Das Lachen und das Komische I - bei LiTheS
Das Lachen und das Komische I - bei LiTheS
Das Lachen und das Komische I - bei LiTheS
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Beatrix Müller-Kampel: Komik <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>Komische</strong><br />
Wirklichkeit, die er (da er sie) als Materie, als Körper <strong>und</strong> nicht als Geist erlebt.“ 162<br />
„Der Narr stürzt die Weltordnung nicht um, er rüttelt nicht einmal daran, höchstens<br />
bohrt er mit seinem Holzschwert hier <strong>und</strong> da ein Loch hinein.“ 163 Und „Harlekin<br />
beläßt in seinem Triumph alles <strong>bei</strong>m alten.“ 164 Selbst der Flüsterwitz „entsteht<br />
nicht als Waffe gegen Tyrannei, sondern als Hilfe für die Opfer der Tyrannei.“ 165<br />
Kluge Diktatoren <strong>und</strong> Diktaturen erahnen oder wissen um die psychosoziale Ventilfunktion,<br />
also systemstabilisierende Funktion selbst aggressiver Komik <strong>und</strong> nehmen<br />
ihr den Stachel, indem sie sie erlauben oder institutionalisieren. Heraus kommt<br />
„regulierte Komik mit sogenanntem ‚Top-down‘-Mechanismus, die also ‚von oben<br />
nach unten‘ wirkt.“ 166<br />
Empirische Untersuchungen der letzten Jahrzehnte legen (mitunter ohne explizit<br />
darauf abgezielt zu haben) nahe, <strong>das</strong>s Komikverbote <strong>und</strong> die Verfolgung, Inhaftierung,<br />
Ermordung von Komikern oder Witzeerzählern auf nichts weniger als die<br />
Dummheit oder den paranoiden Charakter von diktatorischen Systemen <strong>und</strong> ihren<br />
Tyrannen zurückzuführen sind. Schon die erste einschlägige Studie von Rose Laub<br />
Coser, Laughter among colleagues (1960), in der Witz- <strong>und</strong> Scherzkommunikation<br />
unter dem wissenschaftlichen Personal einer pychiatrischen Klinik untersucht wurde,<br />
ergab, <strong>das</strong>s „Humor zur Aufrechterhaltung der Sozialstruktur <strong>bei</strong>[trägt]“ 167 – mithin<br />
diese nicht zerstören, umstürzen möchte, ja nicht einmal ernstlich in Zweifel<br />
zieht.<br />
Bereits die Rollen- <strong>und</strong> Replikenverteilung unter Scherzenden, Witzelnden,<br />
Schmähführenden überbrückt Hierarchien <strong>und</strong> Machtgefälle allenfalls scheinhaft<br />
(z. B. wenn der herablassende Humor eines Ranghöheren den Rangniedrigeren ein<br />
Gefühl des Dazugehörens vermitteln soll). 168<br />
≡ Besonders in direkter Kommunikation spiegelt, ja bekräftigt Komik die im jeweiligen<br />
kommunikativen Kontext geltenden sozialen Hierarchien – auch, weil die Situa-<br />
162 Gerald Stieg: Versuch einer Philosophie des Hanswurst. In: Austriaca. Cahiers Universitaires<br />
d’Information sur l’Autriche 5 (1979), Numéro special: Deux foix l’Autriche après<br />
1918 et après 1977, Bd. 2 (Februar 1979), S. 92.<br />
163 Helmut G. Asper: Hanswurst. Studien zum Lustigmacher auf der Berufsschauspielerbühne<br />
in Deutschland im 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert. Emsdetten: Lechte 1980, S. 162. Ähnlich Gerhard<br />
Scheit: Hanswurst <strong>und</strong> der Staat. Eine kleine Geschichte der Komik: Von Mozart bis<br />
Thomas Bernhard. Wien: Deuticke 1995, S. 35.<br />
164 So <strong>das</strong> Fazit von Lohse, Überlegungen zu einer Theorie des <strong>Komische</strong>n, S. 13.<br />
165 Peter Bender: So lachte der Osten. Über politische Witze. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift<br />
für europäisches Denken 56 (2002), H. 641 / 642: <strong>Lachen</strong>. Über westliche Zivilisation,<br />
S. 854–859, hier S. 859.<br />
166 Wirag, Platzen vor <strong>Lachen</strong>, S. 23.<br />
167 Coser, <strong>Lachen</strong> in der Fakultät, S. 119. Hervorhebung durch Kursivierung von B. M. K.<br />
168 Vgl. Zijderveld, Humor <strong>und</strong> Gesellschaft, S. 197.<br />
37