August/September 2003 - Der Fels
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turgeschichtlichen Errungenschaften<br />
dar, die das Christentum in die<br />
moderne Gesellschaft eingebracht<br />
hat. Dabei ging es der Kirche trotz<br />
mancher Zugeständnisse an die historisch<br />
bedingten Eheauffassungen<br />
der jeweiligen Zeit in erster Linie<br />
darum, die Stellung der schutzbedürftigen<br />
Mitglieder des Familienverbandes<br />
zu stärken und die<br />
Menschlichkeit des Menschen zu<br />
wahren. So hat sie gegen römisches<br />
und germanisches Recht die Frau<br />
aus dem Status des Eigentums befreit.<br />
Im Übergang vom Mittelalter<br />
zur Neuzeit hat sie dazu beigetragen,<br />
die Verantwortung für die Eheschließung<br />
in die Hände der Brautleute<br />
selbst zu legen, um so Mann<br />
und Frau aus der Bevormundung<br />
durch die Eltern und andere gesellschaftliche<br />
Kräfte zu befreien.<br />
Die Veränderung des Eheverständnisses<br />
beginnt mit einer<br />
Wandlung des Menschenbildes im<br />
18. und 19. Jahrhundert. Zu dieser<br />
Zeit der neuzeitlichen Aufklärung<br />
beginnt man die höchste Bestimmung<br />
des Menschen in seiner Autonomie,<br />
Mündigkeit, Emanzipation<br />
zu sehen. Dabei ist mit Mündigkeit<br />
oder Emanzipation nicht mehr<br />
die Veränderung in der Beziehung<br />
zu einem anderen Menschen gemeint,<br />
wie zum Beispiel die Entlassung<br />
des Sohnes aus der väterlichen<br />
Gewalt, so wie das römische Recht<br />
es verstand. <strong>Der</strong> Ausdruck Emanzipation<br />
enthält drei lateinische Vokabeln:<br />
ex, manus, capere. Die Entlassung<br />
des Kindes aus der Hand<br />
des Vaters. Jetzt nehmen Emanzipation,<br />
Mündigkeit, Autonomie aber<br />
eine andere Bedeutung an: Sie bezeichnen<br />
eine innere Verfassung des<br />
Menschen. Damit sind sie nicht<br />
mehr Rechtsbegriffe,<br />
sondern werden zu<br />
verinnerlichten, sittlichen<br />
Qualitäten des<br />
Einzelnen, des Individuums<br />
(Spaemann).<br />
Das Lebensziel des<br />
Menschen besteht in<br />
der Erreichung dieser<br />
Qualität. Ehe und die<br />
Familie werden nun<br />
als der Ort angesehen,<br />
an dem die Umsetzung<br />
dieses Lebenszieles<br />
ihren Anfang<br />
nimmt. Denn die Ge-<br />
sellschaft, die als das Feld mündiger<br />
Individuen begriffen wird, bezieht<br />
ihre Mitglieder aus den Familien,<br />
deren Hauptsinn nun in der<br />
Errichtung und Erhaltung dieser auf<br />
Autonomie und Mündigkeit aufbauenden<br />
Gesellschaft gesehen wird.<br />
Dieses emanzipative Menschenbild<br />
schlägt sich in zwei gesellschaftlichen<br />
Strömungen nieder. Zunächst<br />
im beginnenden Liberalismus des<br />
19. Jahrhunderts, der von einer strikten<br />
Trennung der gesellschaftlichöffentlichen<br />
von der privaten Existenz<br />
des Menschen ausgeht. Die<br />
Autonomie des Menschen zeigt sich<br />
dabei vor allem in seiner politischgesellschaftlichen<br />
Existenz. Die private<br />
Existenz wird streng von der<br />
politisch-gesellschaftlichen getrennt,<br />
sie wird gefühlsbetont und sentimental<br />
verklärt. Die Familie gilt als warmes<br />
