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Gefahr durch deutsche Islamisten - Die Welt

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WELT KOMPAKT<br />

6 POLITIK<br />

Donner über Waziristan<br />

VON DIETRICH ALEXANDER,<br />

D.-D. BÖHMER UND S. BOLZEN<br />

Plötzlich soll es gefährlich sein,<br />

nach Deutschland, Großbritannien<br />

oder Frankreich zu reisen. <strong>Die</strong> europäischen<br />

Nachbarn, Australien<br />

und die USA raten ihren Bürgern zu<br />

erhöhter Wachsamkeit, wenn sie<br />

die drei europäischen Kernstaaten<br />

bereisen. <strong>Die</strong> Dramatik der Warnungen<br />

steigt in dem Maße, in dem<br />

der Krieg in Afghanistan und den<br />

pakistanischen Stammesgebieten<br />

eskaliert: Drohnenangriffe auf islamistische<br />

Ausbildungslager, Taliban-Attacken<br />

auf Nato-Nachschubwege,<br />

der Versuch der islamistischen<br />

Fanatiker, den Konflikt in die<br />

Entsendeländer der alliierten<br />

Truppen zu exportieren – alles<br />

hängt miteinander zusammen. Alles<br />

ist von Reaktion und Gegenreaktion<br />

geprägt und scheint auf einen<br />

Kulminationspunkt zuzusteuern,<br />

der sich eine andere Bühne<br />

sucht als die weitgehend recht- und<br />

gesetzlosen Stammesgebiete im<br />

Grenzgebiet zwischen Afghanistan<br />

und Pakistan, dem letzten „sicheren<br />

Hafen“ von al-Qaida und Taliban.<br />

<strong>Die</strong> radikalislamischen Terrornetzwerke<br />

wollen ihren Dschihad,<br />

ihren als „Heiligen Krieg“ verklärten<br />

Kampf gegen westliche Grundwerte<br />

und Lebensentwürfe wie<br />

schon am 11.September 2001 in die<br />

Heimat der Feinde tragen. Das zumindest<br />

vermuten westliche Geheimdienste<br />

und nennen potenzielle<br />

Anschlagsziele: Eiffelturm und<br />

Notre Dame in Paris, das Hotel Adlon,<br />

der Fernsehturm und der<br />

Hauptbahnhof in Berlin, Big Ben in<br />

London. Ihr Kronzeuge: Ahmed Sidiqi,<br />

ein <strong>deutsche</strong>r Islamist afghanischer<br />

Herkunft aus Hamburg, der<br />

in US-Haft im afghanischen Lager<br />

Bagram sitzt und offenbar alles<br />

über Pläne und Personen ausplaudert,<br />

was er weiß.<br />

Wie realistisch ist das? Bis zu<br />

acht islamistische Terrorkämpfer<br />

mit <strong>deutsche</strong>n Pässen sollen in der<br />

Ortschaft Mir Ali rund 20 Kilometer<br />

östlich der Stadt Miranshah im<br />

pakistanischen Nordwaziristan bei<br />

einem Drohnenangriff ums Leben<br />

gekommen sein. Einwohner berichteten,<br />

zwei Raketen hätten das<br />

Haus von Sher Maula Khan getroffen,<br />

einem Taliban-Sympathisanten,<br />

der <strong>deutsche</strong>n Kämpfern Unterschlupf<br />

gewähre. Er selbst war<br />

im Juni gemeinsam mit dem Hamburger<br />

<strong>Islamisten</strong> Rami M. von pakistanischen<br />

Polizisten festgenommen<br />

worden.<br />

Andere Dorfbewohner berichteten,<br />

sie hätten die Leichen nach<br />

dem Angriff gesehen und könnten<br />

bestätigen, dass es sich um Ausländer<br />

gehandelt habe. Lokale Politiker<br />

und pakistanische Geheimdienstler<br />

bestätigen die Angaben,<br />

