August/September 2003 - Der Fels
August/September 2003 - Der Fels
August/September 2003 - Der Fels
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Die feierlichen Versicherungen<br />
der Politiker aller Parteien zum<br />
„Schutz der Familie“ dürften als<br />
ziemlich fadenscheinig empfunden<br />
werden. Denn wer außer dem Bundesverfassungsgericht<br />
und den Kirchen<br />
hat den Mut gehabt, jene Ungerechtigkeit<br />
aufzugreifen, die<br />
schon im Steuer- und Sozialrecht<br />
den kinderreichen Familien zuteil<br />
wurde? Die staatliche Familienförderung<br />
soll nun in der ein oder<br />
Weil die Familie für das Leben<br />
und das Wohlergehen<br />
der Gesellschaft so bedeutend<br />
ist, hat diese eine besondere<br />
Verpflichtung, Ehe und<br />
Familie zu unterstützen und zu<br />
stärken. Die Staatsgewalt hat<br />
es als ihre besondere Pflicht<br />
anzusehen, „die wahre Eigenart<br />
von Ehe und Familie anzuerkennen,<br />
zu hüten und zu fördern,<br />
die öffentlichen Sittlichkeit<br />
zu schützen und den häuslichen<br />
Wohlstand zu begünstigen.“<br />
Katechismus der kath. Kirche<br />
Ziffer 2210<br />
anderen Weise verbessert werden.<br />
<strong>Der</strong> Staat tut sich dabei schwer, die<br />
Privilegierung der Kinderlosen zu<br />
beenden, denn sie bilden inzwischen<br />
ein beachtliches Wählerpotential<br />
und sind dabei, zur Mehrheit<br />
zu werden. Da kann die Familie<br />
in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft,<br />
für die Vermittlung elementarer<br />
Werte noch so sehr gelobt<br />
und als unverzichtbar gepriesen<br />
werden. Sie bringt einfach nicht<br />
mehr Wählerstimmen und Protestmarschierer<br />
auf die Beine. Und Minderheiten<br />
haben es in einer<br />
Mehrheitsdemokratie nicht immer<br />
leicht. Interessant ist hier der Vorschlag,<br />
man möge doch zur politischen<br />
Aufwertung der Familien<br />
dafür sorgen, dass auch die Kinder<br />
ein Wahlrecht bekämen, das die Eltern<br />
wahrnehmen könnten.<br />
Es gibt da freilich noch die Möglichkeit<br />
der gesellschaftlichen<br />
Machtentfaltung über die Interessenverbände<br />
oder die Bürgerbewegungen.<br />
Die für jede Art von<br />
Interessenvertretung „offene Gesell-<br />
schaft“ hätte nichts dagegen, wenn<br />
sich die Familien zu machtvollen<br />
pressure groups formieren würden.<br />
Aber auch hier erweist sich die Gesellschaftsordnung<br />
nicht gerade als<br />
familienfreundlich.<br />
Denn die Macht, mit denen Verbände<br />
ihre Interessen durchsetzen,<br />
wird definiert als Leistungspotential<br />
bzw. Leistungsverweigerungspotential,<br />
als Konfliktbereitschaft<br />
und Medienpräsenz. Gerade in diesen<br />
Fragen sind aber Familien strukturell<br />
benachteiligt. Dass sie über<br />
ein großes Leistungspotential verfügen,<br />
zeigt sich schon daran, dass<br />
es von vielen ausgenutzt wird. Aber<br />
verantwortliche Eltern kämen doch<br />
nie auf die Idee, die Ernährungsund<br />
Erziehungsleistungen für ihre<br />
Kinder zu verweigern, sie auszusperren,<br />
ihnen die Liebe zu entziehen,<br />
um familienpolitische Gerechtigkeitsforderungen<br />
durchzusetzen.<br />
Auch ein organisierter Gebärstreik,<br />
wenngleich schon sehr wirkungsvoll,<br />
käme nicht in Betracht. Er wird<br />
jedoch stillschweigend und individuell<br />
bereits praktiziert. Das ist<br />
allerdings ein Experiment, das die<br />
Gesellschaft nicht lange überlebt.<br />
Undenkbar auch, dass sich Familien<br />
medienträchtige Straßenschlachten<br />
mit der Polizei lieferten.<br />