Nest, als Intimbereich, in welchem<br />
allerdings das Kind auf seine<br />
Rolle als mündiger Staatsbürger vorbereitet<br />
werden soll. Diese Aufgabe<br />
der Familie, das Kind auf seine Rolle<br />
als mündiger Staatsbürger vorzubereiten,<br />
gerät dabei zunehmend in<br />
die Kritik, weil man sich fragt, ob<br />
diese Aufgabe nicht besser von der<br />
Schule oder vom Staat übernommen<br />
werden könne. Das führt zum Auftrieb<br />
der zweiten gesellschaftlichen<br />
Strömung, den verschiedenen Spielarten<br />
des Marxismus-Sozialismus,<br />
die eine Aufhebung der privaten<br />
Existenz im politisch-gesellschaftlichen<br />
Leben fordern. Sozialisation,<br />
als Eingliederung in die Gesellschaft,<br />
und Emanzipation werden zu gesellschaftlichen<br />
Aufgaben erklärt, und<br />
die Familie erscheint als ein Relikt<br />
aus einer vergangenen, liberalen<br />
Zeit, in der sich die Sozialisation und<br />
Emanzipation noch in einem vorge-<br />
sellschaftlichen Raum, in der Familie,<br />
abspielte. Indem der Liberalismus<br />
auf der einen Seite dieses sentimentale,<br />
gefühlsbetonte Familienbild<br />
prägte und auf der anderen Seite die<br />
gesellschaftsdienliche Funktion der<br />
Familie überbetonte, hat er wesentlich<br />
mit zur heutigen Krise von Ehe<br />
und Familie beigetragen (Rhonheimer).<br />
Das, was in der beginnenden<br />
Neuzeit mit dem Begriff Familie<br />
bezeichnet wurde, wurde in der<br />
griechischen Antike und im Mittelalter<br />
„domus“, „oikia“, „Haus“ genannt.<br />
Damit war eine Lebensgemeinschaft<br />
gemeint, bestehend aus<br />
Mann und Frau mit Kindern, Gesinde,<br />
Haus, Land, Hof usw.. Das Besondere<br />
an dieser Lebensgemeinschaft<br />
war nicht das Zusammenleben<br />
verschiedener Generationen<br />
unter einem Dach (Großfamilie),<br />
sondern die Tatsache, dass diese<br />
Hausgemeinschaft eine Einheit von<br />
Erwerbs- oder Arbeitsleben und Privatleben<br />
war. <strong>Der</strong> Hausvater war<br />
Familienvater, Betriebsleiter und<br />
Personalchef in einem. <strong>Der</strong> Fortbestand<br />
dieser Institution wurde durch<br />
die Kinder des Hausherrn und die<br />
Kinder der Sklaven oder Diener<br />
gesichert. Die Erziehung dieser Kinder<br />
wurde ebenfalls von dem ganzen<br />
Haus getragen. Da noch nicht<br />
so etwas wie eine rechtliche Schutzfunktion<br />
des Staates existierte, übernahm<br />
der Hausherr auch die<br />
Schutzgewalt und er hatte Strafkompetenz.<br />
Die heutige Kleinfamilie, bestehend<br />
aus der ehelichen Gemeinschaft<br />
von Mann und Frau mit<br />
Kind(ern), ist ja gerade deshalb eine<br />
Kleinfamilie, weil Gesellschaft und<br />
Staat viele ökonomische, soziale,<br />
rechtliche und erzieherische<br />
Aufgaben<br />
der alten Hausgemeinschaft<br />
übernommen<br />
haben. Dies wiederum<br />
geschah auf dem Hintergrund<br />
der Entwicklung<br />
von der bäuerlichen,<br />
einheitlichen<br />
zur modernen arbeitsteiligenIndustriegesellschaft.<br />
Durch diese<br />
Entwicklung wurde<br />
ein Kern der Familie<br />
freigelegt, der immer<br />
schon bestand, nun<br />
254 DER FELS 8-9/<strong>2003</strong>