während ein hoher Offizier des pakistanischenMilitärgeheimdienstes<br />

ISI gegenüber WELT KOM-<br />

PAKT skeptisch bleibt: „Da sitzt ein<br />

Deutsch-Afghane im Gewahrsam<br />

der CIA in Afghanistan und erzählt<br />

etwas von acht Kämpfern mit <strong>deutsche</strong>m<br />

Pass in Waziristan. Und kurze<br />

Zeit später sollen acht Menschen<br />

von einer Drohne getötet worden<br />

sein, und schon wenige Minuten<br />

später weiß alle <strong>Welt</strong>, dass es Deutsche<br />

waren. Überlegen Sie mal, wer<br />

das so schnell wissen kann – ohne,<br />

dass Zeit zur Identifizierung der<br />

Leichen bliebe.“ In der Tat waren<br />

die Terroristen nach Angaben der<br />

Bewohner bemüht, schnell und diskret<br />

den Ort des Anschlags abzuriegeln<br />

und die Leichen zu begraben.<br />

Dennoch: Terroristen mit EU-<br />

Pässen, die nicht vorbestraft sind<br />

und frei reisen können, sind der<br />

Albtraum westlicher Sicherheitsbehörden.<br />

<strong>Die</strong> Führung des Terrornetzwerkes<br />

al-Qaida setzt besonders<br />

gern auf diese „home-grown“-<br />

Rekruten, solche also, die in den<br />

Zielländern aufgewachsen, sozialisiert<br />

und nicht straffällig worden<br />

sind. Mehr als 200 europäische Militante<br />

aus Deutschland, Schweden,<br />

Frankreich und Großbritannien<br />

sollen sich unter dem Kommando<br />

eines Libyers („Ahmed“) dort aufhalten.<br />

<strong>Die</strong> getöteten angeblich <strong>deutsche</strong>n<br />

Terroristen sollen nach pakistanischen<br />

Angaben der Islamischen<br />

Dschihad-Union (IJU) angehören,<br />

einer 2002 gegründeten Terrorgruppe,<br />

die Muslime in<br />

Zentralasien und Europa rekrutiert.<br />

500 Kämpfer soll die IJU haben,<br />

darunter mehr als 60 türkischstäm-<br />

mige sowie zum Islam konvertierte<br />

Deutsche. Ihr Hauptquartier liegt<br />

in der Region Mir Ali, ebenso wie<br />

weit abgelegene Unterkünfte und<br />

Trainingslager ohne Straßenzugang.<br />

2008 kündigte der aus Bayern<br />

stammende türkischstämmige Islamist<br />

Cüneyt C. in einem IJU-Video<br />

an, mit einem Selbstmordanschlag<br />

sein Leben „für die Ehre des Islam“<br />

zu opfern. Er riss vier Afghanen in<br />

der Provinz Khost mit in den Tod.<br />

Wenige Monate später drohte der<br />

Konvertit Eric Breininger mit Anschlägen<br />

in Deutschland.<br />

Der vom US-Geheimdienst CIA<br />

forcierte Drohnenkrieg scheint eine<br />

Reaktion auf diese amorphe Bedrohung<br />

zu sein: Allein 22 Raketenangriffe<br />

mit Drohnen, die von den<br />

Einheimischen „bangana“ (Donner)<br />

genannt werden, weil ihre<br />

Hellfire-Geschosse apokalyptische<br />

Zerstörung in die Dörfer bringen,<br />

waren im September zu verzeichnen<br />

– sie töteten etwa 100 Menschen.<br />

Das ist die höchste Monatsquote<br />

der vergangenen sechs Jahre.<br />

Mit „Bangana“ konnten in den vergangenen<br />

Jahren rund 24 Feldkommandeure<br />

des Al-Qaida-Chefs Osama<br />

Bin Laden getötet werden. Jetzt<br />

MITTWOCH, 6. OKTOBER 2010<br />

Hunderte Europäer rüsten sich in Pakistan für den „Heiligen Krieg“ – <strong>Die</strong> Nato schickt tödliche Drohnen<br />

DPA/EPA/NICOLAS ASFOURI<br />

Ein US-Soldat hält<br />

Wache auf einem<br />

Hügel in der afghanischen<br />

Region<br />

Khost. In der Ferne<br />

liegt Waziristan – die<br />

pakistanische Brutstätte<br />

des Terrors.<br />

Sicherheitskräfte<br />

haben Fotos und<br />

Ausweise (kleines<br />

Bild) von <strong>Islamisten</strong><br />

in Südwaziristan<br />

beschlagnahmt<br />

Aufklären, erfassen, zerstören<br />

■ Drohnen sind unbemannte Fluggeräte<br />

(Unmanned Aerial Vehicles,<br />

UAV) und gehören zum Arsenal der<br />

Streitkräfte vieler Länder. <strong>Die</strong><br />

Mini-Flugzeuge sind mit modernster<br />

Elektronik ausgestattet und können<br />

unterschiedliche militärische Aufgaben<br />

übernehmen. Das Spektrum<br />

reicht von der Überwachung bis zu<br />

gezielten Angriffen auf Personen.<br />

Drohnen werden aus großer Entfernung<br />

gesteuert und können<br />

einen Tag oder länger in der Luft<br />

bleiben.<br />

■ <strong>Die</strong> unbemannten Fluggeräte<br />

werden gegenwärtig im Afghanistan-Krieg<br />

und in der jüngsten<br />

Vergangenheit verstärkt auch zur<br />

Bekämpfung von Terrorgruppen<br />

eingesetzt.<br />

AFGHAN.<br />

PAKISTAN<br />

INDIEN<br />

SWAT-TAL<br />

120 km<br />

Khyber-Pass<br />

Torkham Peshawar<br />

Islamabad<br />

NORD-<br />

WASIRISTAN<br />

Mir Mir Ali<br />

Miramshah STAMMES-<br />

GEBIETE<br />

SÜD- NORDWEST-<br />

WASIRISTAN TERRITORIEN<br />

GETTY IMAGES/JONATHAN SARUK<br />

Quelle: ICOS<br />

hat es die CIA vor allem auf die<br />

Führer des Haqqani-Netzwerkes<br />

abgesehen, einem Ableger der afghanischen<br />

Taliban, der von Nord-<br />

Waziristan aus operiert und zum<br />

Hauptgegner amerikanischer Soldaten<br />

in der unwegsamen Grenzregion<br />

geworden ist.<br />

Unumstritten ist die Wirkung<br />

der Drohnen, umstritten hingegen<br />

ihre Präzision und damit die Langzeitwirkung:<br />

Es werden auch Zivilisten<br />

getötet. Und es liegt die Vermutung<br />

nahe, dass in ihren Familien<br />

eine neue, noch gewaltbereitere<br />

Generation von Terroristen heranwächst,<br />

die vom stärksten Motiv<br />

für Mord getrieben wird: Rache.<br />

„Möglicherweise werden wir<br />

auch in Nord-Waziristan eingreifen“,<br />

so der ISI-Offizier, „aber zu einem<br />

Zeitpunkt und unter Bedingungen<br />

unserer Wahl. Wir lassen<br />

uns nichts diktieren.“ Zurzeit seien<br />

die pakistanischen Truppen in der<br />

seit über einem Jahr andauernden<br />

Offensive gegen die Taliban im<br />

Nordwesten des Landes überdehnt.<br />

Zudem seien noch immer zahlreiche<br />

Soldaten in die Flutbekämpfung<br />

eingebunden. <strong>Die</strong> Amerikaner<br />

seien einfach ungeduldig. „Sie glauben,<br />

dass Nord-Waziristan von strategischer<br />

Bedeutung für den Krieg<br />

in Afghanistan sei. Das glauben wir<br />

nicht. Das eigentliche Problem<br />

liegt in Afghanistan.“<br />

Tatsächlich fällt für Washingtons<br />

Geostrategen im Grenzgebiet die<br />

Entscheidung für die gesamte Region,<br />

und sie sind sich der vollständigen<br />

Zusammenarbeit mit dem pakistanischen<br />

Partner nicht immer<br />

sicher. „Der ISI, den weder die<br />

schwache Regierung noch das Militär<br />

wirklich kontrolliert, plant bereits<br />

für die Zeit, wenn Isaf aus Afghanistan<br />

abzieht“, warnt ein britischer<br />

Pakistan-Experte. <strong>Die</strong> Folge<br />

könnte ein Flächenbrand sein, der<br />

sogar Pakistans Erzfeind Indien mit<br />

in den Konflikt zöge. Das ist nicht<br />

nur den Amerikanern klar, sondern<br />

zunehmend auch der Nato-geführten<br />

Isaf-Truppe – die schon längst<br />

Teil des Konflikts zwischen Washington<br />

und Islamabad geworden<br />

ist. Das Verhältnis zwischen Isaf<br />

und Pakistan hat sich rapide verschlechtert,<br />

seit Nato-geführte<br />

Kampfeinsätze von US-Kampfhubschraubern<br />

im Grenzgebiet geflogen<br />

wurden, bei denen drei pakistanische<br />

Soldaten getötet wurden.<br />

Islamabad sperrte aus Protest<br />

den Khyber-Pass, die wichtigste<br />

Nachschubroute für die rund<br />

130 000 in Afghanistan stationierten<br />

internationalen Soldaten. Mindestens<br />

200 Lastwagen, viele davon<br />

Tanker, hängen seither in Pakistan<br />

fest – und werden von Aufständischen<br />

angegriffen. Seit der Schließung<br />

des Übergangs am vergangenen<br />

Donnerstag hat es fünf Anschläge<br />

auf den Lkw-Konvoi gegeben.<br />

„In jedem Krieg sind die<br />

Nachschublinien der verletzlichste<br />

Teil des Gegners. Wenn man wirklich<br />

schaden will, dann greift man<br />

dort an“, sagt dazu der anonym<br />

bleiben wollende ISI-Offizier.<br />

Es wächst nicht zuletzt deshalb<br />

die Bereitschaft der Nato, auf politischen<br />

Konfrontationskurs mit Islamabad<br />

zu gehen. „<strong>Die</strong> Isaf wird<br />

ihre Operationen keinesfalls nach<br />

Pakistan tragen“, erklärt Isaf-Sprecher<br />

Josef Blotz. „Aber wir haben<br />

ein Recht auf Selbstverteidigung.“

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