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Das Lachen und das Komische I - bei LiTheS

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Beatrix Müller-Kampel: Komik <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Komische</strong><br />

h<strong>und</strong>erts <strong>und</strong> vollends im Laufe des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts in Europa die Tradition des öffentlichen<br />

Verlachens <strong>und</strong> Verspottens von körperlich Behinderten <strong>und</strong> Abnormen,<br />

die auch Übergriffen ausgesetzt waren, sich erst abgeschwächt hatte <strong>und</strong> schließlich<br />

weitestgehend verschw<strong>und</strong>en war. Ausgesetzt waren ihm ja genau jene gewesen, mit<br />

deren lustigen Widerspielen auf der Bühne <strong>das</strong> Publikum noch länger seinen Spaß<br />

hatte: die missgestalteten Narren wie Zwerge, Bucklige, Kropfige, Humpelnde, Ein<strong>bei</strong>nige<br />

<strong>und</strong> Fettleibige, <strong>und</strong> die irren <strong>und</strong> tollen Narren wie (in heutiger Begrifflichkeit)<br />

Debile, Paranoiker, Querulanten, Schizophrene <strong>und</strong> Psychotiker. 145 Und selbst<br />

im Theater wird nach <strong>und</strong> nach nur mehr über ‚unschädliche Hässlichkeiten‘ wie<br />

auffallende Nasen <strong>und</strong> große Bäuche gelacht. 146<br />

Sowohl normpoetologisch als auch theatergeschichtlich sind „<strong>das</strong> <strong>Komische</strong>“, <strong>das</strong><br />

seit dem 18. Jahrh<strong>und</strong>ert lexikalisch an die Stelle des „Lächerlichen“ trat, <strong>und</strong> die<br />

„Komödie“ zwei unterschiedene <strong>und</strong> unterscheidende Kategorien. Schon für Johann<br />

Elias Schlegel ist <strong>Lachen</strong> im Sinne einer Erregung von Gelächter keine notwendige<br />

Bestimmung der Gattung mehr; Gellert setzt an die Stelle des Gelächters <strong>das</strong> unterrichtende<br />

Ergötzen, wenn möglich unter oder mit Tränen. 147<br />

<strong>Das</strong> lauthalse, <strong>das</strong> ‚ausgelassene‘ <strong>Lachen</strong> zog sich mit der es ‚auslösenden‘ Komik<br />

(hier erkennt die Metaphorik schneller als die Historiographie) dramaturgisch ins<br />

Extempore zurück, medial zu den wandernden Schau- <strong>und</strong> Puppenspielertruppen,<br />

den Wirtshauskomödianten <strong>und</strong> -komödiantinnen, in die Cabarets <strong>und</strong> Kabaretts,<br />

den Boulevard <strong>und</strong> den Zirkus, kurzum: in die nichtkanonisierten, ästhetisch stigmatisierten<br />

Unterhaltungs- <strong>und</strong> Vergnügungsviertel der deutschen <strong>und</strong> österreichischen<br />

Theaterkulturen.<br />

Und heute? Ist es in den massenmedialen Lachangeboten der so genannten Spaßgesellschaft<br />

anzutreffen. Womöglich gründet der feuilletonistische Ekel davor in nichts<br />

anderem als in Tugendwächtertum, nunmehr Political Correctness genannt? 148<br />

145 Einen Überblick dazu bietet Claudia Gottwald: <strong>Lachen</strong> über <strong>das</strong> Andere. Eine historische<br />

Analyse komischer Repräsentationen von Behinderung. Bielefeld: transcript 2009. (= Disability<br />

Studies. Körper – Macht – Differenz. 5.)<br />

146 Vgl. ebenda, S. 258.<br />

147 Vgl. Komödientheorie. Texte <strong>und</strong> Kommentare. Vom Barock bis zur Gegenwart. Herausgegeben<br />

von Ulrich Profitlich in Zusammenar<strong>bei</strong>t mit Peter-André Alt, Karl-Heinz Hartmann<br />

<strong>und</strong> Michael Schulte. Reinbek <strong>bei</strong> Hamburg: Rowohlt 1998. (= rowohlts enzyklopädie.)<br />

S. 37–38 (Herausgeberkommentar); vgl. auch Ulrich Profitlich: Komödien-Konzepte<br />

ohne <strong>das</strong> Element Komik. In: Theorie der Komödie – Poetik der Komödie, S. 13–30.<br />

148 Vgl. Kotthoff, Lachkulturen heute, S. 4. Die Vermutung als Titel formuliert: Harald Martenstein:<br />

Die Spaßgesellschaft: Warum sie so verhaßt ist <strong>und</strong> wie man sie kritisieren könnte.<br />

In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 56 (2002), H. 641 / 642: <strong>Lachen</strong>.<br />

Über westliche Zivilisation, S. 906–911.<br />

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