mailing.150_Jubiläumsausgabe - Gruner AG
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<strong>mailing.150</strong><br />
Hansruedi Berchtold, dipl. Bauing. ETH<br />
Flavio Casanova, dipl. Bauing. ETH/SIA<br />
David Geng, Dipl. Bauing. FH, Schweissfaching. EWE<br />
Peter Imbach, dipl. Bauing. ETH<br />
Adrian Keller, lic. iur. Advokat<br />
Johannes Kretzschmar, Dipl.-Ing. (TH) Architekt<br />
Patrick Martin, Dr. rer. nat., Dipl.-Geologe<br />
Jörg Meier, Dr.-Ing.<br />
Jon Mengiardi, dipl. Bauing. ETH, MSc Environmental Engineering DTU<br />
Sebastian Müller, Dipl.-Ing. FH<br />
Stefan Mützenberg, Dr. sc. nat., dipl. Geologe ETH<br />
Stefan Nievergelt, dipl. Bauing. ETH/SIA, EMBA<br />
Laurent Pitteloud, dipl. Bauing. ETH/SIA<br />
Marco Richner, Dipl.-Ing. (Univ.), MAS Business Eng. Mgmt.<br />
Markus Ringger, Dr. phil., Physiker SIA<br />
Karl-Heinz Schädle, Dipl.-Ing. (FH) Maschinenbau<br />
Erwin G. Schnell, Dipl.-Ing. (TU) aer., Luft- und Raumfahrttechnik<br />
Markus Weber, dipl. Elektroing. FH/SIA, Betriebsing. ISZ/SIB<br />
Patrick Winzer, Dipl.-Ing.<br />
Thomas Winzer, Dr.-Ing. (TH)
Inspirierend für<br />
herausragende<br />
Leistungen.
Inhaltsverzeichnis<br />
> Städtebau<br />
10 Basel gewinnt den World City Award<br />
14 Bauzonen in der dritten Dimension<br />
18 Das digitale Gebäudemodell<br />
20 Leipziger Visionen zwischen Realität und Utopie<br />
> Energie<br />
26 Die Lösungen der Zukunft sind Bio-Logisch<br />
30 Nachhaltiges Bauen – in Zukunft Standard<br />
32 Die Energiewende – ein Rückblick aus dem Jahr 2062<br />
34 Energie aus der Erde<br />
> Verkehr<br />
42 Verkehr der Zukunft: Pulkfahren mit E-Fahrzeugen<br />
45 Alternative Seilzug<br />
46 Individuell im fremdgesteuerten Konvoi<br />
> Technik<br />
50 Die Symbiose namens Biogrout<br />
54 Quo vadis, Geotechnik?<br />
56 Digitale Prototypen und virtuelles Engineering in der Bauindustrie<br />
62 Schall liegt in der Luft<br />
64 Ein Tag im Leben<br />
66 Zeitreise
Innovativ für<br />
die Welt<br />
von morgen. morgen.
Editorial<br />
Visionäre Ideen für die Welt von morgen<br />
Die Geschichte der <strong>Gruner</strong>-Gruppe ist geprägt von Visionen und deren Umsetzung.<br />
Das wohl bekannteste Beispiel ist der Gotthard-Basistunnel. Der Visionär und Planer<br />
Eduard <strong>Gruner</strong> (1905–1984) hatte die Idee des Gotthard-Basistunnels schon vor über<br />
65 Jahren skizziert und 1947 in seinem Aufsatz mit dem Titel «Reise durch den Gotthard-Basistunnel<br />
im Jahr 2000» publiziert. Heute, 65 Jahre später, wird die Umsetzung<br />
der Vision als Jahrtausendereignis gefeiert.<br />
Wie Eduard <strong>Gruner</strong> einst mit seinem Traum des Gotthard-Basistunnels zur Zukunft<br />
beigetragen hat, haben viele kluge Köpfe mit ihren Visionen die Welt von morgen<br />
geprägt. Einer der grössten war Leonardo da Vinci. Seine Vision vom Fliegen wurde<br />
erst 400 Jahre später Wirklichkeit.<br />
Als Ingenieure, Planer und Naturwissenschaftler liegt es in unserem Naturell, dass<br />
wir neugierig und kritisch zugleich die Umwelt und die Gesellschaft beobachten.<br />
Dies erlaubt uns stets, frühzeitig neue Entwicklungen aufzuspüren und in die Realität<br />
umzusetzen. Das wollen wir auch künftig tun, um so die Zukunft unseres Unternehmens<br />
zu sichern und gleichzeitig einen Beitrag für die Welt von morgen zu<br />
leisten.<br />
Im Rahmen des Jubiläumsjahres haben wir unsere Mitarbeitenden gebeten, ihre Vorstellung<br />
der Zukunft zu skizzieren und einen Weitblick in das Jahr 2062 zu wagen.<br />
Mit dem Jubiläumsband teilen wir diese Ideen mit Ihnen. Das <strong>mailing.150</strong> setzt sich<br />
mit visionären Themen aus den Bereichen Städtebau, Energie, Verkehr und Technik<br />
auseinander. Dabei werden gedankliche Fesseln gesprengt.<br />
Wir können heute nur erahnen, wie sich die Welt bis ins Jahr 2062 entwickeln wird.<br />
Wir wissen aber, dass es auch in der Zukunft herausragende Leistungen von kreativen<br />
und leidenschaftlichen Menschen benötigen wird, welche in einer fruchtbaren Umgebung<br />
mit Hingabe das Feld für eine erfolgreiche Zukunft bestellen. Menschen stehen<br />
im Zentrum der <strong>Gruner</strong>-Gruppe. Als attraktiver Arbeitgeber bieten wir unseren<br />
motivierten Mitarbeitenden heute und in der Zukunft ein Arbeitsumfeld, welches<br />
visionäre Ideen zulässt.<br />
Wir wünschen Ihnen bei der Lektüre inspirierende Momente.<br />
Flavio Casanova<br />
Vorsitzender der Gruppenleitung<br />
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Städtebau<br />
In 50 Jahren sind die Städte weitgehend autofrei. Sämtliche Gebäude werden,<br />
nachdem sie virtuell getestet wurden, in Niedrigenergiebauweise erstellt. Nach<br />
Möglichkeit wird der Raum unter der Erde genutzt. Utopistische Träumereien<br />
oder bald Realität? Visionen kennen keine Grenzen. Fakt ist, die Zukunft hat bereits<br />
begonnen.<br />
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Basel gewinnt den World City Award<br />
Als sei es zum 200-Jahre-Jubiläum der <strong>Gruner</strong>-Gruppe bestellt worden, gewinnt Basel den<br />
World City Award. Massgebende Kriterien bei der Jurybewertung waren Wohnattraktivität,<br />
wirtschaftliche Prosperität, infrastrukturelle Rahmenbedingungen, Versorgung, politische und<br />
soziale Stabilität sowie Energieeffizienz. Basel ist es gelungen, mit einer langfristig orientierten<br />
und konsequent umgesetzten Stadtentwicklung namhafte Wettbewerber hinter sich zu lassen.<br />
<strong>Gruner</strong> stand der Stadt dabei beratend und in der Umsetzung als zuverlässiger Partner zur Seite.<br />
Flavio Casanova, Adrian Keller, Marco Richner, Johannes Kretzschmar, <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>, Basel<br />
> Städtebau Energie Verkehr Technik<br />
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und Arbeiten Woh<br />
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Arbeiten<br />
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Woh ohnen<br />
und d Arbeiten<br />
Die Stadt mit Zentrumsfunktion<br />
Basel hat eine bevorzugte Lage am Rheinknie im Dreiländereck.<br />
In diesem Raum hat sich die Stadt als Zentrum<br />
etabliert. Sie verbindet mit ihrer kulturellen Offenheit<br />
und ihren ausgezeichneten Infrastrukturen die Schweiz<br />
mit Europa und der ganzen Welt. Die umliegenden<br />
Regionen einigten sich auf eine gemeinsame politische<br />
Agenda und richteten ihre raumplanerischen Massnahmen<br />
und Investitionen auf das Zentrum Basel aus. Attraktive<br />
Rahmenbedingungen und der Zugang zu ausgezeichnet<br />
ausgebildeten Fachkräften führen dazu, dass Basel seine<br />
weltweit herausragende Position im Bereich Life Sciences<br />
gefestigt hat. Die ETH ist in Basel als Ausbildungs-<br />
stätte von hoch qualifizierten Fachkräften fest etabliert.<br />
Menschen aus unterschiedlichen Kulturen leben und<br />
arbeiten in Basel. Die Stadt hat dies flankierend mit<br />
raumplanerischen Massnahmen wie der Durchmischung<br />
verschiedenster Wohnformen und der geschickten<br />
Anordnung von Wohn- und Arbeitszonen unterstützt.<br />
4.6.<br />
<strong>mailing.150</strong> 11
Städtebau Energie Verkehr Technik<br />
Quelle: Bundesamt für Landestopografie<br />
EuroAirport<br />
062<br />
12 <strong>mailing.150</strong><br />
Hauptbahnhof<br />
unterirdisch<br />
Legenden Bahnlinien<br />
Heute (oberirdisch, bestehend)<br />
Heute (unterirdisch, bestehend)<br />
2062 (oberirdisch, neu)<br />
2062 (unterirdisch, neu)<br />
Grenze<br />
Z/Q-Güter<br />
Katzenbergtunnel<br />
Transit-Güterverkehrsstrecke<br />
S-Bahnhof Bad. Bhf.<br />
unterirdisch<br />
Z/Q-Güter<br />
Die Stadt der kurzen Wege<br />
Die Jury unterstreicht die Leistung im Bereich einer<br />
nachhaltigen und ausgewogenen Abstimmung von Verkehrsnachfrage<br />
und -angebot im Umfeld einer zunehmenden<br />
Mobilität. Basel ist es gelungen, durch eine<br />
konsequente Verdichtung in der Horizontalen und der<br />
Vertikalen einen städtischen Raum mit hohem Lebenswert<br />
zu schaffen und gleichzeitig die nachgefragten Wohnbedürfnisse<br />
in einem urbanen Raum zu befriedigen.<br />
Die in der Fachwelt seit langem proklamierte Stadt der<br />
kurzen Wege wurde zur Realität. Es ist möglich, weitgehend<br />
auf die Nutzung des motorisierten Individualverkehrs<br />
zu verzichten, da eine Durchmischung der<br />
Nutzungen bei gleichzeitig hoher Dichte die Anzahl der<br />
räumlichen Gelegenheiten maximiert und den Langsamverkehr<br />
prädestiniert. Innerhalb des Stadtzentrums<br />
wird auf die Ausscheidung von neuen Grünflächen verzichtet,<br />
um konsequent die Verdichtung nach innen zu<br />
fördern. Beispielhaft in Basel ist die Entflechtung von<br />
Verkehrsinfrastruktur und Wohnraum. Mit einem konsequenten<br />
Ansatz ist es der Stadt gelungen, der Verkehrsinfrastruktur<br />
zunehmend eine dienende und nicht mehr<br />
eine prägende Rolle zuzuordnen. Damit wurden erstklassige<br />
Wohnlagen geschaffen, ohne dabei die Versorgungsqualität<br />
von Bevölkerung und Wirtschaft einzuschränken.<br />
Basel wirkt in sich homogen.