Durch solche Aktionen würden<br />
sich die Familien nur selber schädigen.<br />
Ganz im Unterschied zu den<br />
Interessenverbänden, die sich durch<br />
Streik, Aussperrung oder Konfliktmaximierung<br />
Vorteile errechnen<br />
dürfen, sei es auch zu Lasten Dritter.<br />
Die Familienlasten politisch und<br />
pädagogisch zu erleichtern kommt<br />
vor allem jenen elektronischen<br />
Unterhaltungsmedien kaum in den<br />
Sinn, die eher die Eheschließung<br />
homosexueller Paare für ein berechtigtes<br />
Anliegen halten als die Stabilisierung<br />
der Familie.<br />
Noch leben wir auf Kosten späterer<br />
Generationen, die womöglich gar<br />
nicht mehr (bei uns) geboren werden.<br />
Familienpolitik ist eine Investition<br />
in die Zukunft, sie ist auch die<br />
Sozialpolitik der Zukunft. Aber unsere<br />
Gesellschaftsordnung scheint<br />
nur für das größte individuelle Glück<br />
der größten Zahl in der Gegenwart<br />
eingerichtet worden zu sein. Ihre<br />
Tage sind aber gezählt, wenn sie<br />
nicht auch die Zukunft späterer<br />
Generationen in den Blick der Verantwortung<br />
bekommt.<br />
<strong>Der</strong> bisherige Sozialstaat als große<br />
anonyme Umverteilungsmaschine<br />
hat die Individualisierung als<br />
Illusion gegenseitiger Unabhängigkeit<br />
gefördert. Aber soziale Hilfe, die<br />
nicht auf Selbsthilfe subsidiär aufbaut,<br />
erzeugt auf Dauer Hilfsbedürftigkeit<br />
und Abhängigkeit. Sie zerstört<br />
überdies die Solidarität als persönlich<br />
zu übende Tugend. Mit dem Single<br />
als Leitbild ist kein Sozialstaat<br />
mehr zu machen. Notwendig ist daher<br />
eine subsidiäre Auflockerung<br />
sozialer Netze. Das primäre soziale<br />
Netz bleibt die Familie. Sie zu stärken<br />
bedeutet, den wuchernden Sozialstaat<br />
zu entlasten. Darum ist Familienpolitik<br />
die beste Form der Sozialpolitik.<br />
Freilich sollten wir als Christen<br />
besonders kritisch und wachsam<br />
sein, dass nicht durch staatliche Familienpolitik<br />
eine Verstaatlichung der<br />
Familien betrieben wird. Und dass<br />
nicht mit der Parole der Vereinbarkeit<br />
von Familie und Beruf die Familie<br />
den kürzeren zieht. Schon hat die<br />
Bundesregierung angekündigt bzw.<br />
damit gedroht, 1,5 Mrd. Euro für die<br />
Kleinkinderbetreuung zur Verfügung<br />
zu stellen. Und mit 4 Mrd. Euro will<br />
der Bund die Ganztagsschulen fördern.<br />
Statt den Eltern das Geld zu<br />
geben, die selber verantwortlich entscheiden<br />
sollten, wie ihre Kinder zu<br />
erziehen sind, bietet sich nun der<br />
Staat als onkelhafter Betreuer und<br />
Erzieher an. Welche Milieuschädigungen<br />
daraus entstehen können, hat<br />
uns die frühere DDR gelehrt.<br />
Jedenfalls ist Vorsicht geboten, wenn<br />
der SPD-Generalsekretär Olav Scholz<br />
die „Lufthoheit über den Kinderbetten“<br />
anstrebt. Bei dieser Formulierung<br />
läuft es einem kalt den Rücken<br />
herunter, und man spürt förmlich,<br />
wie einer schon den Würgegriff<br />
eingeübt hat.<br />
Doch als Christen dürfen wir auf<br />
die Selbstheilungskräfte hoffen, die<br />
in Ehe und Familie naturgemäß und<br />
gnadenhaft wirksam sind. Die Ehe<br />
ist eine christliches Sakrament und<br />
mit der Familie schon in der<br />
Schöpfungsordnung begründet. Ehe<br />
und Familie waren schon vor dem<br />
Staat da und werden ihn auch dann<br />
überleben, wenn er sie in seinen<br />
Würgegriff genommen hat. <br />
1 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />
vom 07.06.<strong>2003</strong>, S. 1<br />
252 DER FELS 8-9/<strong>2003</strong>