Das Lachen und das Komische I - bei LiTheS
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Beatrix Müller-Kampel: Komik <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Komische</strong><br />
erfolgt eine überraschende Bisoziation von nicht zusammengehörigen Rahmen; in anderen<br />
Worten: mittels Kontrasten, Konflikten <strong>und</strong> Gegenbildlichkeit entstehen Doppel-,<br />
Mehr-, Vieldeutigkeiten <strong>und</strong> damit auch ein semantischer Mehrwert – ein unerwarteter<br />
Sinn tut sich plötzlich auf. ≡<br />
Quittiert wird diese kognitive Dissonanz <strong>bei</strong> Komik <strong>und</strong> <strong>Komische</strong>m nicht mit<br />
Argumenten, Erklärungen oder Bekenntnissen, sondern mit <strong>Lachen</strong>112 – der Witz<br />
‚zündet‘ (wie eine neue Idee).<br />
Nach Wolfgang Iser ist dies Zeichen dafür, <strong>das</strong>s sich <strong>das</strong> komische „Kipp-Phänomen“,<br />
wie er es nennt, im Rezipienten gleichsam wiederholt. 113 Wie dieses „Umkippen“<br />
im Sinne eines schnellen, plötzlichen, Lust <strong>und</strong> <strong>Lachen</strong> bereitenden Kapierens<br />
von Zwei- oder Mehrdeutigkeiten im komischen Kommunikationszusammenhang<br />
funktioniert, erläutert die Musikethnologin Gerlinde Haid am Beispiel des<br />
Gstanzl-Singens (einer so gut wie verschw<strong>und</strong>enen komischen Praxis 114 im ländlichen<br />
Raum):<br />
„Einer lacht, weil er etwas kapiert, ein anderer lacht, weil er meint, etwas zu<br />
kapieren, ein dritter lacht, weil er weiß, <strong>das</strong>s der zweite meint, er kapiere etwas,<br />
sich aber sicher ist, <strong>das</strong>s dieser sich irrt usw. <strong>Lachen</strong> in solchen Situationen ist<br />
deshalb ungemein ansteckend, denn dem ‚Umkippen‘ von Vorstellungen sind<br />
in einer R<strong>und</strong>e, in der kreuz <strong>und</strong> quer <strong>das</strong> Aushandeln von Beziehungen, <strong>das</strong><br />
Auftischen von Erfahrungen usw. am Köcheln gehalten wird, keine Grenzen<br />
gesetzt.“ 115<br />
An so genannten Kippfiguren, einer besonderen Form von Such- <strong>und</strong> Vexierbildern,<br />
wird <strong>das</strong> geschilderte Gruppenphänomen wahrnehmungspsychologisch deutlich.<br />
Berühmt sind die zwei Zeichnungen, in denen man einen Hasen oder eine Ente<br />
erkennen kann, beziehungsweise auf dem anderen eine junge oder eine alte Frau –<br />
aber nicht zugleich. 116 Komik ist demzufolge ein Phänomen innerhalb einer herme-<br />
112 Vgl. Zijderveld, Humor <strong>und</strong> Gesellschaft, S. 62.<br />
113 Wolfgang Iser: <strong>Das</strong> <strong>Komische</strong>: ein Kipp-Phänomen. In: <strong>Das</strong> <strong>Komische</strong>, S. 398–402.<br />
114 Zur Komik in einer speziellen Gstanzl-Sammlung aus dem Steirischen Salzkammergut<br />
vgl. Beatrix Müller-Kampel: Gstanzln als Lust-Spiel <strong>und</strong> Lustspiel. Zur Komik im<br />
Steyerischen Rasplwerk von Konrad Mautner. In: Musikalien des Übergangs. Festschrift für<br />
Gerlinde Haid anlässlich ihrer Emeritierung 2011. Herausgegeben von Ursula Hemetek,<br />
Evelyn Fink-Mennel <strong>und</strong> Rudolf Pietsch. Wien; Köln; Weimar: Böhlau 2011. (= Schriften<br />
zur Volksmusik. 24.) S. 123–149.<br />
115 Gerlinde Haid: Umkippen: Vom Witz erotischer Gstanzln. In: Leidenschaft <strong>und</strong> Laster.<br />
Akten der Tagungen des IRCM an der Universität Salzburg […]. Herausgegeben von Sabine<br />
Coelsch-Foisner <strong>und</strong> Michaela Schwarzbauer. Unter Mitarb. von Andrea Oberndorfer.<br />
Heidelberg: Winter 2010. (= Wissenschaft <strong>und</strong> Kunst. 13.) S. 67–86, hier S. 79.<br />
116 Vgl. die amüsante Sammlung von Al Seckel: Optische Illusionen. [The art of optical illusions,<br />
2000.] Aus dem Englischen von: Leonie Hodkevitch. Wien: Tosa 2001, sowie manche<br />
Graphiken von Maurits C. Escher: Leben <strong>und</strong> Werk M. C. Escher. Eltville am Rhein:<br />
Rheingauer Verlagsgesellschaft 1986.<br />
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