August/September 2003 - Der Fels
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Schlagworte wie Leibfeindlichkeit,anachronistische<br />
Moralvorstellungen,<br />
Verbotsmoral und Fortschrittsfeindlichkeit<br />
prägen überwiegend<br />
die Vorstellungen, Diskussionen<br />
und Gesprächsrunden der Zeitgenossen,<br />
wenn von Kirche und<br />
Sexualmoral die Rede ist. Das eigentliche<br />
Anliegen, die Sexualität<br />
des Menschen nicht nur als biologisches,<br />
sondern vielmehr als ein<br />
gesamtmenschliches Geschehen zu<br />
begreifen und zu leben, kann leider<br />
in der breiten Öffentlichkeit nur unzureichend<br />
vermittelt werden. Dafür<br />
gibt es mehrere Gründe: Die Oberflächlichkeit,<br />
mit der kirchliche Dokumente<br />
zu diesem Thema gelesen<br />
und wiedergegeben werden, die Ignoranz<br />
vieler, gepaart mit der mangelnden<br />
Bereitschaft, sich nicht nur<br />
aus zweiter Hand, sondern durch<br />
den Originaltext selbst über bestimmte<br />
Sachverhalte zu informieren;<br />
die erschreckende Zurückhaltung<br />
verantwortlicher Autoritäten,<br />
zu diesem Thema überhaupt öffentlich<br />
Stellung zu beziehen, und nicht<br />
zuletzt die Provokation selbst, die<br />
in dem Anspruch der kirchlichen<br />
Sexualmoral steckt.<br />
Um die Begründung dieses Anspruches<br />
soll es gehen. Dieser Anspruch<br />
lässt sich etwas vereinfachend<br />
auf eine kurze Formel bringen:<br />
„<strong>Der</strong> Ort für die gelebte Sexualität<br />
ist die Ehe.“ Und tatsächlich<br />
liegt in dieser These eine ungeheure<br />
Provokation und ein enormer<br />
Sprengstoff, wenn man bedenkt,<br />
wie die gesellschaftliche Realität in<br />
dieser Frage in der Welt aussieht.<br />
Muss die Kirche nicht endlich zur<br />
Kenntnis nehmen, dass dieser Anspruch<br />
den Menschen überfordert<br />
angesichts der Zustände in unserer<br />
Gesellschaft? Die hohe Zahl von<br />
zerrütteten Ehen, die zunehmende<br />
<strong>Der</strong> lange Weg zum Glück<br />
Ehe und Familie, Kirche und Sexualität<br />
– Ein Rückblick auf die Geschichte der christlichen Ehe<br />
Von Margit Harbort<br />
Zahl der Ehen ohne Trauschein,<br />
auch Lebenspartnerschaften oder<br />
Lebensabschnittspartnerschaften<br />
genannt, der rapide Anstieg vorehelicher,<br />
sexueller Kontakte, der<br />
Anstieg der Ehen auf Probe, die<br />
Legalisierung der Schwulen- und<br />
Lesbenehen: – lassen diese Tatsachen<br />
den Anspruch nicht schlicht an<br />
der Wirklichkeit scheitern?<br />
Sehnsucht nach dem<br />
totalen Angenommensein<br />
Die Sexualität des Menschen unterscheidet<br />
sich wesentlich von der<br />
anderer Lebewesen, insofern sie<br />
zwar auch nach bestimmten biologischen<br />
Gesetzmäßigkeiten abläuft,<br />
sich aber keineswegs darin erschöpft,<br />
sondern vielmehr weit über<br />
biologische Prozesse auf gesamtmenschliche<br />
Komponenten verweist,<br />
die in das sexuelle Verhalten<br />
und Empfinden des Menschen einfließen.<br />
Dabei sollte es nachdenklich<br />
machen, dass schon allein das<br />
rein biologische Geschehen<br />
menschlicher Sexualität erhebliche<br />
Unterschiede zur tierischen Sexualität<br />
aufweist. So ist der Mensch<br />
nicht an bestimmte Paarungszeiten<br />
gebunden, und seine Form der geschlechtlichen<br />
Begegnung vollzieht<br />
sich in der Regel von Angesicht; zu<br />
Angesicht, schon das Alte Testament<br />
hat für die sexuelle Begegnung<br />
der Menschen den Ausdruck<br />
„erkennen“ geprägt. Anders als ein<br />
Tier kann der Mensch mit seinen<br />
Trieben umgehen, denn er ist ein<br />
mit Freiheit ausgestattetes Wesen,<br />
das seine Triebe nicht wie ein Tier<br />
nach bestimmten Hormonvorgaben<br />
ausleben muss, sondern sein freier<br />
Wille und seine Fähigkeit, Gut und<br />
Böse unterscheiden zu können, fließen<br />
in seinen Umgang mit seinen<br />
Trieben ein. Josef Pieper hat das<br />
einmal sehr schön formuliert, indem<br />
er sagte: „<strong>Der</strong> Mensch ist nicht Sexualität,<br />
er hat sie.“ Das heißt, er<br />
kann selbst mit seinem Verstand,<br />
seinem freien Willen, seinem kritischen<br />
Bewusstsein darüber bestimmen,<br />
wie er seine Sexualität einsetzt.<br />
Und das heißt auch, dass der<br />
Mensch seine Sexualität nicht überbewerten<br />
sollte, denn er hat auch<br />
noch andere wichtige Bedürfnisse<br />
und Fähigkeiten.<br />
Die menschliche Sehnsucht nach<br />
ganzheitlicher, das heißt leiblicher,<br />
geistiger und seelischer Zuwendung<br />
und Geborgenheit ist eine Realität.<br />
Dieser menschlichen Sehnsucht<br />
nach dem totalen Angenommensein<br />
entspricht ein richtiges Verständnis<br />
von Ehe, verstanden als Schutzraum<br />
für ein zerbrechliches, hochsensibles<br />
Gut, die personale Entfaltung der<br />
menschlichen Sexualität. Menschliche<br />
Liebe als Fundament für Sexualität<br />
beinhaltet einen Exklusivitätsanspruch.<br />
Ganz und für immer –<br />
nur in diesem Rahmen kann sich die<br />
Liebe voll entfalten. Diese uns heute<br />
angesichts der aktuellen gesellschaftlichen<br />
Realität fast antiquiert<br />
anmutenden Überlegungen, stellen<br />
im Grunde eine wichtige Einsicht<br />
dar, die in einem langwierigen historischen<br />
Prozess, in einer Art Kampf<br />
für einen wahrhaft menschlichen<br />
Umgang der Geschlechter miteinander,<br />
allmählich errungen worden<br />
ist. In diesem Prozess hat das<br />
Christentum eine entscheidende Rolle<br />
gespielt, insofern seine Überzeugungen<br />
von der Einheit und<br />
Unauflöslichkeit der Ehe die Entwicklung<br />
zu einem partnerschaftlichen<br />
und personalen Verständnis<br />
ehelicher Liebe geprägt haben.<br />
<strong>Der</strong> Kampf für die gesellschaftliche<br />
und rechtliche Anerkennung der<br />
Ehe stellt eine der wichtigsten kul-<br />
DER FELS 8-9/<strong>2003</strong> 253