Nr. 5/2005 September & Oktober Ausgabe 21
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die Deutschen Probleme machen, die meistens keine sind.<br />
FM: Aber wenigstens in diesem Punkt sind wir doch Weltmeister!<br />
JB: Das glaube ich auch! Außerdem empfinde ich viele Leute in Deutschland als intolerant.<br />
Sie übertragen ihren eigenen Lebenssinn auf andere Menschen, sehen aber nicht, dass<br />
denen andere Werte wichtig sind. Jeder sollte für sich glücklich sein und sich nicht ständig<br />
über andere aufregen. So entstehen zwangsläufig Konflikte, die nicht entstehen würden,<br />
wenn man den anderen mehr Freiräume lassen würde. Um noch einmal auf das Wellenreiten<br />
zurückzukommen: Eigentlich müsste man irgendwo hinziehen, wo man täglich im Wasser ist<br />
und sich mit einem kleineren Job und reichlich Zeit über Wasser hält. Wellenreiten ist keine<br />
Sportart, sondern eine Art zu leben und Natur zu begreifen. Damit haben zum Beispiel<br />
Contests in meinen Augen wenig zu tun. Ich verstehe zwar die Jungs, die mitfahren, denn sie<br />
verdienen mit ihrem Hobby Kohle und sind fast jeden Tag im Wasser. Aber man kann surfen<br />
nicht mit Zahlen beurteilen, sag ich jetzt einfach mal so. Ich finde es schon blöd, dass<br />
meistens vier Leute zusammen im Wasser sind, die sich gegenseitig die Welle wegnehmen,<br />
um zu zeigen, dass sie diesen oder jenen Trick fahren können. Beim Wellenreiten geht es<br />
doch um Freiheit und Spaß. Diese Aspekte sind in Contests schwierig zu bewerten.<br />
Außerdem verkauft die Surf-Industrie ein Image, welches mit dem Wellenreiten wenig zu<br />
tun hat. Es ist ja nicht damit getan, dass du dir einen Neoprenanzug und ein Brett kaufst<br />
und ans Meer fährst. Da läuft erstmal gar nichts! Es dauert lange, bis man anständig surfen<br />
kann. Deswegen wird Wellenreiten nur bedingt für Lifestylegeschichten taugen.<br />
FM: Das sieht die Industrie anders. Schließlich versuchen sie Surfen als<br />
Mainstream zu verkaufen, indem sie den Spirit aufgreifen …<br />
JB: Der Spirit, der durch die Werbung geht, wird dem Wellenreiten nicht gerecht. Die<br />
Werbung suggeriert: „Wenn du dir das Zeug kaufst und zwei Wochen irgendwo hinfährst,<br />
kannst du schon richtig Wellenreiten“.<br />
FM: Findest du es schlimm, das Surfen so zu verkaufen?<br />
JB: Schlimm ist das nicht. Aber wenn du es ausprobierst, erfährst du, wie schwierig es<br />
wirklich ist. Ich kann jedem trotzdem nur sagen, probier es und der Spaß ist garantiert!<br />
FM: Den Traum vom „Leben fürs Surfen“ haben ja viele. Am Strand von der Hand<br />
in den Mund leben und den ganzen Tag surfen, aber ich frag mich immer, was<br />
machen die Leute in fünf Jahren?<br />
JB: Das ist richtig. Aber genau dieses Denken hängt mit unserer Mentalität zusammen.<br />
Eigentlich dürfte man darüber gar nicht nachdenken, aber dieses Problem habe ich auch –<br />
Jan Böhme/freerideshots.com<br />
deswegen bin ich noch in Deutschland, denn<br />
ich mache mir Gedanken um meine Familie,<br />
Freunde und so weiter. Freundschaften müssen<br />
gepflegt werden. Der Grundgedanke dieser<br />
Diskussion ist dann ja, dass man Sicherheiten<br />
braucht und deswegen nicht so einfach weggeht.<br />
Das wiederum passt mit dem Lifestyle des<br />
Surfens nicht zusammen.<br />
FM: Das heißt also, ich bin kein Surfer, weil<br />
ich mir Gedanken mache, was in drei Jahren<br />
ist? Bin ich also weniger Surfer als jemand,<br />
der verlottert und stinkend am Strand rumhängt,<br />
in den Tag hineinlebt und „no future“<br />
auf der Stirn tätowiert trägt?<br />
JB: Nein. Mir ist es egal, ob jemand verlottert am<br />
Strand rumhängt oder ob sich jemand Gedanken<br />
um die Zukunft macht. Toleranz eben, solange<br />
sie niemandem anders schadet.<br />
FM: Aber du hast gerade gesagt, dass sich<br />
beides nicht miteinander verträgt. Mit dem<br />
eigentlichen Spirit des Surfens im Körper<br />
dürfte ich nicht darüber nachdenken, was<br />
in drei Jahren ist.<br />
JB: Das ist auf jeden Fall schwierig und irgendwie<br />
immer ein Kompromiss. Du hast auch gut reden,<br />
denn du sitzt in Kiel! Aber ich bin in Ulm so weit<br />
vom Wasser entfernt, wie man es nur sein kann.<br />
Genial ist es zum Beispiel in San Francisco, da<br />
gehen sie morgens wellenreiten, danach ins<br />
Büro und nach Feierabend auf dem Rückweg<br />
nach Hause nochmal aufs Wasser.<br />
FM: Ein guter Freund lebt auf Sylt genau so!<br />
JB: Ich ziehe den Hut vor Leuten, die sagen, „mal<br />
gucken was geht“. Dazu gehört viel Mut, den ich<br />
wohl nicht vollends besitze. Ich hab auch schon<br />
zweimal meine Wohnung aufgegeben und bin<br />
losgezogen. Wenn du dann zurückkommst, fängst<br />
du wieder von null an. Je älter du wirst, desto<br />
mehr nervt dich das. Man hat ja auch finanzielle<br />
Verbindlichkeiten. Wenn du nichts hast, dann ist<br />
alles relativ – so lange wie die Asche reicht, bist<br />
du unterwegs. Aber sobald du dir Dinge anschaffst,<br />
zum Beispiel Equipment, musst du wieder<br />
zurück und brauchst einen Job, um sie<br />
irgendwie abzubezahlen.<br />
FM: Und da sind wir wieder bei den gesellschaftlichen<br />
Zwängen.<br />
JB: Das ist richtig. Es ist eben immer ein Spagat –<br />
so geht es mir zumindest. Wenn ich am Meer<br />
unterwegs bin, blende ich vieles um mich herum<br />
aus. In Umfeld des Meeres kann ich mich verlieren,<br />
denn es symbolisiert für mich Freiheit.<br />
FM: Hast du deine Zukunft geplant oder<br />
lebst du eher von heute auf morgen?<br />
JB: Momentan arbeite ich mit einem Partner daran,<br />
unser Fotolabel aufzubauen. Des Weiteren besteht<br />
die Möglichkeit, in der näheren Zukunft ein<br />
gut gehendes Werbestudio zu übernehmen.<br />
Außerdem weiß man ja nie, was familientechnisch<br />
in drei Jahren passiert bzw. wo der Weg mit meiner<br />
Freundin hinführt. Ich will irgendwann gerne<br />
Kinder haben. Abschließend danke ich meiner<br />
Familie, dem Aloha Bund und meinen wirklichen<br />
Freunden für die geniale Zeit bisher! Was in der<br />
Zukunft passiert, wird man sehen und ich lass mich<br />
überraschen. Auf jeden Fall bin ich guter Dinge!<br />
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