stilsicher 16 business-lunch: Wo bleiben die Manieren? Von Vera Sohmer. Obwohl Benimmkurse boomen, haben viele Geschäftsleute schlech te Manieren. Gröbste Unsitte unserer Zeit: Tele fonieren beim Businesslunch. Experten fordern ein Mobiltelefon-Verbot für Restaurants. Und einen Handy-Knigge.
Das kultivierte Tischgespräch wird plötzlich unterbrochen durch Technobeat und Samba-Rhythmen. Derart laut, dass der Marketing-Managerin vor Schreck der Löffel ins Broccoli-Schaumsüppchen fällt. Es ist das Handy des Vertriebschefs, das mal wieder klingelt. Wild gestikulierend brüllt er auf das Gerät ein, stopft sich derweil den Mund mit Salatblättern voll – und quas selt hemmungslos weiter. Ein überzeichnetes Bild? Nein – oftmals Realität beim Busi ness lunch. «Die guten Manieren sind verloren gegangen, sogar das obere Kader benimmt sich schlecht», sagt Doris Pfyl (siehe Nachgefragt). Sie bietet Benimmkurse für Geschäftsleute an – und beobachtet zuweilen «schaurige Dinge». In den edelsten Lokalen läuten und piepsen die Smartphones, werden Mails und SMS gecheckt, Termine abgemacht. Und Weingläser müs sen weichen, weil Laptops aufgeklappt werden. Doch da mit nicht genug: Teilnehmer von Geschäfts essen verlieren biswei len auch die Haltung. Sie fläzen sich in den Stuhl, beugen sich übers Gedeck und ignorieren jene simple Regel, die man bereits im Kindergarten lernt: Ellenbogen vom Tisch! Eine Frage des charakters. Was sich in keinem Knigge-Kurs ler nen liesse, sei Höflichkeit und Respekt im Umgang mit den Mitmenschen, sagt Kurt Weissen, der als Headhunter arbeitet. Wie man mit anderen umgeht, sei vor allem eine Frage des Charakters und der Einstellung, also der Erziehung. Peter Beutler, Trainer für Persönlichkeitsentwicklung, ist sich sicher: Viele Berufstätige hätten den Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln nie gelernt. Beutler ortet darin eine der Ursachen für schlechtes Benehmen. «Die meisten Leute sind schlicht überfordert», sagt er. Ihnen fehle der Mut, ein, zwei Stunden nicht erreichbar zu sein. Sie verstossen damit ge gen eine der wichtigsten Regeln guten Benehmens: Bei Tisch wird gegessen und Konversation geübt – mit den Leuten, die einem gegenüber sitzen, wohlverstanden. Warum? Weil Telefongespräche im Restaurant generell stören und oftmals ausgerechnet jene Leute vor den Kopf stossen, die zum Essen eingeladen haben. regeln sind notwendig für den umgang mit smartphone und laptop. Peter Beutler thematisiert in seinen Benimmkursen deshalb auch den «Handy-Knigge» (siehe rechts). Und der Coach findet, dass ein paar Grundsätze zum Thema Benehmen in Firmen-Leitbildern angebracht wären: Wer gute Manieren vermissen lässt, ist für sein Unternehmen schliesslich ein miserabler Repräsentant. Zu reden gab kürzlich ein Vorfall im Zürcher Nobelrestaurant Kronenhalle. Er steht symptomatisch für die Konflikte rund um die moderne Kommunikation: «Kronenhalle»- Direktor Andreas Wyss hatte eine Frau im Restaurant auf- gefordert, ihren Laptop wieder einzupacken. «Wir sind ein Speiselokal und kein Büro», erklärte er gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Es sei schon schlimm genug, dass auf den gedeckten Tischen überall Handys liegen würden. hANDy-KNiGGE «es gibt führungskräfte, die glauben, gutes benehmen und etikette nicht mehr nötig zu haben, nachdem sie es nach oben geschafft haben. es macht sich eine gewisse arroganz breit.» STECKEN LASSEN. Das Handy während eines Gesprächs auf den Tisch legen: Besser können Sie kaum zeigen, dass je ne Per so nen, die Ihnen gegenübersitzen, allenfalls eine Nebenrolle spielen. Denn Sie signalisieren Bereitschaft, einen Anruf entgegenzunehmen und dafür die Unterhaltung jederzeit zu unter brechen. Deshalb: Lassen Sie das Mobiltelefon in der Tasche stecken. LEISER MACHEN. Handy-Benutzer schöpfen nicht nur gerne aus dem reichen Fundus unvergessener Melodien, um mit Klingeltönen aufzufallen, sondern stellen sie oft auch viel zu laut ein. Deshalb: Regulieren Sie die Lautstärke! Übrigens: Auch die menschliche Stimme lässt sich punkto Laut stärke anpassen. Nicht alle müssen mitbekommen, dass der Arbeitskollege im Meeting gepatzt hat. ABSCHALTEN. Ihr elektronischer Begleiter hat nicht nur eine Laut stärke-Regulierung, sondern auch eine Taste zum Ausschalten. Empfehlung: öfter benutzen! Immer, wenn Sie mit Kunden und Geschäftspartnern essen gehen. Auch in Sitzungen und Verhandlungen macht man die Geräte aus. Es ist unanständig und respektlos, während eines offiziellen Termins Telefonate zu führen. Und grotesk, einen Anruf nur entgegenzunehmen, um den Anrufer wissen zu lassen, dass man das Telefongespräch jetzt gerade nicht führen kann. DAUMEN RUHIG HALTEN. Was fürs Telefonieren gilt, ist uneingeschränkt auch fürs SMS-Schreiben gültig. Eine Regel, die insbe sondere jüngere Semester verinnerlichen sollten. Dass deren Daumen treffsicher und im Affenzahn über die Handy- Tasten huscht, zeugt zweifellos von Medienkompetenz. Unter Knigge-Todsünde läuft jedoch, Kurznachrichten zu tippen, während man isst oder mit jemandem redet. Es ist ebenso tabu, wie nebenbei Mails zu checken oder auf dem Smartphone die neuesten Schlagzeilen abzurufen.