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Gefahr durch deutsche Islamisten - Die Welt

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WELT KOMPAKT<br />

10 KULTUR<br />

Mehr Fans als Madonna?<br />

Turbo-Folk ist auch politisch,<br />

die Anhänger finden’s gut<br />

Der Soundtrack des Krieges<br />

Vor zehn Jahren stürzte Slobodan Milosˇevic – Auch die Faszination des Turbo-Folks verpufft<br />

VON SONJA VOGEL<br />

„Ceca hat mehr Fans als Madonna!“<br />

So triumphierte letztes Jahr<br />

das serbische Boulevardblatt Svet,<br />

nachdem zum Belgrader Konzert<br />

des amerikanischen Superstars<br />

bloß 30 000 Zuschauer kamen. Der<br />

Turbo-Folk-Star Svetlana „Ceca“<br />

Ražnatovic hatte es zwei Jahre zuvor<br />

auf 150 000 Fans gebracht.<br />

Das mag überraschen. Schließlich<br />

gilt Turbo-Folk hierzulande<br />

als musikalisches Randphänomen.<br />

Zudem verbindet man das Genre<br />

mit serbischem Nationalismus<br />

und organisiertem Verbrechen.<br />

Turbo-Folk ist alles<br />

andere als wohlgelitten,<br />

als „Soundtrack<br />

des Krieges“ blieb er<br />

vom globalen Musikmarktausgeschlossen.<br />

Tatsächlich lässt<br />

seine Entstehungsgeschichte<br />

den Turbo-<br />

Folk als politisches<br />

Phänomen erscheinen.<br />

Gerade Ceca, der<br />

Megastar der Szene,<br />

trug zu dieser Wahrnehmung<br />

bei. Ihre<br />

1995 mit dem serbischen<br />

Kriegsverbrecher Željko<br />

„Arkan“ Ražnatovic<br />

geschlossene Ehe stand für die<br />

symbolische Vermählung von Nationalismus<br />

und Popkultur. Später<br />

ermittelte man wegen des Mordes<br />

am serbischen Premierminister<br />

Zoran Djindjic gegen sie.<br />

Heute, zehn Jahre nach dem<br />

Sturz von Slobodan Miloševic, hat<br />

der Turbo-Folk seinen Zenit längst<br />

überschritten. Der ursprünglich<br />

auffällige Mix aus elektronisch<br />

aufgemotzter Volksmusik – im<br />

Vordergrund zumeist ein vom<br />

Keyboard kopiertes Akkordeon,<br />

„orientalische“ Gesangsstimmen,<br />

Pop heiratet Politik:<br />

Željko und „Ceca“<br />

wie man sie aus der türkischen<br />

Arabeske-Musik kennt, und moderne<br />

Beats und Samples bekannter<br />

Songs – weicht heute kaum<br />

mehr vom internationalen Pop-<br />

Durchschnitt ab.<br />

Ganz anders Anfang der Neunziger,<br />

als der Turbo-Folk Serbien<br />

überflutete. 1993 veröffentlichte<br />

der Sänger Ivan Gavrilovic das erste<br />

Turbo-Folk-Stück „200 na sat“<br />

(200 km/h). Mit seinen Samples<br />

des Eurodance-Hits „No Limit“<br />

von 2 Unlimited und dem Ruf<br />

„Techno Folk!“, der in ein schrilles,<br />

traditionell anmutendes Akkordeonspiel<br />

überging, gilt er heute als<br />

prototypisch.<br />

Hier zeigt sich deutlich,<br />

woher der Turbo-<br />

Folk stammt. <strong>Die</strong> jugoslawischenKommunisten<br />

versuchten<br />

früh, die unterschiedlichen<br />

sozialen, religiösen<br />

und nationalen<br />

Hintergründe des<br />

Staates zu moderieren.<br />

Ab den Sechzi-<br />

PA /DPA/MILOS JELESIJEVIC<br />

gern förderte man darum„Neukomponierte<br />

Volksmusik“, um<br />

jenseits regional ausdifferenzierter<br />

Musikidiome Gemeinsamkeiten<br />

zu schaffen. Vor neuer Technik<br />

scheute man dabei nicht zurück.<br />

Zum Turbo-Folk, dessen von Synthesizern<br />

produzierte Sounds nur<br />

noch erahnen lassen, was an ihm<br />

Folk ist, war es nur ein kleiner<br />

Schritt.<br />

Man kann es als Ironie betrachten,<br />

dass dem Turbo-Folk ein Konzept<br />

zur Integration Jugoslawiens<br />

zugrunde liegt.<br />

Sollte aber die „Causa Ceca“<br />

ausreichen, um einer Musikrichtung,<br />

die zweifelsohne die Gesellschaft<br />

prägte, Nationalismus nachzuweisen?<br />

Sicher nicht. Texte und Musik<br />

des Turbo-Folks sind alles andere<br />

als politisch. Wie der klassische<br />

Popsong kreisen sie um Liebe und<br />

Betrug. Politische Statements<br />

sucht man vergeblich. <strong>Die</strong> Verbindung<br />

war eher struktureller Art.<br />

Eine Schlüsselfunktion hatten dabei<br />

die Kriege der Neunziger, die<br />

1992 von der Internationalen Gemeinschaft<br />

gegen Serbien verhängten<br />

Sanktionen – und die Inflation.<br />

<strong>Die</strong> gut ausgebildeten und international<br />

geprägten Serben verließen<br />

das Land, 700 000 sollen es gewesen<br />

sein. Entsprechend dramatisch<br />

verschoben sich die Machtverhältnisse.<br />