Ein Blick zurück<br />
Visionäre Ansätze aus dem traditionsreichen und<br />
weltweit tätigen Planungsunternehmen <strong>Gruner</strong> trugen<br />
massgebend zu dieser Entwicklung bei.<br />
Transit-Güterschienenverkehr<br />
Es ist in den letzten Jahrzehnten gelungen, den Transit-<br />
Güterschienenverkehr weitläufig um den städtischen<br />
Raum zu führen, indem er nördlich von Weil am Rhein<br />
abgezweigt und unterirdisch in den Raum Fricktal<br />
geführt wird. Die regionale Versorgung des Ziel- und<br />
Quellverkehrsaufkommens (Z/Q-Güter) führt schienenseitig<br />
über den Containerterminal Basel Nord und die<br />
Rangierbahn höfe Weil und Muttenz. Der Rangierbahnhof<br />
Muttenz wurde in der Vergangenheit erheblich redimensioniert<br />
und lässt verschiedene Umschlagsformen<br />
zu. Im Gellertdreieck wird die Autobahn über die Osttangente<br />
unterirdisch geführt. Dort und im Bereich<br />
Heuwaage haben sich attraktive Wohn- und Arbeitslagen<br />
ergeben. Mit dem durch die Massnahmen entstandenen<br />
Gestaltungsraum für städtische Wohn- und Arbeitsräume<br />
konnten die hohen Investitionen für diese verkehrstechnischen<br />
Massnahmen beinahe kompensiert werden.<br />
Zusätzlich wurde im Gebiet des ehemaligen Rangierbahnhofes<br />
Muttenz Raum für den neuen, grosszügig angelegten<br />
Zoologischen Garten geschaffen.<br />
Unterirdische Bahnhöfe<br />
Ein weiteres Kernstück der städtebaulichen Entwicklung<br />
ist der unterirdische Hauptbahnhof SBB, welcher als<br />
Durchgangsbahnhof konzipiert ist. Der internationale<br />
Fernverkehr nach Deutschland und Frankreich führt<br />
direkt zum EuroAirport. Er wird über die neu erstellte<br />
Rheinquerung Richtung Karlsruhe geführt. Der Badische<br />
Bahnhof ist ein zentrales Element im leistungsfähigen<br />
S-Bahn-Netz, welches mit einer durch das Herz von<br />
Basel führenden Linie mit dem südlichen S-Bahn-Netz<br />
verbunden ist. Ab dem unterirdischen Badischen Bahnhof<br />
gelangt man mit S-Bahn-Linien in den Schwarzwald.<br />
Er verknüpft die Linien des rechten Rheinufers mit<br />
jenen aus dem Wiesental. Diese Konzeption ermöglichte<br />
es, die Bahnlinie entlang der Osttangente einschliesslich<br />
der Rheinquerung aufzuheben. Die konsequente<br />
Tieferlegung der Bahninfrastruktur ermöglichte es, Raum<br />
zu schaffen für neue Entwicklungsgebiete mit prägenden<br />
Hochbauten. Die Lebensqualität hat sich damit massiv<br />
erhöht.<br />
Überdeckte Nationalstrasse<br />
Mit der Aufhebung der Bahnlinie im Gellertdreieck bot<br />
sich die Gelegenheit, die vorhandene Nationalstrasse<br />
zu überdecken. Völlig unbehelligt vom Anblick der<br />
Autobahn gelangt man nun vom Gellertquartier in das<br />
Naherholungsgebiet an der Birs. Die neu gestaltete<br />
doppelstöckige Rheinbrücke und der neue, vor dem<br />
Kaufhaus der S-Bahn-Station Badischer Bahnhof entlang-<br />
führende Schwarzwaldtunnel lassen vergessen, dass<br />
vor Jahren die Nationalstrasse zwischen dem Hirzbrunnen-<br />
und dem Wettsteinquartier eine solche Entwicklung<br />
verhinderte.<br />
Hafen Kleinhüningen<br />
Der ehemalige Hafen Kleinhüningen lädt mit seinen<br />
mediterran anmutenden Wasserwegen und Wohnbauten<br />
zum Schlendern ein und verleiht der Stadt zusätzliche<br />
Dynamik. Die Umschlagsaktivitäten werden im ausgebauten<br />
Auhafen konzentriert. Die Rheinschifffahrt wird<br />
durch diese Konzentration gestärkt.<br />
Trotz der immensen baulichen Entwicklung ist Basel eine<br />
grüne Stadt geblieben. Die bestehenden Parkan lagen<br />
lockern das Stadtbild auf und laden zum Verweilen ein.<br />
Das intakte Umland bietet in kurzer Entfernung attraktive<br />
Naherholungsgebiete, welche mit dem öffentlichen<br />
Nahverkehr und dem Fahrrad gut zu erreichen sind.<br />
<strong>mailing.150</strong> 13
Städtebau Energie Verkehr Technik<br />
Bauzonen in der dritten Dimension<br />
Im Zeitalter von Facebook, Twitter, Foursquare & Co. versuchen wir unsere sozialen Netzwerke<br />
zu vergrössern und zu verdichten, gleichzeitig streben wir in unserem bebauten Lebensraum<br />
nach Weite und Abgeschiedenheit. Dies, obwohl uns die daraus resultierenden Konsequenzen<br />
bekannt sind. Mit der Anpassung der heutigen Bau- und Zonenordnung wird diesem Trend nun<br />
ein Ende bereitet. Stefan Nievergelt, <strong>Gruner</strong> + Wepf Ingenieure <strong>AG</strong>, Zürich<br />
14 <strong>mailing.150</strong>
In der Schweiz wird jede Sekunde ein Quadratmeter<br />
Boden verbaut. Experten für Siedlungsentwicklung und<br />
Städtebau warnen schon seit geraumer Zeit vor den<br />
Gefahren des unkontrollierten Wachstums der Wohnfläche.<br />
Dies, obwohl im Zuge des verdichtenden Bauens<br />
die Zonenordnung auf die heutige Nachfrage abgestimmt<br />
und angepasst wird. Der erhoffte Erfolg bleibt<br />
bis heute jedoch aus. Die Zersiedelung in der Schweiz<br />
schreitet weiter voran.<br />
«Dicht», das ist Enge, wenig Platz, kein Durchkommen.<br />
Zwängt sich der Mensch von heute gerne in volle öffentliche<br />
Verkehrsmittel? Lebt und arbeitet er gerne in<br />
dicht besiedelten Städten? Denken wir beim verdichtenden<br />
Bauen an «zubetonieren» und den Verlust von<br />
Lebensqualität?<br />
Die Vorteile lägen auf der Hand. Belebte Stadtteile<br />
mit einer guten Durchmischung von Arbeit, Wohnen und<br />
Freizeit. Kurze Wege und damit geringe Emissionen.<br />
Optimale und effiziente Ausnutzung der Infrastruktur.<br />
Das Wohnen in der dicht besiedelten Stadt hat, zu<br />
Unrecht, ein schlechtes Image.<br />
<strong>mailing.150</strong> 15
Städtebau Energie Verkehr Technik<br />
Bauzonen in der dritten Dimension_Obwohl wir im Zeitalter von Facebook,<br />
Twitter, Foursquare & Co. versuchen unsere sozialen Netzwerke zu vergrš ssern<br />
und zu verdichten, streben wir in unserem bebauten Lebensraum nach Weite<br />
und Abgeschiedenheit. Dies obwohl uns die daraus resultierenden<br />
Konsequenzen bekannt sind. Mit der Anpassung der heutigen Bau- und<br />
Zonenordnung wird diesem Trend nun ein Ende bereitet.<br />
16 <strong>mailing.150</strong><br />
Vision heute,<br />
Stadt von morgen<br />
PARKEN<br />
PARKEN PARKEN<br />
PARKEN<br />
PARKEN<br />
PARKEN<br />
PARKEN<br />
ARBEITEN MISCHZONE Wohnzone<br />
In der Sch<br />
Wachstum<br />
blieb bis<br />
Was fŠ llt u<br />
StŠ dten? D<br />
Dabei lieg<br />
der Infrast<br />
Das Wohn<br />
Eine Zone<br />
Mit den he<br />
Es muss e<br />
In der Bau<br />
Und gerad<br />
wird nicht<br />
beschreib<br />
Der umba<br />
Die besteh<br />
GebŠ uden<br />
† ber unte<br />
Parkhäuse<br />
Eine dritte<br />
ausschlies<br />
schon in F<br />
Die vorhan<br />
bodennah<br />
Verkehrse<br />
ermöglich<br />
Vision he<br />
Mit der Bil<br />
Innovation<br />
Die heute
Eine Zonenordnung für die dritte Dimension<br />
Mit den heutigen Gesetzen und Richtlinien für die<br />
bebaute Umwelt soll der fortschreitenden Zersiedelung<br />
Einhalt geboten werden. Dabei werden jedoch zu viele<br />
Kompromisse eingegangen. Es muss ein Paradigmenwechsel<br />
stattfinden.<br />
In der Bauzonenordnung wird nur die Nutzung der<br />
bebaubaren Fläche vorgeschrieben. Die Höhe ist alleine<br />
durch die Anzahl Geschosse begrenzt. Die Nutzung<br />
bleibt über das gesamte Bauwerk dieselbe. Gerade in<br />
der Begrenzung der Höhe besteht der Widerspruch zum<br />
verdichtenden Bauen. Nicht die Höhe sollte reguliert<br />
werden, sondern die Nutzung in den verschiedenen<br />
Ebenen. Der Lebensraum wird nicht nur in der Ebene<br />
erschlossen, sondern auch in der Höhe bzw. Tiefe.<br />
Es soll eine Zonenordnung entwickelt werden, die vom<br />
Untergeschoss bis zu den obersten Geschossen deren<br />
Nutzung beschreibt.<br />
Der umgebaute Lebensraum<br />
auf verschiedenen Ebenen<br />
Die bestehende öffentliche Verkehrsinfrastruktur wird<br />
in das neue Städtekonzept eingegliedert und ermöglicht<br />
die Erschliessung über mittlere und längere Distanzen.<br />
Zugunsten von mehr Freiflächen zwischen den<br />
Gebäuden wird der Individual- und der Zulieferverkehr<br />
in den Untergrund verschoben. Die bestehenden Tiefgaragen<br />
werden über Verbindungstunnels miteinander<br />
verknüpft. Über unterirdische Ringstrassen mit vereinzelten<br />
Einfallachsen wird ein schnelles und über die<br />
gesamte Untergrundebene erreichbares Netz erschaffen.<br />
Road-Pricing und platzsparende, vollautomatische<br />
Parkhäuser an den Einfahrtsachsen sollen einerseits<br />
Anreize zur Nutzung des öffentlichen Verkehrs schaffen<br />
und andererseits die dafür erstellte und zu unterhaltende<br />
Infrastruktur finanzieren.<br />
Eine dritte Verkehrsebene wird in luftiger Höhe eingerichtet.<br />
Ob nun mittels Verbindungsbrücken, über<br />
Windströme stabilisierte Kanäle oder neuartige Seilkonstruktionen:<br />
Diese Erschliessungszone dient ausschliesslich<br />
dem sogenannten Langsamverkehr für kurze<br />
bis mittlere Distanzen; Fussgänger, Velos, Rollerblades,<br />
elektrisch betriebene Kleinstfahrzeuge oder Rollbahnen<br />
in der Art, wie man sie heute schon in Flughäfen<br />
kennt, aber auch Seilbahnen, die lautlos und schnell<br />
durch die Luft gleiten.<br />
Die vorhandene Bausubstanz wird, wo sinnvoll, nicht<br />
abgebrochen, sondern von Hochhäusern umbaut und die<br />
Nutzung entsprechend angepasst. Das Arbeiten findet<br />
in den bodennahen Geschossen statt. Ab dem 10. Obergeschoss<br />
beginnt die sogenannte Mischzone. Hier finden<br />
das Freizeit- bzw. Kulturangebot und das Einkaufs-<br />
bzw. Gastgewerbe ihren Platz. Die dritte Verkehrsebene<br />
befindet sich auf demselben Niveau. Darüber, in sonniger<br />
Lage, beginnt die Wohnzone. Die Dächer werden für<br />
einen nachhaltigen Betrieb der Infrastruktur und als<br />
Erholungsfläche der Einwohner der vertikalen Stadt zu<br />
Grünflächen ausgebaut.<br />
Vision heute, Stadt von morgen<br />
Mit der Bildung verschiedener Verkehrsebenen wird<br />
ein Netz zwischen den integralen Wohn-, Misch- und<br />
Arbeitstürmen gespannt. Diese interagieren und<br />
pulsieren wie Cluster mit unaufhaltsamer Innovationskraft.<br />
Die heute noch virtuellen Netzwerke von Freunden<br />
und Geschäftspartnern im World Wide Web finden<br />
sich in den Städten von morgen wieder.<br />
<strong>mailing.150</strong> 17
Städtebau Energie Verkehr Technik<br />
Das digitale Gebäudemodell<br />
Die Vorteile des digitalen Engineerings: virtuelles Probewohnen, vernetzte Bauinformationen,<br />
tiefere Kosten. Markus Weber, Kiwi Systemingenieure und Berater <strong>AG</strong>, Dübendorf<br />
Das Gebäude im Jahr 2050<br />
Die Gebäude des Jahres 2050 werden so intelligent<br />
gebaut sein, dass sie kaum noch Bedarf an zusätzlicher<br />
Wärme haben. In ihrem Innern gibt es Lichthimmel und<br />
transparente Lichtwände aus leuchtenden Kunststoffen<br />
sowie wandfüllende Displays, die auf Sprach- oder<br />
Bewegungsbefehle hin die dreidimensionale Welt des<br />
neuen Internets eröffnen. 3-D-Spielfilme sind eine<br />
Selbstverständlichkeit, ebenso wie virtuelle Kaufhausbummel,<br />
Museumsbesuche oder Fantasy-Spielwelten –<br />
so real, als wäre man vor Ort. Universitäten bieten<br />
weltweites Lernen an: am Vormittag eine Vorlesung in<br />
Tokio, am Abend ein Seminar in Harvard – mit dem Internet<br />
von morgen kein Problem. So wird die Zukunft in<br />
«Pictures of the Future» prophezeit, der Zeitschrift für<br />
Forschung und Innovation von Siemens.<br />
Aber wie werden diese Gebäude geplant und realisiert?<br />
Welche Innovationen werden die heute bekannten<br />
Prozesse verändern? Zieht man Analogien zu anderen<br />
Wirtschaftszweigen, wird auch im Planen, Bauen und<br />
18 <strong>mailing.150</strong><br />
Bewirtschaften von Gebäuden eine weitergehende<br />
Automatisierung Einzug erhalten, demgegenüber aber<br />
neue Jobs im Bereich Software und Dienstleistungen<br />
geschaffen. Digitales Engineering, d.h. die digitale<br />
Vernetzung aller Stufen der Wertschöpfungskette, heisst<br />
die Herausforderung.<br />
Virtuell entwickelt<br />
Das Gebäude im Jahr 2050 wird virtuell entwickelt, mit<br />
virtuellen Simulatoren getestet, durch die Nutzer virtuell<br />
bewohnt und mit diesen «virtuellen Ergebnissen»<br />
laufend optimiert, bevor es in der realen Welt gebaut<br />
wird. Dabei werden die Erfahrungen von anderen gebauten<br />
Gebäuden, eingesetzten Produkten und Technologien<br />
online mitberücksichtigt. Virtuelle Modelle<br />
werden das Planen wesentlich vereinfachen und damit<br />
nicht nur Kosten sparen, sondern auch Fehlerquellen<br />
minimieren.<br />
Im Zentrum jedes Gebäudes wird eine einzige gemeinsame<br />
Datenbasis stehen, auf die nicht nur die Planer,
sondern auch die Lieferanten und Entwickler von Produkten<br />
und Technologie Zugriff haben. Diese in den Phasen<br />
Konzeption, Planung, Realisierung bis hin zur Inbetriebsetzung<br />
laufend wachsende Datenbasis wird auch<br />
danach laufend mit Daten aus der Betriebsphase aktuell<br />
gehalten und steht während des gesamten Lebenszyklus<br />
des Gebäudes zur Verfügung.<br />
Die Datendurchgängigkeit über alle Disziplinen und<br />
über den gesamten Lebenszyklus bringt enorme Vorteile:<br />
So lässt sich die Zeit für die Planung, die spätere Umnutzung<br />
oder die Erneuerung eines Gebäudes deutlich<br />
reduzieren, was Kosten, Energie und Ressourcen spart.<br />
Das Gebäude kann dadurch zu jedem Zeitpunkt nach<br />
ökologi schen und ökonomischen Fragestellungen untersucht<br />
und Alternativen können in Sekundenschnelle<br />
überprüft werden. Alternativen, die vielleicht erst im<br />
Laufe der Nutzung des Gebäudes entwickelt wurden.<br />
Alles immer unter einer ganzheitlichen Sicht mit<br />
gleichwertiger Berücksichtigung von Form/Gestaltung,<br />
Konstruktion, Gebäudetechnik und Kosten.<br />
Industriell gefertigt<br />
Das Gebäude der Zukunft wird systematisch in Module<br />
zerlegt und umfassend integriert. Der überwiegende<br />
Teil des Gebäudes lässt sich dadurch mit einer überschaubaren<br />
Anzahl von kopierbaren Einzelkonstruktionen<br />
und Ausrüstungsmodulen darstellen, ohne die<br />
architektonische Vielfalt einzuschränken. Standardisierung<br />
ist nur dort angebracht, wo ein individueller<br />
Charakter nicht erforderlich ist. Gebäude werden dadurch<br />
zu «gebauten Wiederholungen», ähnlich wie das<br />
heute bereits aus dem Fahrzeug- oder Maschinen bau<br />
bekannt ist. Dabei werden Planungen<br />
weniger gezeichnet und mehr in Datenbanken erfasst.<br />
Gleichzeitig entstehen grosse Potenziale für die<br />
Beschleunigung der Ausführung und die Senkung der<br />
Baukosten. Anstelle der aufwendigen Fertigung auf der<br />
Baustelle tritt die industrielle Vorfertigung in der<br />
Werkstatt.<br />
Agieren wie in einem Computerspiel<br />
Da alle an der Gebäudeentwicklung beteiligten Mitarbeitenden<br />
– auch firmen- und standortübergreifend –<br />
auf dieselbe, stets aktuelle Datenbasis zugreifen, lassen<br />
sie sich noch effektiver in die Entwicklung und<br />
Planung einbinden. Mit dem Einsatz von Virtual Reality<br />
lassen sich zudem Entwicklungsmodelle in einer vom<br />
Rechner erzeugten räumlichen Umgebung massstabsgetreu<br />
betrachten und besprechen.<br />
Ganz neue Dimensionen erreichen wir mit dem Einsatz<br />
von Technologien, wie sie von Videospielen genutzt<br />
werden, um komplexe physikalische Prozesse nachzuahmen<br />
und damit eine realistische Umgebung zu vermitteln.<br />
Dadurch lassen sich komplexe Geometrien und<br />
realistische Bewegungen, aber auch alle möglichen<br />
Umgebungsbedingungen zusammen mit dem Nutzerverhalten<br />
simulieren und so real darstellen, als wäre<br />
man vor Ort.<br />
Entsprechend lassen sich in Zukunft Gebäude in einer<br />
äusserst realistisch anmutenden Umgebung regelrecht<br />
spielerisch entwickeln. Das Programm simuliert das<br />
Gebäudeverhalten in Echtzeit und 3-D, und wie in einem<br />
Computerspiel kann der Planer oder zukünftige Nutzer<br />
in eine laufende Simulation eingreifen.<br />
<strong>mailing.150</strong> 19
Städtebau Energie Verkehr Technik<br />
Leipziger Visionen<br />
zwischen Realität und Utopie<br />
Um Grossveranstaltungen sportlicher und kultureller Art in unmittelbarer Nähe urbaner Zentren<br />
durchführen zu können, bedarf es einer gut funktionierenden Infrastruktur, welche es erlaubt,<br />
hohen Mobilitätsansprüchen gerecht zu werden, ohne dass das öffentliche Leben Einbussen<br />
erleidet oder gar zum Erliegen kommt. Sebastian Müller, <strong>Gruner</strong> + Partner GmbH, Leipzig<br />
Für die Stadt Leipzig und ihre etwas mehr als 500 000<br />
Einwohner stellte sich mit ihrer visionären Olympiabewerbung<br />
2012 die spannende Frage, wie das nur<br />
ca. 3.5 km vom Stadtzentrum entfernte Sport- und Veranstaltungsareal<br />
des Zentralstadions im Falle eines<br />
Zuschlags der Olympischen Spiele verkehrstechnisch so<br />
erreicht und erschlossen werden kann, dass die zu<br />
erwartenden Menschenmengen von bis zu 100 000 Personen<br />
zielgerichtet und sicher geleitet werden können.<br />
Ein Strassenbahntunnel zur Entlastung<br />
Unter der Regie der Leipziger Verkehrsbetriebe, des<br />
städtischen Nahverkehrsanbieters, wurden im Jahr<br />
2004 mit der <strong>Gruner</strong>-Gruppe Überlegungen angestellt,<br />
wie zwischen Leipziger Hauptbahnhof als zentralem<br />
Verkehrs knotenpunkt und dem Areal des Leipziger<br />
Sport forums eine möglichst schnelle und hohe Kapazitäten<br />
aufweisende Verkehrsverbindung für den öffentlichen<br />
Verkehr geschaffen werden kann. Dabei sollte<br />
das öffentliche Leben in den Wohngebieten so wenig<br />
wie möglich beeinträchtigt werden. Für diese Überlegungen<br />
galt es, die Trasse Ranstädter Steinweg –<br />
Waldplatz – Jahnallee verkehrstechnisch optimal zu<br />
gestalten und auszubauen. Ähnlich wie Eduard <strong>Gruner</strong><br />
vor 65 Jahren die Vision eines durchgehenden Gotthard-<br />
Basistunnels hatte, reifte in Leipzig die Idee eines<br />
Strassenbahntunnels unter dem Ranstädter Steinweg<br />
und der Jahnallee heran, dessen Machbarkeit von der<br />
<strong>Gruner</strong>-Gruppe untersucht wurde.<br />
Machbarkeitsstudie zur Absicherung<br />
Die Machbarkeitsstudie zeigt Möglichkeiten der Aufteilung<br />
der Gesamtlänge von ca. 3600 m in offene,<br />
ober irdische Abschnitte und geschlossene Tunnelbereiche<br />
unter Einbeziehung punktueller Haltestellen in<br />
strategisch günstiger Verkehrslage auf.<br />
20 <strong>mailing.150</strong><br />
Inhalt der Machbarkeitsstudie eines konkreten Strassenbahntunnels<br />
unter Ranstädter Steinweg und Jahn allee<br />
sind folgende Fragen und Gesichtspunkte:<br />
– Geologische Gegebenheiten im betroffenen Abschnitt<br />
– Möglichkeiten der Ausführung der Stadtbahntrasse<br />
(offene oder geschlossene Bauweise in oberirdischer<br />
oder Tunnellage)<br />
– Art und Weise der Haltestellenausbildung und<br />
Anbindung der Knotenpunkte<br />
– Einhaltung bzw. Machbarkeit konkreter technischer<br />
Parameter<br />
– Ökologische, umweltgerechte Umsetzung des Bauvorhabens<br />
– Stadtgestaltung/Denkmalschutz<br />
– Einbindung und Untersuchung des Energie- und<br />
Versorgungsnetzes der Versorgungsunternehmen der<br />
Stadt Leipzig<br />
Aus den Überlegungen geht hervor, dass das Projekt<br />
grundsätzlich technisch ausführbar wäre. Abschnittsweise<br />
ist eine Ausführung des Tunnelbauwerkes in<br />
einer offenen Bauart mittels Deckelbauweise denkbar.<br />
Zwischen den angedachten Haltestellen Waldplatz<br />
und Goerdelerring wäre eine geschlossene Bauweise<br />
mit Hydroschild in zwei Röhren möglich.
2012<br />
<strong>mailing.150</strong> 21
Städtebau Energie Verkehr Technik<br />
22 <strong>mailing.150</strong><br />
Ausblick<br />
Mit den technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts<br />
liessen sich die hohen Anforderungen, welche an ein<br />
solch komplexes innerstädtisches Grossbauvorhaben<br />
gestellt wären, sicher qualitäts- und umweltgerecht verwirklichen.<br />
Wie die Geschichte allerdings zeigte, besass<br />
das Gremium des IOC in seiner Entscheidungsfindung<br />
zur Olympiastadt für 2012 nicht den Mut, sein ursprünglich<br />
bevorzugtes Konzept von kompakten Spielen mit<br />
hoher Nachhaltigkeit im überschaubaren Aktions radius<br />
in die Realität und Tat umzusetzen. Bekanntlich wurde<br />
Leipzig im Auswahlverfahren zur Olympiastadt für 2012<br />
wider Erwarten nicht einmal der Status einer Candidate<br />
City zuerkannt. Somit machte am Ende London als grosse<br />
europäische Landeshauptstadt mit seinen fast 10 Millionen<br />
Einwohnern das Rennen. Damit reichte es für Leipzigs
städteplanerische Über legungen zunächst einmal nur<br />
zur Vision, aber wie sagt man schliesslich so schön:<br />
«Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.»<br />
Dennoch wird es so schnell keine neue Leipziger Olympiabewerbung<br />
mehr geben. Ob es in absehbarer Zeit,<br />
sprich in den nächsten 50 Jahren, einer Umsetzung solch<br />
visionärer Ziele eines Strassenbahntunnels spe ziell für<br />
Leipzig bedarf, lässt sich sicher nur an den Ansprüchen<br />
und Zielen, die man als moderne, vielseitig erlebbare,<br />
attraktive Grossstadt an sich und seine mündige Bürgerschaft<br />
stellt, ausmachen und ableiten. Da man immer<br />
an seinen Zielen und Aufgaben wächst, sollte es nicht<br />
vermessen sein, zu sagen, dass keine Idee zu abwegig<br />
erscheint, um nicht in Erwägung gezogen und bestenfalls<br />
verwirklicht zu werden.<br />
2062<br />
<strong>mailing.150</strong> 23
Energie<br />
Wir wollen saubere Luft atmen, sauberes Wasser trinken und uns<br />
schadstofffrei ernähren. Ein angesichts immer knapper werdender<br />
Ressourcen bei gleichzeitig stark ansteigenden Umweltbelastungen<br />
nicht immer leichtes Unterfangen. Fragen zur Nachhaltigkeit<br />
und zur Umwelt sind von brennender Aktualität. Unsere Zukunft liegt<br />
in unseren Händen.<br />
24 <strong>mailing.150</strong>
<strong>mailing.150</strong> 25
Städtebau > Energie Verkehr Technik<br />
Die Lösungen der Zukunft<br />
sind Bio-Logisch<br />
Das Beobachten eines Verkehrskreisels hat etwas Faszinierendes.<br />
Scheinbar wie von unsichtbarer Hand gesteuert<br />
funktioniert er selbst bei sehr hoher Verkehrsbelastung. Keine<br />
Technik, die steuert und regelt, und dennoch oder gerade<br />
deswegen ist der Ablauf erstaunlich wirksam. In ihrer Einfachheit<br />
ist diese Lösung schon fast genial. Und gerade dahinter<br />
verbirgt sich eine der grossen Herausforderungen für unsere<br />
Zukunft: Mit weniger Aufwand Systeme zu gestalten,<br />
die wesentlich mehr können. Jon Mengiardi, <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>, Basel<br />
26 <strong>mailing.150</strong>
Die 8 Grundregeln<br />
der Biokybernetik*<br />
1 Negative Rückkopplung muss über positive<br />
Rückkopplung dominieren<br />
2 Die Systemfunktion muss unabhängig vom<br />
quantitativen Wachstum sein<br />
3 Das System muss funktionsorientiert und<br />
nicht produktorientiert arbeiten<br />
4 Nutzung vorhandener Kräfte nach dem<br />
Jiu-Jitsu-Prinzip statt Bekämpfung nach der<br />
Boxer-Methode<br />
5 Mehrfachnutzung von Produkten, Funktionen<br />
und Organisationsstrukturen<br />
6 Recycling: Nutzung von Kreisprozessen zur<br />
Abfallverwertung<br />
7 Symbiose: Gegenseitige Nutzung von<br />
Verschiedenartigkeit durch Kopplung und<br />
Austausch<br />
8 Biologisches Design von Produkten,<br />
Verfahren und Organisationsformen durch<br />
Feedback-Planung<br />
Ohne es vielleicht bewusst zu realisieren, werden beim<br />
Verkehrskreisel Prinzipien aus der Natur angewandt. Vor<br />
etwa 50 Jahren entstand die Disziplin der Bionik (Kofferwort<br />
aus Biologie und Technik). Bionik ist das systematische<br />
Erkennen von Lösungen der belebten Natur und<br />
steht damit in Abgrenzung zur reinen Naturinspiration.<br />
Als grosser Vordenker der Bionik gilt Leonardo da Vinci.<br />
Die Lösungen der Natur werden heute primär in technischen<br />
Anwendungen nachempfunden. Der Griff in die<br />
Trickkiste der Natur hat zum Beispiel die Aerodynamik<br />
von Flugzeugen oder die Fahreigenschaften von Reifen<br />
verbessert. Dem Entdecker des Lotus-Effekts verdanken<br />
wir Fassaden, die sich wie die Lotus-Blätter selber reinigen,<br />
und Automobile sehen aus wie Kofferfische. Dahinter<br />
steckt die Erkenntnis, dass uns die Natur in Effizienz<br />
und Lösungsstrategien weit überlegen ist.<br />
Jahrmillionen an Evolution haben geniale Lösungen hervorgebracht.<br />
Wie gerne würden wir heute die Effizienz<br />
des Glühwürmchens in unsere Lampen implementieren<br />
(etwa viermal besser als LED) oder die Eigenschaften eines<br />
Spinnfadens nur annähernd reproduzieren können (fester<br />
als Stahl, elastischer als Gummi oder Nylon, zäher als<br />
Kevlar). Noch viel weniger verbreitet ist die Anwendung<br />
der Bionik auf das Design von Systemen (Biokybernetik).<br />
In einer Zeit, in der die heutigen Systeme wie Mobilität<br />
und Energie, aber auch die Wirtschaft mit riesigen Folgewirkungen<br />
zu versagen drohen, wird Funktionieren<br />
zum Schlagwort. Dabei geht es nicht nur darum, die einzelnen<br />
Elemente eines Systems zu optimieren, sondern<br />
insbesondere darum, deren Abhängigkeiten und Wechselwirkungen<br />
richtig zu gestalten. Einer der Vordenker<br />
der Biokybernetik, Frederic Vester*, hat 8 Grundprinzipien<br />
erkannt, die heute aktueller sind denn je.<br />
– Negative Rückkopplung muss über die positive Rückkopplung<br />
dominieren.<br />
– Unabhängigkeit vom Mengenwachstum: Die Systemfunktion<br />
muss unabhängig vom quantitativen Wachstum<br />
sein.<br />
– Funktionsorientiert: Das System muss funktionsorientiert<br />
und nicht produktorientiert sein.<br />
– Jiu-Jitsu: Nutzung vorhandener Kräfte nach dem Jiu-Jitsu-Prinzip<br />
statt Bekämpfung nach der Boxer-Methode.<br />
– Mehrfachnutzung von Produkten, Funktionen und<br />
Organisationsstrukturen.<br />
– Recycling: Nutzung von Kreisprozessen zur Emissionsverwertung.<br />
– Symbiose: Gegenseitige Nutzung von Verschiedenartigkeit<br />
durch Kopplung und Austausch.<br />
– Biologisches Design von Produkten, Verfahren und<br />
Organisationsformen durch Feedback-Planung.<br />
* Frederic Vester, 1999; Die Kunst vernetzt zu Denken<br />
<strong>mailing.150</strong> 27
Städtebau > Energie Verkehr Technik<br />
Dabei gilt es, den einseitigen Blickwinkel aus Sicht von<br />
Bau und Technik, Wirtschaft oder Soziologie zu verlassen<br />
und Natur, Bau und Technik als vernetzte Teile des<br />
Gesamtsystems zu sehen.<br />
Ein System, eine Vielzahl an Zulieferern<br />
Angewandt auf unsere grössten Herausforderungen wie<br />
etwa die Zukunft unseres Energiesystems führen die<br />
Prinzipien zu anderen Lösungen als heute meist präsentiert.<br />
Die Zukunft wird hier vielfältig und intelligent<br />
sein. Ultraleichte Fahrzeuge werden hocheffizient sein,<br />
unsere Gebäude werden vom Dauerverbraucher je nach<br />
Klima und Wetter zu kleinen Kraftwerken. Strom, pro-<br />
E-Mobil<br />
Erzeugung<br />
28 <strong>mailing.150</strong><br />
duziert aus einer Vielzahl von kleinen bis mittleren<br />
Anlagen für erneuerbare Energien wie Sonne, Wind,<br />
Wasser, Erdwärme oder Biomasse, wird sich als sauberer<br />
Energieträger überall durchsetzen. Intelligente<br />
Stromnetze werden in der Lage sein, mit der Vielzahl<br />
von Einspeisern und Verbrauchern umzugehen und dabei<br />
den Speicherbedarf möglichst niedrig halten. Die Bereitstellung<br />
und Integration dieser Speicherkapazitäten<br />
in das Gesamtsystem bildet dabei eine wichtige<br />
Grundvoraussetzung. Der (Strom-)Speicherbedarf wird<br />
mit einer Vielfalt an Lösungen bereitgestellt. Elektrochemische<br />
Stromspeicher gleichen die kurzfristigen<br />
Schwankungen aus, die mittel -bis langfristige Ener-<br />
Erzeugung, Smart Home<br />
Erzeugung<br />
Übertragung Transport<br />
Umwandlung<br />
Erzeugung
giespeicherung erfolgt chemisch, entweder mit Wasserstoff<br />
oder synthetischem Methan. Vor allem für den Betrieb<br />
von Gebäuden werden Wärme speicher zum Einsatz<br />
kommen, welche als kurz-, mittel- und als saisonale<br />
Speicher genutzt werden. Neben dieser baulichen und<br />
technischen Infrastruktur steuern gute, kybernetisch<br />
gestaltete Anreizsysteme den sorgsamen und effizienten<br />
Umgang der bereitgestellten Energie durch den<br />
Menschen. Ein System, bestehend aus einer Vielzahl von<br />
Teilsystemen, ist vergleichbar mit der Idee einer föderalistischen<br />
Struktur.<br />
Erzeugung<br />
Erzeugung<br />
Bauliche<br />
Massnahmen<br />
Nutzung<br />
Konzept<br />
gewünschte Funktionalität (Zielsetzungen)<br />
Projektmanagement<br />
Technische<br />
Massnahmen<br />
Organisat.<br />
Massnahmen<br />
Die Vorteile auf einen Blick<br />
Ein solches System mag zwar nicht so spektakulär sein<br />
wie eine riesige Solaranlage in der Sahara, es bietet<br />
aber vielfache Vorteile. Es ist hocheffizient und äusserst<br />
robust (hohe Betriebssicherheit auch bei Lastschwankungen<br />
oder Ausfall von einzelnen Komponenten),<br />
ist optimiert in Bezug auf schädliche Auswirkungen,<br />
bietet eine hohe und vor allem konfliktfreie Versorgungssicherheit<br />
und ist so mit viel weniger Risiken zu<br />
betreiben. Zudem haben solche Lösungsansätze den Vorteil,<br />
flexibel auf geänderte Bedürfnisse eingehen zu<br />
können. So erscheint heute die Transformation des bis<br />
dato einseitig auf Öl, Gas und Kohle basierenden Energie -<br />
systems als eine der grössten Herausforderungen, die<br />
es zu meistern gilt.<br />
Die Zukunft gehört der Bio-Logik<br />
Das Erarbeiten von solchen bio-logischen Systemen<br />
bietet uns Ingenieuren in Zukunft eine enorme Chance.<br />
Mensch, Bau, Technik und Natur sowie deren Interdependenzen<br />
zu einem funktionierenden Ganzen zusammenzufügen,<br />
ist eine grosse Aufgabe. Aber eine lösbare<br />
Aufgabe. Im Zentrum steht das «Funktionieren». Wer<br />
hätte schliesslich vor 20 Jahren gedacht, dass sich der<br />
Verkehrskreisel so durchsetzt. Heute müssen wir uns<br />
wohl eher fragen: «Warum ist uns das nicht schon viel<br />
früher eingefallen?»<br />
<strong>mailing.150</strong> 29
Städtebau > Energie Verkehr Technik<br />
Nachhaltiges Bauen – in Zukunft Standard<br />
Ökologie bestimmt nicht nur die Mobilitätsagenda, sondern auch Bauen und Wohnen.<br />
Ein ressourcenschonendes Szenario unserer Wohn- und Lebenswelt in 50 Jahren.<br />
David Geng, <strong>Gruner</strong> Ingenieure <strong>AG</strong>, Brugg<br />
Unter die Erde<br />
Werden in der gesamtheitlichen Planung von unterirdischen<br />
Wohnanlagen statische, haustechnische wie<br />
auch funktionstaugliche Belange exakt aufeinander abgestimmt,<br />
resultiert daraus eine Vielzahl an Vorteilen.<br />
Einer liegt in der Nutzung der unausbeutbaren Erdwärme.<br />
Diese wird mit geringem Aufwand so weit aufbereitet,<br />
dass für die Heizung und die Warmwasseraufbereitung<br />
der Wohnungen keine zusätzliche Energie<br />
benötigt wird. In den Sommermonaten werden die<br />
Wohnanlagen dank ihrer vollkommenen Einbindung in<br />
die Erde angenehm kühl bleiben.<br />
Masdar (VAE) inspiriert unter-/oberirdisch verdichtetes Bauen<br />
30 <strong>mailing.150</strong><br />
Ein weiterer grosser Vorteil liegt im Rückgang der<br />
Flächenversiegelung. Die durch die neue Bauweise frei<br />
gewordenen Flächen an der Erdoberfläche werden der<br />
Natur zurückgegeben. In Gebieten mit unterirdischen<br />
Wohnanlagen ist die umgebende Landschaft von den<br />
heutigen land- und forstwirtschaftlichen Flächen kaum<br />
zu unterscheiden. Die neuen Grünflächen und Wälder<br />
werden einerseits als Erholungsgebiete der Menschen<br />
genutzt und andererseits als Lebensraum der Tierwelt<br />
überlassen. Ein Teil der Grünflächen wird landwirtschaftlich<br />
genutzt und trägt zur Ernährung der Bevölkerung<br />
bei. Die heranwachsenden Holzmassen stehen im<br />
Gleichgewicht zum Energiebedarf und dienen als wichtige<br />
Energieträger und Speicher. Europa ist neben dem<br />
Amazonasgebiet dank der neuen Bauweise die zweite<br />
Lungenhälfte der Erde.
Saubere Energie<br />
An der Erdoberfläche wird der «Grüne Punkt» (Baugenehmigung)<br />
nur noch erteilt, wenn das Gebäude einen<br />
100%igen Energieüberschuss aufweisen kann, was eine<br />
durchdachte gesamtheitliche Planung voraussetzt. Massgebend<br />
für die positive Energiebilanz sind die kompakte<br />
Gebäudestruktur und die Mobilität des Gebäudes. Das<br />
Gebäude ist mobil, weil es sich um seine eigene Achse<br />
drehen kann und somit immer ideal zur Sonne ausgerichtet<br />
ist. Aufgrund der hohen Effizienz der Energierückgewinnung<br />
und der Produktion von erneuer barer Energie<br />
ist das überirdische Gebäude in der Lage, doppelt<br />
so viel Energie zu produzieren, als es selbst benötigt.<br />
Bei der Energiegewinnung wird wieder vermehrt auf<br />
Energieanlagen aus privaten kleinen Wind- und Wasserkraftwerken<br />
ganz nach dem Vorbild von Windmühlen<br />
und Wasserrädern (mit und ohne Mühleweiher als Energiespeicher)<br />
gesetzt. Der Slogan «Wer Energie hat, hat<br />
Power» liegt voll im Trend.<br />
Im Bereich des kommunalen Tiefbaus ist die Energierückgewinnung<br />
ein zentrales Thema. Die Energierückgewinnungseffizienz<br />
der neuen geplanten Abwassernetze<br />
und Kläranlagen muss vor der Erteilung des «Grünen<br />
Punkts» aufgezeigt werden. Das Ziel, sämtliche öffentliche<br />
Einrichtungen mit der rückgewonnenen Energie<br />
zu versorgen, ist in vielen Gemeinden im Jahre 2062<br />
bereits erreicht.<br />
Lastenfrei leben<br />
Der Ab- und Rückbau von Altlasten aus den Anfangsjahren<br />
des 21. Jahrhunderts ist ein weiteres wichtiges<br />
Thema. Wir haben frühzeitig Standorte von Altlasten<br />
lokalisiert und analysiert. Durch das mit einem Partner<br />
entwickelte mobile Chemie- und Physiklabor haben<br />
wir die Möglichkeit, diese gezielt abzubauen und die<br />
verseuchten Flächen wieder freizugeben.<br />
In 50 Jahren ist <strong>Gruner</strong> der führende Anbieter in Mitteleuropa<br />
für EuRsB (Energie und Ressour cen sparendes<br />
Bauen). Wir haben frühzeitig die Zeichen der Zeit<br />
erkannt und uns mit den Aufgaben von übermorgen<br />
beschäftigt. Wir sind gerüstet für die Aufgaben und<br />
Probleme von morgen und freuen uns auf die anstehenden<br />
Arbeiten und zu bezwingenden Aufgabenstellungen.<br />
Auch für übermorgen gibt es viel zu tun, packen wirs<br />
heute schon an. Wir sind die Übermorgenmacher.<br />
<strong>mailing.150</strong> 31
Städtebau > Energie Verkehr Technik<br />
32 <strong>mailing.150</strong><br />
Die Energiewende –<br />
ein Rückblick<br />
aus dem Jahr 2062<br />
War es Angst oder Mut, eine Kurzschlussreaktion<br />
oder konsequentes Handeln, das die<br />
Schweiz vor 50 Jahren zum Ausstieg aus der<br />
Atomenergie bewog? Man sagt, dass viel<br />
politisiert und viel Widersprüchliches prognos-<br />
tiziert wurde. Langfristige Lösungen und Alter-<br />
nativen für die Energiezukunft lagen keine auf<br />
dem Tisch. Kurzfristig und von der Wirtschaft<br />
getrieben sei das Denken und Handeln der Politiker<br />
und Stromkonzerne gewesen. Eines ist<br />
sicher, es war ein heisses Thema, an dem sich<br />
niemand die Finger verbrennen wollte. Nun<br />
gut, wir haben die Wende bestens gemeistert.<br />
Aber erst, als die Ingenieure innovative Lösungen<br />
präsentierten und damit sowohl die Politik<br />
wie auch die breite Bevölkerung zu überzeugen<br />
vermochten. Einmal mehr stand die Tradition<br />
der Schweizer Ingenieurkunst mit ihren<br />
grossartigen Pionierleistungen über dem kleinkrämerischen<br />
Denken, das uns Schweizern<br />
so oft nachgesagt wird.<br />
Dr. Stefan Mützenberg, <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>, Basel
Vor rund 50 Jahren erfuhr die Wasserkraft in der<br />
Schweiz nach langen Jahren zurückhaltender Planung<br />
einen Aufschwung. Insbesondere Pumpspeicheranlagen<br />
zur Energiespeicherung und zum Netzausgleich erlebten<br />
einen rasanten Aufstieg. Anfänglich herrschte noch<br />
grosse Skepsis über deren Wirtschaftlichkeit, zu unsicher<br />
war die Entwicklung der Stromzukunft in Europa<br />
geworden. Etwas halbherzig und mit schlechtem Gewissen<br />
baute man zusätzlich Gas-Kombikraftwerke. Diese leisteten<br />
in der Anfangszeit zwar ihren Beitrag zur Über-<br />
brückung nach dem Atomausstieg. Zu den grossen<br />
Nettostromproduzenten stiegen danach aber die Hochleistungsgeothermiekraftwerke<br />
sowie die grossen<br />
Wind- und Solarkraftwerke im Norden respektive Süden<br />
Euro pas auf. Den wahren Durchbruch der Energiewende<br />
verdanken wir aber den Gebäuden und E-Mobilen. Waren<br />
die Häuser vor 50 Jahren noch die grössten Energieverbraucher,<br />
sind heute die meisten Wohn- und Gewerbebauten<br />
dank energieeffizientem Bauen und smarter<br />
Gebäudetechnik energieneutral. Energiebezug und Energieabgabe<br />
aller Gebäude an das Netz halten sich über das<br />
Jahr gesehen die Waage. Die E-Mobile sind netto zwar<br />
immer noch Energiebezüger, in der Nacht oder tagsüber,<br />
wenn sie zu Hause oder beim Büro an der Steckdose<br />
hängen, können sie aber je nach individuellem Bedarf<br />
Energie von den Batterien an das Netz abgeben.<br />
Damit dieser komplexe Stromverkehr schlussendlich<br />
aufging, brauchte es grosse, regelbare Energiepuffer<br />
oder Stromausgleichsbecken. Dies inspirierte visionäre<br />
Bauingenieure, Maschineningenieure, Elektrotechniker<br />
und andere Spezialisten zur gemeinsamen Neuentwicklung<br />
der Pumpspeichertechnik mit einer neuen<br />
Generation von flexibel einsetzbaren Pumpturbinen.<br />
Bald erfolgte der Bau des ersten Prototyps in einer<br />
vollkommen unterirdisch angelegten Anlage. Damit wurde<br />
sowohl den strengen Anforderungen des Umwelt- und<br />
Naturschutzes Rechnung getragen wie auch den zunehmenden<br />
Naturgefahren im hochalpinen Bereich ausgewichen.<br />
Die neu entwickelte hantelförmige Anlage<br />
besteht aus je einer unterirdischen Ober- und Unterwasserkaverne.<br />
Diese sind mit vertikalen Druckleitungen<br />
über Pumpturbinen verbunden, welche unter stark<br />
veränderlichen Druckhöhen einsetzbar sind. In den<br />
guten geologischen Verhältnissen der Zentralmassive<br />
wurden innerhalb weniger Jahre zahlreiche Anlagen<br />
nach dem gleichen Konzept realisiert.<br />
Auch die anfänglichen Zweifel an der Kapazität der<br />
Hochspannungsleitungen waren bald verflogen. Wo früher<br />
Freiluftleitungen an Masten hingen, verlaufen heute<br />
unterirdische Hochleistungsstromautobahnen quer<br />
durch Europa bis nach Afrika. Denn was für Gas und<br />
Erdöl schon vor 50 Jahren längst Standard war, sollte<br />
endlich auch beim Strom angewendet werden: im Boden<br />
verlegte Strompipelines, welche dank neuer Isolationsmaterialien<br />
erst noch kostensparend in der Erstellung<br />
und im Betrieb und Unterhalt sind.<br />
Wer hätte vor 50 Jahren gedacht, dass die europaweite<br />
Stromspeicherung und Stromlenkung dereinst zum<br />
wichtigsten Wirtschaftszweig der Schweiz werden sollte<br />
und bald das veraltete und krisenanfällige Bankengeschäft<br />
überholen würde? Unsere Topografie und die<br />
Lage im Herzen von Europa boten die besten Chancen,<br />
zum wichtigsten Stromplayer Europas zu werden.<br />
<strong>mailing.150</strong> 33
Städtebau > Energie Verkehr Technik<br />
Energie aus der Erde<br />
Geothermiekraftwerke als Ersatz für Atommeiler<br />
Die Idee, Strom aus der Tiefe zu gewinnen, hat spätestens nach<br />
der politisch motivierten Abkehr von der Atomenergie eine zentrale<br />
Bedeutung in der Energiediskussion erhalten. Die auch beim Basler<br />
Projekt «Deep Heat Mining» eingesetzte Technik muss überdacht<br />
und weiterentwickelt werden. Die Grösse der Anlagen soll so ausgelegt<br />
werden, dass die durch das Abschalten der Atomkraftwerke<br />
entstehenden Stromlücken durch erneuerbare Energien gedeckt<br />
werden können.<br />
Laurent Pitteloud, <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>, Basel; Karl-Heinz Schädle, Gruneko Schweiz <strong>AG</strong>, Basel<br />
34 <strong>mailing.150</strong>
Die Erde als Energiequelle<br />
Die Erde ist eine heisse Kugel mit einer Temperatur von<br />
über 1000 °C. Lediglich etwa 1% des Erdvolumens hat eine<br />
Temperatur von weniger als 100 °C. In einer Tiefe von<br />
3000 bis 5000 Metern unter der Erdoberfläche der<br />
Schweiz ist eine Energiemenge vorhanden, mit welcher<br />
der jährliche Strombedarf des Landes mehr als 1000-fach<br />
gedeckt werden könnte. Geothermie nutzt die Wärme der<br />
Erde im Untergrund zur Strom- und Wärmeproduktion.<br />
Dabei wird die Wärme in der Tiefe «gesammelt», an die<br />
Oberfläche transportiert und dort in eine für die Verbraucher<br />
nutzbare Energieform (Wärme oder Strom) umgewandelt.<br />
Die Nutzung der Tiefengeothermie in grossem<br />
Umfang war in der Schweiz bisher wegen fehlender geologischer<br />
Voraussetzungen (Tiefenaquifere: wasserführende<br />
Schichten im Untergrund) oder wegen des seismischen<br />
Risikos (Auslösung von Erdbeben beim «Bau» des offenen<br />
Geothermiespeichers) stark eingeschränkt.<br />
<strong>mailing.150</strong> 35
36 <strong>mailing.150</strong><br />
0 m<br />
–1000 m<br />
–2000 m<br />
–3000 m<br />
–4000 m<br />
–5000 m<br />
–6000 m
Hochleistungsgeothermie – der Bau<br />
Die Anlage für Hochleistungsgeothermie besteht aus<br />
einem Zentralschacht von mehreren Metern Durchmesser,<br />
der bis zu einer Tiefe von etwa 2500 bis 3000 Metern<br />
gebaut wird. Dieser Schacht endet zunächst in einer<br />
grossen Kaverne, in der alle wesentlichen unterirdischen<br />
Anlagen und Montagemaschinen untergebracht<br />
werden. Von dieser Zentralkaverne aus werden um die<br />
Achse des Zentralschachts bananenförmige Wärmesammelrohre<br />
bis zu einer Tiefe von 6000 Metern angeordnet.<br />
Ausserdem wird der Zentralschacht bis zur Endtiefe<br />
der Wärmesammelrohre fortgeführt, sodass Letztere<br />
dort in einem gemeinsamen «Kollektorrohr» aufgenommen<br />
werden können. Von diesem Kollektor wird das<br />
Wasser bis an das oberflächennahe unterirdische<br />
Kraftwerk transportiert. Im Kraftwerk wird die Wärme<br />
an das Arbeitsmedium abgeführt. Mit diesem Medium<br />
wird eine Turbine mit Generator angetrieben und elektrische<br />
Energie erzeugt. Die Energiemenge entspricht<br />
je nach Bauart und Grösse der eines heutigen grossen<br />
Kraftwerkes mit bis zu 500 MW Leistung. Die Abwärme<br />
aus dem Prozess kann an ein Fernwärmenetz abgegeben<br />
werden, weshalb ein Standort in städtischem Gebiet<br />
sinnvoll ist. Die Netztemperaturen vieler Fernwärmenetze<br />
sind in den letzten Jahren kontinuierlich abgesenkt<br />
worden, sodass man sie heute ganzjährig mit<br />
der Abwärme aus einem Geothermiekraftwerk betreiben<br />
kann. Damit kann mit der Geothermieanlage und dem<br />
Kraftwerk insgesamt ein sehr guter Wirkungsgrad<br />
erzielt werden.<br />
Vollautomatisierter maschineller Vortrieb<br />
für Geothermiebohrungen<br />
Für die Realisierung von Tiefengeothermieanlagen ist<br />
eine Herstelltechnik auszuwählen, die das Auslösen<br />
von Erdbeben nahezu ausschliessen kann. Hierzu eignet<br />
sich grundsätzlich die mechanisierte Tunnelbohrmaschinentechnik.<br />
Weil diese auch den Weg für grössere<br />
Durchmesser öffnet, lässt sich über eine wesentlich höhere<br />
Stromproduktionsleistung als bei den bisherigen<br />
Tiefengeothermieprojekten nachdenken, bei denen der<br />
unterste Strang einen Durchmesser von wenigen Dezimetern<br />
nicht überschreitet. Der Zentralschacht von<br />
ca. 6000 Metern Tiefe kann mit diesem erprobten Verfahren<br />
hergestellt werden.<br />
In 6000 Metern Tiefe beträgt die Gesteinstemperatur<br />
etwa 150 bis 200 °C. Deshalb ist eine vollautomatische<br />
Auslegung der Herstelltechnik für den Regelfall notwendig.<br />
Zur Gewährleistung dieser Vollautomatisierung<br />
sind gegenüber heute umfassende Weiterentwicklungen<br />
der Herstellprozesse notwendig. Für Havarie-, Revisions-<br />
und Unterhaltsfälle müssen aber bemannte Einsätze<br />
vorgesehen werden. Hochspe zialisierte Arbeiter in<br />
klimatisierten Anzügen können in grossen Tiefen Arbeiten<br />
vornehmen, die von Maschinen und Robotern nicht<br />
ausführbar sind.<br />
Die Wärmesammelrohre werden vollautomatisch durch<br />
Bohrroboter hergestellt. Jedes Wärmerohr hat eine<br />
Länge von einigen tausend Metern. Insgesamt werden je<br />
nach Grösse und Leistung des Kraftwerkes mehrere hundert<br />
Kollektorrohre eingebaut.<br />
Hochleistungsgeothermie statt<br />
nuklearer Stromproduktion<br />
Das beschriebene Geothermiekraftwerk kann für elektrische<br />
Leistungen von bis zu 500 MW gebaut werden<br />
und ist daher ein «echter Ersatz» von bestehenden<br />
Kernkraftwerken. Ein grosser Vorteil dieses Systems<br />
besteht in der grossen Flexibilität. Das Kraftwerk kann<br />
als Grundlastkraftwerk betrieben werden, ist aber<br />
wegen der guten Regulierbarkeit der Wärmezufuhr über<br />
ein Pumpen- und Wärmetauschersystem auch hervorragend<br />
als Spitzenlastkraftwerk geeignet. Es ist somit<br />
eine ideale Ergänzung zu Fotovoltaikanlagen, die,<br />
bedingt durch die Abhängigkeit von der Solarstrahlung,<br />
starken Leistungsschwankungen unterworfen sind.<br />
Insgesamt ergibt sich mit der dargestellten Technik<br />
die realistische Möglichkeit, eine regenerative Stromerzeugung<br />
mit kleinen Fotovoltaikanlagen und grossen<br />
geothermalen Kraftwerken gemeinsam aufzubauen und<br />
so von Gas- und Ölimporten unabhängiger zu werden.<br />
Zudem wird der Ausstoss von Treibhausgasen (CO2) für<br />
die Strom- und Wärmeerzeugung weitestgehend eliminiert.<br />
Wir sind überzeugt, dass Geothermie eine der<br />
wichtigsten Säulen der regenerativen Energieversorgung<br />
der Zukunft sein wird. Deshalb werden bei <strong>Gruner</strong><br />
bereits heute Geothermielösungen für die energetischen<br />
Herausforderungen von morgen entwickelt.<br />
<strong>mailing.150</strong> 37
Unternehmensgeschichte<br />
Die <strong>Gruner</strong>-Gruppe.<br />
Wasserbaukompetenz<br />
Gotthard-Basistunnel –<br />
eine Vision wird Wirklichkeit.<br />
Tunnelbau<br />
Der Grundstein wurde<br />
im 19. Jahrhundert gelegt.<br />
© AlpTransit Gotthard <strong>AG</strong>
Innovativ für<br />
die Welt<br />
von morgen.<br />
Generalplanung<br />
Konstruktion<br />
Gebäudetechnik<br />
Energieanlagen<br />
Leitungsbau<br />
Tiefbau<br />
Umwelt<br />
Sicherheit<br />
Spezialbereiche<br />
<strong>mailing.150</strong> 39
Verkehr<br />
Die Bevölkerung wächst, und mit ihr der Verkehr. Neue Konzepte sind<br />
gefragt. Batterien, Brennstoffzellen, allenfalls Biodiesel oder Ethanol<br />
sollen in naher Zukunft herkömmliche Treibstoffe ablösen. Damit<br />
alleine ist es aber nicht getan. Die Herausforderungen müssen ganz-<br />
heitlicher angegangen werden – mittels Verkehrsflussoptimierung<br />
anhand ferngesteuertem Strassenverkehr beispielsweise.<br />
40 <strong>mailing.150</strong>
<strong>mailing.150</strong> 41
Städtebau Energie > Verkehr Technik<br />
Verkehr der Zukunft:<br />
Pulkfahren mit E-Fahrzeugen<br />
Durch neue Technologien wird der Verkehrsablauf auf Hochleistungsstrassen revolutioniert<br />
werden. Elektrofahrzeuge mit einer Batteriereichweite von bis zu 400 km werden auf Autobahnen<br />
nach Eingabe eines Zieles automatisch auf einen Fahrstreifen geleitet, auf dem nur<br />
Fahrzeuge mit ähnlichem Ziel verkehren. Neue Abstandsysteme ermöglichen ein Pulkfahren<br />
mit wenigen Dezimetern Abstand bei höchsten Geschwindigkeiten. Ein Automat übernimmt<br />
die Lenkung des Fahrzeuges. Der Energieverbrauch wird minimiert, die Leistungsfähigkeit<br />
maximiert und die Reisezeit reduziert. Die Leistungsfähigkeit der heutigen Anlagen steigt ohne<br />
Ausbauten um ein Vielfaches, gleichzeitig sinkt der Energiebedarf dramatisch bei nicht mehr<br />
vorhandenen lokalen Emissionen – ein unschlagbares politisches Argument in der Schweiz.<br />
Dr. Thomas Winzer, <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>, Basel; Patrick Winzer, Karlsruher Institut für Technologie<br />
42 <strong>mailing.150</strong>
Der motorisierte Individualverkehr wird 2060 nicht<br />
abgeschafft sein, sondern mit neuen technischen Mitteln<br />
leistungsfähig und umweltgerecht abgewickelt werden.<br />
Das vorhandene Hochleistungsstrassennetz (HLS) der<br />
Schweiz bietet hierfür optimale Voraussetzungen: Es<br />
verbindet mit den heute geplanten und bis dahin umgesetzten<br />
Netzergänzungen alle Agglomerationen mit<br />
einem geschlossenen und einheitlichen HLS-System, das<br />
mit seiner hohen Anschlussdichte – im Schnitt ist alle<br />
4 km ein Anschluss vorhanden – eine optimale Erschliessungswirkung<br />
aufweist.<br />
Entspanntes Fahren<br />
Durch Fortschritte in der Batterietechnik werden<br />
hauptsächlich E-Fahrzeuge unterwegs sein, die imstande<br />
sein werden, ca. 200–400 km elektrisch zu fahren.<br />
Bei der Einfahrt auf eine Autobahn fährt der Fahrer in<br />
ein technisch geschlossenes, autonomes und intelligentes<br />
System ein. Zunächst gibt er per Sprachbefehl das<br />
Ziel vor, woraufhin das Fahrzeug selbstständig agiert.<br />
Der Fahrer kann sich entspannen, sein Fahrzeug wird<br />
autonom und situationsgerecht gelenkt. Abhängig vom<br />
Fahrziel wählt es automatisch einen der bis zu 4 Fahrstreifen:<br />
links und ggf. in den beiden mittleren mit hoher<br />
Geschwin digkeit (bis zu 200 km/h) für ferne, rechts und<br />
langsamer (100 km/h) für nahe Ziele. Das Fahrzeug wird<br />
mithilfe von Car-to-X-Kommunikation und ausgeklügelter<br />
Radarmesstechnik und Regelungsalgorithmen in<br />
einen dichten Pulk von Fahrzeugen mit gleichem Ziel<br />
eingereiht. Bei Ausfahrt auf den Verzögerungsstreifen<br />
übernimmt der Fahrer wieder die Kontrolle.<br />
Sicher ans Ziel*<br />
Durch diese Fahrzeugpulks mit ihren gleichmässigen,<br />
hohen Geschwindigkeiten und minimalen Abständen wird<br />
die heutige Leistungsfähigkeit der Autobahn vervielfacht.<br />
Weitere Fahrstreifenausbauten sind nicht mehr<br />
nötig. Unfälle passieren keine mehr. Wegen der Zuverlässigkeit<br />
des elektrischen Antriebsstrangs sind auch<br />
Pannen höchst selten, Pannenfahrzeuge können vom<br />
folgenden Fahrzeug weitergeschoben werden. Somit<br />
wird der heute notwendige Pannenstreifen überflüssig<br />
und kann für bessere Zwecke, nämlich als zusätzlicher<br />
Fahrstreifen, verwendet werden. Die derzeit vom Bundesamt<br />
für Strassen propagierten Pannenstreifenumnutzungen<br />
zu temporären Fahrstreifen (PUN) passen somit<br />
in unsere Strategie.<br />
Ökologisch optimiert und schnell<br />
Ein wesentlicher Vorteil des Systems ist, dass wegen<br />
der ohnehin in jedem Fahrzeug vorhandenen Antriebsaggregate<br />
trotz «kollektivem Fahren» kein zusätzliches<br />
kollektives Antriebssystem notwendig wird. Jedes Fahrzeug<br />
bringt seine eigene Motorleistung in den gemeinsamen<br />
Pulk ein. Das Fahren in Pulks bringt deshalb<br />
einige Vorteile mit sich: Da der Abstand zwischen den<br />
Fahrzeugen unter Einhaltung aller Sicherheitsvorschriften<br />
auf wenige Dezimeter geregelt wird, verbessert<br />
sich die Aerodynamik eines Fahrzeuges dramatisch<br />
* Leistung einer Verkehrsanlage<br />
Die Verkehrsleistung ist definiert als Fahrzeugkilometer<br />
pro Zeiteinheit. Anders ausgedrückt sind das<br />
Fahrzeuge mal Kilometer pro Stunde oder Fahrzeuge<br />
mal Geschwindigkeit. Für eine hohe Leistung<br />
sorgen also vor allem geringe Abstände zwischen<br />
den Fahrzeugen und eine hohe Geschwindigkeit.<br />
Allerdings nimmt bei steigenden Geschwindigkeiten<br />
der Bremsweg mit dem Quadrat der Geschwindigkeit<br />
zu, die Abstände werden grösser und die<br />
Leistung geht wieder zurück. Deshalb liegt die<br />
für eine hohe Leistung optimale Geschwindigkeit<br />
auf Hochleistungsstrassen heute bei 60–80 km/h.<br />
Bei unserem neuen System sollen Geschwindigkeiten<br />
weit über 120 km/h bis hin zu 200 km/h<br />
(je nach den vorhandenen Trassierungselementen,<br />
z.B. zwischen Zürich und Bern) und geringste Abstände<br />
gefahren werden. Die Leistungsfähigkeiten<br />
gegenüber heute werden somit mehr als verdoppelt<br />
– ohne jeglichen Platzbedarf. Bei den Platzverhältnissen<br />
in der Schweiz und einem gegen<br />
Ausbauten sensibilisierten Umfeld ein nicht wett-<br />
zumachender Quantensprung in der Verkehrstechnik.<br />
<strong>mailing.150</strong> 43
Städtebau Energie > Verkehr Technik<br />
(ausser beim Vordersten, der Fahrer hat Pech, wird<br />
aber von Zeit zu Zeit abgelöst). Der Energieverbrauch,<br />
der bei hoher Geschwindigkeit hauptsächlich durch den<br />
Luftwiderstand verursacht wird, sinkt enorm. Auch<br />
leistungsschwächere Fahrzeuge können am Hochgeschwindigkeitsverkehr<br />
teilnehmen. Sie müssen allerdings einen<br />
Beitrag entrichten, da sie nicht als «Kopf der Schlange»<br />
zur Verfügung stehen können.<br />
Der Fahrzeugpulk kann als Rechnercluster gesehen<br />
werden: Während jedes Fahrzeug die Regelung des Abstandes,<br />
der Geschwindigkeit und der Fahrtrichtung<br />
selbstständig übernimmt, berechnet das Kollektiv die<br />
optimale Gesamtstrategie. Für jedes Fahrzeug werden<br />
in Echtzeit die entsprechenden Sollwerte berechnet,<br />
darüber hinaus wird das Ein- und Ausfädeln einzelner<br />
Fahrzeuge aus dem Pulk sowie die Ablösung des Vordersten<br />
durch das Kollektiv gesteuert.<br />
Induktives Laden** erneuerbarer Energie<br />
Bei «Treibstoffmangel» wird das Fahrzeug auf der Strecke<br />
auf den rechten Fahrstreifen durchgereicht, der über<br />
eine durchgehende Ladeeinrichtung für induktives Laden<br />
der Fahrzeugbatterie verfügt. Dieser Fahrstreifen<br />
wird darüber hinaus vom langsameren Schwerverkehr<br />
verwen det, sodass dieser grosse Distanzen ohne Unterbrechung<br />
zurücklegen kann, ohne auf grosse Batterien<br />
44 <strong>mailing.150</strong><br />
angewiesen zu sein. Auch der Schwerverkehr kann in<br />
Pulks fahren, jedoch müssen diese kleiner ausfallen, um<br />
eine ausreichende Anzahl an Lücken für die anderen<br />
Verkehrsteilnehmer und für das Ausscheren an Ausfahrten<br />
bereitzustellen.<br />
** Induktives Laden<br />
Beim induktiven Laden wird die magnetische Kopplung<br />
zwischen Spulen zur Energieübertragung ausgenutzt.<br />
Längs der Fahrbahn befinden sich direkt<br />
unter der Fahrbahnoberfläche zwei parallele Leitungen,<br />
die gegensätzlich von einem hochfrequenten<br />
Strom durchflossen werden. Dabei entsteht ein<br />
Magnetfeld selbiger Frequenz senkrecht zur Fahrbahn.<br />
Im Fahrzeug ist waagerecht eine Spule verbaut,<br />
die von diesem Magnetfeld durchsetzt wird. Durch<br />
die zeitliche Änderung des Magnetfelds wird in der<br />
Fahrzeugspule eine Spannung induziert (Transformatorprinzip),<br />
die zunächst gleichgerichtet wird.<br />
Mit dieser Spannung kann die Batterie geladen oder<br />
der Motor über einen Frequenzumrichter direkt<br />
versorgt werden.<br />
Direkt über der Spule befindet sich eine Schirmung,<br />
sodass praktisch kein Feld in das Fahrzeug selbst<br />
vordringt. Dies hat drei Gründe: Erstens werden Verluste<br />
durch Wirbelströme minimiert, zweitens wird<br />
die Fahrzeugelektronik nicht gestört und drittens<br />
können auch Elektrosmoggegner ruhigen Gewissens<br />
am motorisierten Individualverkehr teilnehmen.
