August/September 2003 - Der Fels
August/September 2003 - Der Fels
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Die Ehe als „matrimonium“ als Verbindung<br />
von Mann und Frau war<br />
also eine Verbindung zum Zwecke<br />
der Mutterschaft. Diese Interpretation<br />
erscheint dem heutigen Menschen<br />
oftmals als Zumutung, als<br />
Entwürdigung gerade der Frau.<br />
Aber liegt das nicht daran, dass wir<br />
heute geneigt sind, den für die<br />
menschliche Sexualität wesentlichen<br />
Zusammenhang zwischen<br />
Fortpflanzung und Sexualität nicht<br />
mehr zu erkennen?<br />
Ein Vergleich mit dem Tierreich<br />
kann hier weiterhelfen. Tiere werden<br />
sozialisiert, Menschen werden<br />
erzogen. Sozialisation ist die Entwicklung<br />
zur Lebensfähigkeit in der<br />
Gesellschaft der Artgenossen. Erziehung<br />
dagegen ist ein Bildungsprozess,<br />
der sein Ziel nicht in der<br />
Gesellschaft der Artgenossen hat.<br />
Sozialisation erfüllt in erster Linie<br />
eine gesellschaftliche Funktion, Erziehung<br />
steht primär im Dienste des<br />
Einzelnen und erst mittelbar in Bezug<br />
auf die Gesellschaft. Die Träger<br />
von Sozialisationsprozessen<br />
sind Befolger von Verhaltensmustern,<br />
die Träger von Erziehung sind<br />
mit Freiheit und Verantwortung ausgestattet.<br />
Das Tier ist Träger von<br />
Sozialisationsprozessen, der<br />
Mensch ist Träger von Erziehung.<br />
Diese Art, nämlich frei und verantwortlich<br />
handeln zu können, ist spezifisch<br />
für den Menschen, sie ist<br />
seiner Natur gemäß. Das bedeutet,<br />
dass der Mensch so ist, damit er so<br />
handeln kann, und es bedeutet, weil<br />
er so ist, dass er auch so handeln<br />
soll. Und es bedeutet, dass der<br />
Mensch durch sein naturgemäßes<br />
Handeln glücklich wird. Darum<br />
geht es im Letzten in der Sexualmoral<br />
der Kirche: Dass der Mensch<br />
so handelt, wie es seiner Natur entspricht,<br />
oder anders ausgedrückt:<br />
Dass der Mensch so handeln soll,<br />
damit er glücklich wird.<br />
Das Christentum hat den Menschen<br />
immer auch als imago Dei als<br />
Ebenbild Gottes verstanden. Sich<br />
auf dieses Urbild zu beziehen macht<br />
die Größe des Menschen aus. Das<br />
Christentum versteht die Ehe als<br />
Sakrament. Das ist nicht eine kirchliche<br />
Beigabe oder die Weihe einer<br />
an sich auch den Tieren gemäßen<br />
Einrichtung. Die Sakramentalität<br />
der Ehe bedeutet, dass der Mensch<br />
sich in der Ehe seiner Natur gemäß<br />
vervollkommnen kann, weil der<br />
Mensch in ihr seine natürlichen<br />
Notwendigkeiten, nämlich der Gattung<br />
auf Fortpflanzung und des Individuums<br />
auf Erziehung, Hilfe,<br />
Schutz, unbedingtes Angenommensein<br />
durch den Ehepartner,<br />
usw., auf menschliche Weise nachkommen<br />
kann.<br />
So ergibt sich ein Zusammenhang<br />
von Fortpflanzung und Liebe,<br />
von gelebter Sexualität und Ehe,<br />
wie er dem Menschen eigen ist. Er<br />
kann aber nur dann verstanden werden,<br />
wenn der Mensch einen Bezugspunkt<br />
kennt und anerkennt, der<br />
nicht nur das Materielle und Zeitliche,<br />
sondern vor allem das Gesellschaftliche<br />
transzendiert. Das setzt<br />
voraus, dass der Mensch sich nicht<br />
als autonome Größe begreift, sondern<br />
sich von anderswoher ein Gesetz<br />
geben lässt, das seiner Natur,<br />
