anknüpfung an das unverfügbare Merkmal "Ge-<br />
schlecht" <strong>in</strong>diziere dabei das Moment der politisch motivierten Ausgrenzung. Als<br />
"politisch" i.S.d. Art. 116 a GG, § 51 Abs. 1 AusIG sei e<strong>in</strong>e Maßnahme dann anzusehen,<br />
wenn sie im Zusammenhang mit Ause<strong>in</strong>andersetzungen um die Gestaltung<br />
der allgeme<strong>in</strong>en Ordnung des Zusammenlebens von Menschen und Menschengruppen<br />
stehe. Vorliegend gehe es um die gesellschaftliche Stellung und Rolle der<br />
Frau. Entscheidend sei, daß e<strong>in</strong> nachweisliches oder unterstelltes Sexualverhalten,<br />
das gegen die herrschende Sittenordnung verstoße, objektiv als Opposition gegen<br />
die politisch gesellschaftliche Grundordnung verstanden werde. Grundsätzlich sei<br />
politische Verfolgung staatliche Verfolgung. Jedoch könnten auch Verfolgungsmaßnahmen<br />
Dritter e<strong>in</strong>en asyl- bzw. abschiebungsrechtlichen Schutzanspruch begrün-<br />
87 Wiener Übere<strong>in</strong>kommen über das Recht der, Verträge (Anm. 11).<br />
88 Vgl. im e<strong>in</strong>zelnen das gleichzeitig ergangene Urteil BVerwGE 114, 16 oben [34].<br />
http://www.zaoerv.de<br />
© 2002, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht