Gefahr durch deutsche Islamisten - Die Welt
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WELT KOMPAKT<br />
2 THEMA<br />
VON DANIEL ECKERT,<br />
GESCHE WÜPPER UND<br />
HOLGER ZSCHÄPITZ<br />
Berlin – Ein Regisseur hätte es nicht<br />
besser inszenieren können: Der Angeklagte<br />
schließt einen Moment<br />
lang die Augen. Ein Raunen geht<br />
<strong>durch</strong> den Pariser Gerichtssaal. Fünf<br />
Jahre Haft, davon zwei auf Bewährung.<br />
Das ist die Strafe für Jérôme<br />
Kerviel, den Verursacher des größten<br />
Spekulationsverlustes aller Zeiten.<br />
Zusätzlich muss er der französischen<br />
Großbank Société Générale,<br />
seinem früheren Arbeitgeber, 4,9<br />
Milliarden Euro Strafe zahlen.<br />
<strong>Die</strong> Realität ist noch extremer als<br />
im Hollywood-Film „Wall Street“.<br />
Michael Douglas alias Gordon Gekko<br />
biegt als skrupelloser Spekulant<br />
die Gesetze, um Millionen zu scheffeln.<br />
Kerviel hat mit seinen Milliardenzockereien<br />
die Existenz einer<br />
der größten Banken Frankreichs auf<br />
Spiel gesetzt – und einen weltweiten<br />
Aktiencrash provoziert.<br />
Doch viele Franzosen machen das<br />
in ihren Augen moralisch verkommene<br />
Finanzsystem für die Auswüchse<br />
mitverantwortlich. Sie sehen<br />
den 33-jährigen Bretonen eher<br />
als Opfer denn als Täter. „<strong>Die</strong>ses Urteil<br />
ist unvernünftig und inakzeptabel“,<br />
sagt Olivier Metzner, der Anwalt<br />
Kerviels und einer der bekanntesten<br />
Strafverteidiger Frankreichs.<br />
„Ein Mann soll für das System zahlen.“<br />
Kerviel genießt in Frankreich viel<br />
Sympathie. „Das Urteil hätte von der<br />
Société Générale geschrieben sein<br />
können“, empört sich eine Frau, die<br />
den Prozess verfolgt hat. „Je nachdem<br />
ob man mächtig oder arm ist,<br />
wird man <strong>durch</strong> das Urteil des Ge-<br />
richts weiß oder schwarz“, schreibt<br />
Alain Fabre auf der Internet-Seite<br />
der Wirtschaftszeitung „Les Echos“.<br />
„Seit La Fontaine hat sich nichts geändert.<br />
Zwischen dem Ruf der Société<br />
Générale und der Gerechtigkeit<br />
musste eine Wahl getroffen wer-<br />
Als wäre es die französische<br />
Fassung des<br />
Hollywood-Klassikers<br />
„Wall Street“: Skandaltrader<br />
Jérôme<br />
Kerviel (Mitte) wird<br />
von Gendarmen zum<br />
Gerichtssaal gebracht<br />
den. Jérôme Kerviel hat sicher keine<br />
weiße Weste, aber die Société Générale<br />
auch nicht.“ La Fontaine war ein<br />
französischer Schriftsteller des 17.<br />
Jahrhunderts, der mit seinen Fabeln<br />
moralische Missstände anprangerte.<br />
<strong>Die</strong> Höhe des Strafgelds entspricht<br />
genau dem Verlust, den Kerviel damals,<br />
im Jahr 2008, verursacht hatte.<br />
Der Wertpapierhändler hatte seine<br />
Kompetenzen weit überschritten<br />
und größere Positionen aufgebaut,<br />
als ihm zustand. Im Extrem waren es<br />
rund 50 Miliarden Euro, mit denen<br />
er wettete. Das überstieg den Börsenwert<br />
der Société Générale. Um<br />
ein Haar hätte Kerviels missglückte<br />
Milliardenspekulation das 1864 gegründete<br />
Institut um die Existenz<br />
gebracht.<br />
Als aus anfänglichen hohen Gewinnen<br />
horrende Verluste wurden,<br />
versuchte der Banker seine Vergehen<br />
zu vertuschen, unter anderem<br />
indem er Unterschriften seiner Vorgesetzten<br />
fälschte. Zwar habe Kerviel<br />
sich <strong>durch</strong> die Spekulationen<br />
nicht persönlich bereichert, aber er<br />
habe <strong>durch</strong>aus mit einem saftigen<br />
Bonus gerechnet, meinte der Richter.<br />
Schuldig in allen Punkten, lautete<br />
das Urteil: Fälschung, Untreue,<br />
betrügerische Manipulation des<br />
Computersystems. „Jérôme Kerviel<br />
war der Erfinder eines kohärenten<br />
Betrugssystem“, sagte der Richter.<br />
* MITTWOCH, 6. OKTOBER 2010<br />
Wie zahlt man 4,9 Milliarden Euro zurück?<br />
Der französische Wertpapierhändler Jérôme Kerviel hat den größten Spekulationsverlust aller Zeiten verursacht –<br />
Kerviels Anwalt Olivier Metzner steht einem Pulk aus Journalisten Rede und Antwort<br />
<strong>Die</strong> Chronik des Betrugs: Untreue, Fälschung und Datenmanipulation<br />
■ Mit dem Prozess gegen den französischen<br />
Ex-Börsenhändler Jérôme<br />
Kerviel ist gestern einer der bedeutendsten<br />
Wirtschaftsprozesse in Frankreich<br />
zu Ende gegangen. <strong>Die</strong> einzelnen<br />
Etappen des Finanzbetrugs.<br />
■ Januar 2008: <strong>Die</strong> französische<br />
Großbank Société Générale meldet<br />
einen Verlust aufgrund betrügerischer<br />
Machenschaften in Höhe von 4,9<br />
Milliarden Euro. <strong>Die</strong> Bank wirft dem<br />
Börsenhändler Jérôme Kerviel vor, mit<br />
Hilfe von Fiktivgeschäften Risiken<br />
verschleiert zu haben. Ein Ermittlungsverfahren<br />
wird eröffnet.<br />
■ Februar 2008: <strong>Die</strong> Bank erklärt,<br />
dass keine Gelder veruntreut wurden<br />
und dass Kerviel allein gehandelt<br />
habe. Im März wird Kerviel aus der<br />
Untersuchungshaft entlassen.<br />
■ Juli 2008: <strong>Die</strong> Bank-Kommission<br />
legt der Société Générale wegen<br />
gravierender Mängel im Kontrollsystem<br />
REUTERS/CHARLES PLATIAU<br />
eine Strafe in Höhe von vier Millionen<br />
Euro auf.<br />
■ Mai 2010: Kerviel veröffentlicht in<br />
Frankreich seine Memoiren.<br />
■ Juni 2010: Der Prozess gegen<br />
Kerviel wegen Untreue, Fälschung und<br />
betrügerischer Computerdatenmanipulation<br />
beginnt.<br />
■ Oktober 2010: Ein Pariser Gericht<br />
verurteilt den Finanzjongleur.<br />
Er habe sein Limit wissentlich weit<br />
überschritten, finanzielle Transaktionen<br />
vorgegaukelt, um Risiken zu<br />
kaschieren, die Mängel im System<br />
gekonnt ausgenutzt. „Er hat sich den<br />
Ruf verschafft, effizient zu sein und<br />
war bei seinen Vorgesetzten beliebt“,<br />
sagte der Richter. Er habe perfekt<br />
den Jargon drauf gehabt und damit<br />
die Kontrollinstanzen in Sicherheit<br />
gewogen.<br />
<strong>Die</strong> Strafe von 4,9 Milliarden Euro<br />
ist symbolisch. Damit signalisiert<br />
das Gericht, dass es die Schuld allein<br />
bei Kerviel sieht. Bei seinem derzeitigen<br />
Monatsgehalt von 2300 Euro<br />
müsste er knapp 180 000 Jahre dafür<br />
arbeiten. Wäre der Bank eine Mitschuld<br />
zugesprochen worden, hätte<br />
dies das französische Bankensystem<br />
erschüttern können. Unter Umständen<br />
hätten die Institute ihre Trader<br />
in den lukrativen Handelsabteilungen<br />
strengen Restriktionen unterwerfen<br />
müssen. Viele Institute erwirtschaften<br />
einen Großteil ihrer<br />
Gewinne im sogenannten Eigenhandel,<br />
wo auch Kerviel tätig war.<br />
Kerviels Anwalt kündigte Berufung<br />
an. Sein Mandant wirkte im Gerichtssaal<br />
ein wenig, als sei er auf einer<br />
Beerdigung: schwarzer Anzug,<br />
schwarze Krawatte, die Arme vor<br />
dem Oberkörper verschränkt. Der<br />
33-Jährige verfolgte die knapp einstündige<br />
Verlesung der Urteilsbegründung<br />
aufmerksam und fast regungslos.<br />
Ab und zu verriet sein<br />
wippender Fuß die innere Ungeduld.<br />
„Ein ausgeglichenes Wesen,<br />
keine seelischen Probleme“, hatten<br />
die psychologischen Experten befunden.<br />
Wer eine große Bankenschelte<br />
seitens des Richters erwartet<br />
hatte, wurde enttäuscht. Hier<br />
und da gab es Kritik an Unzuläng