das dem Menschen entspricht. Die<br />
Kirche, die sich als Hüterin dieses<br />
von anderswoher kommenden Gesetzes<br />
versteht, tradiert nur, was sie<br />
von dorther, von Gott empfangen<br />
Die Ehe<br />
im Plane Gottes<br />
D ie Heilige Schrift beginnt<br />
mit der Erschaffung des<br />
Mannes und der Frau nach<br />
dem Bilde Gottes und schließt<br />
mit der Vision der „Hochzeit<br />
des Lammes“ (Offb. 19,7.9).<br />
Von ihren ersten bis zu den letzten<br />
Seiten spricht die Schrift<br />
von der Ehe und ihrem „Mysterium“,<br />
von ihrer Einsetzung<br />
und dem Sinn, den Gott ihr gegeben<br />
hat, von ihrem Ursprung<br />
und ihrem Ziel, von ihrer unterschiedlichen<br />
Verwirklichung<br />
im ganzen Verlauf der Heilsgeschichte,<br />
von ihren aus der<br />
Sünde hervorgegangenen<br />
Schwierigkeiten und von ihrer<br />
Erneuerung „im Herrn“ (1<br />
Kor 7,39) im Neuen Bund<br />
Christi und der Kirche.<br />
Katechismus der<br />
Kath. Kirche Ziff. 1602<br />
hat. Dabei ist sie bemüht, dies in<br />
einer Sprache und in einer Weise zu<br />
tun, die dem Verständnis der jeweiligen<br />
Zeit entspricht, denn mit der<br />
Zeit wandelt sich vieles; das muss<br />
unbedingt berücksichtigt werden.<br />
Das Wesen des Menschen aber ist<br />
von Ewigkeit zu Ewigkeit dasselbe.<br />
Zwischen Fortpflanzung und Liebe,<br />
zwischen gelebter Sexualität<br />
und Ehe einen Zusammenhang erkannt<br />
und gelebt zu haben ist ein<br />
Fortschritt, der wesentlich durch die<br />
Einflüsse des Christentums und seines<br />
christlichen Menschenbildes in<br />
die Gesellschaft hineingetragen<br />
worden ist. Die moderne Trennung<br />
von Sexualität und Ehe, von Fortpflanzung<br />
und Liebe ist deshalb ein<br />
Rückschritt in vergangene, längst<br />
überwunden geglaubte Zeiten, in<br />
denen das Bewusstsein von der unverlierbaren<br />
Würde des Einzelnen<br />
noch nicht sehr ausgeprägt war.<br />
Wenn die Einheit von Ehe und gelebter<br />
Sexualität heute oftmals als<br />
eine Überforderung des Menschen<br />
angesichts der gesellschaftlichen<br />
Wirklichkeit erscheint, liegt dies<br />
auch an der mangelnden Bereitschaft,<br />
sich etwas zugebenermaßen<br />
nicht immer leicht Umzusetzendes<br />
zuzutrauen. <strong>Der</strong> richtige Weg ist<br />
nicht immer der leichteste und bequemste<br />
Weg, er ist sogar meistens<br />
zunächst der schwerere Weg. Aber<br />
nicht das bequeme Bleiben bei sich<br />
selbst bringt den Menschen voran<br />
und macht ihn glücklich; darin verkümmert<br />
er letztlich und verliert<br />
sich. In der Anstrengung dagegen<br />
liegt auch die Verheißung, auf eine<br />
Art Höhenweg zu gelangen, von<br />
dem aus sich eine ganz neue, viel<br />
versprechende Sicht der Dinge ergibt,<br />
zu der ohne Anstrengung nie<br />
gelangt werden kann. Auch der<br />
Weg zum Glücklichwerden ist eben<br />
kein müheloser Pfad, sondern ein<br />
steiler Berg, den zu ersteigen, sich<br />
lohnt. Im Übrigen zeigt uns ein<br />
Blick in unsere Gesellschaft, in der<br />
mehrheitlich der öde, mühelose<br />
Pfad beschritten wird, mehr Probleme,<br />
Elend und Verzweiflung als<br />
glückliche Beziehungen. Auch das<br />
sollte nachdenklich machen.<br />
Margit Harbort ist Theologin und<br />
Mutter von sechs Kindern. Sie lebt<br />
in Königswinter bei Bonn.<br />
256 DER FELS 8-9/<strong>2003</strong>