Der Musikjournalist<br />

Dragan Kremer beschreibt die angespannte<br />

Lage als „sozialen<br />

Schnellkochtopf“: „In diesem Vakuum,<br />

abgeschnitten von Informationen<br />

und Einflüssen von außen,<br />

verwandelte sich alles im Handumdrehen<br />

in Turbo-Folk.“<br />

Kremer bezeichnet so weniger<br />

eine Musik, als eine soziale Ord-<br />

nung, die Deregulierung gewachsener<br />

Strukturen und Werte, einen<br />

Rückfall hinter die Toleranzprinzipien<br />

der jugoslawischen Gesellschaft:<br />

Nationalismus, Patriarchat,<br />

Demokratiefeindlichkeit,<br />

Homophobie.<br />

Von der <strong>Welt</strong>stadt<br />

Belgrad war nicht viel<br />

geblieben. „Nicht der<br />

Turbo-Folk zerstörte<br />

die Stadt, Belgrad<br />

existierte zu dieser<br />

Zeit nicht mehr“, erinnert<br />

sich der Kulturmanager<br />

und<br />

Fernsehmann Miloš<br />

Jež.<br />

<strong>Die</strong> Nationalisierung<br />

machte auch vor<br />

der Kultur nicht halt.<br />

Obgleich die „Neukomponierte<br />

Volksmusik“ sich<br />

dem internationalem Pop angenähert<br />

hatte, galt sie nunmehr als serbisch,<br />

eben als Turbo-Folk – eine<br />

Bezeichnung, mit der sich der Musiker<br />

Rambo Amadeus ironisch auf<br />

Turbo-Folk – <strong>Die</strong> serbische Alternative<br />

■ Turbo-Folk war neben den<br />

Hollywood-Blockbustern die billigste<br />

Form der Unterhaltung.<br />

■ Er ist eine serbische Alternative<br />

zum angloamerikanischen Pop und<br />

kam dem nationalistischen Establishment<br />

unter Miloševic entgegen.<br />

■ Neue, simple Boulevard-TV-<br />

Formate sind untrennbar mit dem<br />

Aufstieg des Turbo-Folks verknüpft.<br />

■ Jelena Karleuša, der aktuelle<br />

Star der Szene, verkörpert ein<br />

Extrem von Weiblichkeit: aufgespritzte<br />

Brüste und Lippen,<br />

gebräunte Haut, blondiertes Haar<br />

bis zur Hüfte.<br />

■ <strong>Die</strong> Zeit des Turbo-Folk war die<br />

Zeit der Gegensätze. Insbesondere<br />

die Rockszene Jugoslawiens galt<br />

als Gegenpol zum als nationalistisch<br />

und provinziell verschrienen<br />

Turbo-Folk. Das musikalische<br />

Bekenntnis war eines für oder<br />

gegen die herrschende Politik –<br />

und teilt Belgrad heute noch.<br />

http://bit.ly/9dykVU<br />

* MITTWOCH, 6. OKTOBER 2010<br />

Hossa! Megastar Svetlana<br />

Ceca Ražnatovic<br />

Balkan-Beat<br />

Gelebter Turbo-<br />

Folk: Jelena<br />

Karleuša verkörpert<br />

das Ideal<br />

des Turbo-Folks –<br />

hier gibt’ s den<br />

Clip dazu.<br />

den eigenen avantgardistischen<br />

Stil bezogen hatte, der den provinziellen<br />

Ethno-Kitsch auf die Schippe<br />

nahm.<br />

<strong>Die</strong> glitzernde <strong>Welt</strong> der neuen<br />

Stars, pompöse Gala-<br />

Shows und die mit<br />

Statussymbolen aufgemotztenMusikvideos<br />

suggerierten,<br />

westliche Konsumgüter<br />

seien nach wie vor<br />

verfügbar. Dabei war<br />

die gesamte <strong>Welt</strong> für<br />

Serben so unerreichbar<br />

wie nie zuvor.<br />

Zweifelsohne profi-<br />

REUTERS/MARKO DJURICA<br />

tierte die Politik am<br />

meisten von der Parallelwelt<br />

des Turbo-<br />

Folks. Hier fand sie<br />

das Auditorium, das<br />

sie <strong>durch</strong> die fatale Politik verloren<br />

hatte. Jež, damals Kreativdirektor<br />

von TV Palma, bezeichnet den<br />

Sender als „Hauptquartier der sozialen<br />

Befriedung“. Als „serbisches<br />

MTV“ war er Marktführer in<br />

Sachen Turbo-Folk. Schon früh<br />

hatte die Opposition der Regierung<br />

unterstellt, das Genre zur<br />

Machtsicherung gefördert zu haben.<br />

Frei nach dem Motto „Brot<br />

und Spiele“. So lange „Ceca nacionale“<br />

sang und tanzte, konnten Armut<br />

und Isolation Serbien nichts<br />

anhaben.<br />

<strong>Die</strong> Marktlage war für Turbo-<br />

Folk-Produktionen mehr als lukrativ,<br />

da Urheberrechte unbeachtet<br />

blieben. Ohnehin hatte der Staat<br />

andere Probleme. Neue Produktionstechniken<br />

lösten eine unüberschaubare<br />

Welle aus. Private Produktionsfirmen<br />

und Fernsehsender,<br />

die sich lokalen Musikproduktionen<br />

widmeten, schossen wie<br />

Pilze aus dem Boden.<br />

<strong>Die</strong> Gelder stammten aus dem<br />

Milieu derer, die von den sozialen<br />

Umwälzungen profitiert hatten.<br />

REUTERS/MARKO DJURICA

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