Die elektrische Energie, die im rechten Fahrstreifen<br />
den Verkehrsteilnehmern zur Verfügung gestellt wird,<br />
wird im Jahr 2060 zu einem Grossteil aus erneuerbaren<br />
Energiequellen gewonnen. Teilweise wird diese sogar<br />
direkt an den Hochleistungsstrassen durch Fotovoltaik<br />
und Windenergie erzeugt. Die unstete Verfügbarkeit<br />
dieser Energieform kann speziell in der Schweiz problemlos<br />
durch die grosse Zahl an Pumpspeicherkraftwerken<br />
gepuffert und kompensiert werden.<br />
Alternative Seilzug<br />
Die Schweiz ist für dieses System ideal, weil die<br />
Batterieladungen eines Ladevorganges für die hiesigen<br />
Streckenlängen ausreichen. Als erstes Land hat die<br />
Schweiz u.a. wegen des Standortvorteiles und der ökologischen<br />
Vorteile in dieser Technologie erhebliche<br />
Forschungsanstrengungen unternommen und damit die<br />
Marktführung weltweit übernommen.<br />
Rollend zu Fuss<br />
Im Fussgängerverkehr innerhalb der Agglomerationen<br />
wird ebenfalls mit nebeneinanderliegenden «Gehstreifen»<br />
unterschiedlicher Geschwindigkeit gearbeitet,<br />
um hohe Leistungsfähigkeiten und Geschwindigkeiten<br />
zu erreichen und somit den Modal Split zugunsten des<br />
Fussgängerverkehrs zu verbessern. Diese Geh streifen<br />
bestehen aus mechanisch angetriebenen Rollbändern,<br />
zwischen denen der Fussgänger umsteigen kann. Das Abstandsverhalten<br />
wird hier allerdings noch vom Menschen<br />
selbst gewählt.<br />
Die notorische Überlastung des Nationalstrassennetzes<br />
und das steigende Mobilitätsbedürfnis<br />
verlangen einen Kapazitätsausbau.<br />
Peter Imbach, <strong>Gruner</strong> + Wepf Ingenieure <strong>AG</strong>, Zürich<br />
Damit die Kapazität längerfristig auf den bestehenden<br />
Autobahnen erhöht werden kann, muss näher hintereinander,<br />
näher nebeneinander und schneller gefahren<br />
werden. Ein erprobtes System dieser Art bildet der<br />
Einbau von Seilzügen in die bestehenden Trassen (San<br />
Francisco Cable Cars). Relativ schwach motorisierte<br />
Elektroautos bewegen sich autonom auf Nebenstrassen.<br />
Dadurch bleibt die Individualität erhalten. Beim Überwinden<br />
von weiten Strecken klinkt man sich computergesteuert<br />
in eine Lücke an einem Seil in den Fernverkehrsstrassen<br />
und kommt ohne eigene Antriebsleitung,<br />
ohne Umsteigen, aber schnell und sicher an sein Ziel.<br />
<strong>mailing.150</strong> 45
Städtebau Energie > Verkehr Technik<br />
Individuell im fremdgesteuerten Konvoi<br />
Gebundene Verkehrsträger sind schneller, sicherer, energieeffizienter und damit leistungs-<br />
fähiger als die herkömmlich betriebene Strasse. Autonome und individuelle Transportgefässe<br />
werden künftig fremdgesteuert in Konvois auf unseren Hauptachsen verkehren.<br />
Hansruedi Berchtold, Berchtold + Eicher Bauingenieure <strong>AG</strong>, Zug<br />
Die Einführung erfolgt in Etappen, wo Engpässe und Ausbaubedürfnisse<br />
eliminiert werden können. Der Schwerverkehr, für welchen bereits<br />
Forschungsprojekte laufen, könnte privilegiert behandelt werden. Bei<br />
beschränkten Anfangskapazitäten der Systeme wird insbesondere für<br />
Lastwagen ein Reservationssystem zur Anwendung kommen. Die Vision<br />
wird sich in Etappen von der individuellen Spurbelegung über die<br />
ferngesteuerten Konvois bis zu Fahrzeugpaketen mit externer Energieaufnahme<br />
entwickeln. Mit der zu erwartenden Steigerung der Transportkapazität<br />
wird eine indivi duelle Benutzung unseres Strassensystems<br />
weiterhin möglich sein.<br />
Die Konvois werden nur auf den grossen Verkehrsachsen betrieben.<br />
Die Feinerschliessung (Drainage des Verkehrs vom Domizil auf die<br />
Achse) erfolgt im herkömmlichen Individualverkehr. Damit wird die<br />
Schwäche des heute betriebenen Schienensystems eliminiert. An den<br />
Andockstellen zu den Konvoiachsen werden die individuellen Transportgefässe<br />
in den Konvoi ein- und ausgeschleust. Der Verkehrsteilnehmer<br />
bestimmt individuell über seinen Fahrplan. Er reist in seinem<br />
Fahrzeug von seinem Heim zu seinem Ziel und fährt im Konvoi bequem<br />
und fremdgesteuert in seinem eigenen Transportgefäss. Er bestimmt<br />
über seinen Reisekomfort, sein Reisgepäck, seine Reiseroute und<br />
über seine Reise begleitung. Das Fahrzeug aus seiner Privatgarage<br />
bestimmt weiterhin das soziale Prestige seines Besitzers.<br />
46 <strong>mailing.150</strong>
Schema Fahrzeugkonvois<br />
Steuerungsdraht und Energieversorgung<br />
1 2 3 4 4 3 2 1<br />
Spuren<br />
Konvois<br />
Andockstelle<br />
Einkaufszentrum<br />
Energieversorgung<br />
Verkehrsrechner<br />
Steuerung<br />
Nachfrage +<br />
Reservation<br />
Domizil<br />
Drainage<br />
Individualverkehr<br />
<strong>mailing.150</strong> 47
Technik<br />
Fortschritt reiht sich an Fortschritt. Neues ist gleich schon wieder<br />
alt und überholt. Das liegt in der Natur der Dinge. So schnell wie<br />
jetzt geschah dies aber noch nie. Wir befinden uns in einer Phase<br />
des beschleunigten technologischen Wandels. Wohin führt uns<br />
dieser in den nächsten Jahrzehnten? Wie können wir agieren und<br />
wie oft müssen wir reagieren?<br />
48 <strong>mailing.150</strong>
<strong>mailing.150</strong> 49
Städtebau Energie Verkehr > Technik<br />
Die Symbiose namens Biogrout<br />
Mit der zunehmenden Flächennutzung weltweit stossen Bauvorhaben immer weiter in Bereiche<br />
vor, die ungünstige Bodenverhältnisse bieten. Insbesondere in der Schweiz liegen in den<br />
( primär nutzbaren) Talsohlen häufig sehr weiche Lockergesteine vor, die als Baugrund genutzt<br />
werden sollen. Gleichzeitig steigen die Lasten und Anforderungen der Gebäude an eine<br />
Fundation. Ohne Zusatzmassnahmen würden hier schnell grosse differenzielle Setzungen mit<br />
Schiefstellungen und Bauwerksschäden als Folge auftreten. Unter diesen Bedingungen sind<br />
Zusatzmassnahmen, wie Injektionen oder Pfähle, häufig unumgänglich.<br />
Laurent Pitteloud, Dr. Jörg Meier, <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>, Basel<br />
Heutzutage werden im Tiefbau Injektionen in vielfältiger<br />
Weise eingesetzt: mit hohem bzw. niedrigen Druck<br />
und mit unterschiedlichsten Mitteln (Zement, Feinstzement,<br />
Weichgel usw.). Nachteil dieser Methode ist der<br />
verhältnismässig hohe Aufwand bei – trotz grösster<br />
Ausführungssorgfalt – ungesicherter Qualität. Pfähle<br />
bieten zwar eine bessere Qualitätssicherung, sind aber<br />
nicht für jedes Einsatzgebiet von Baugrundverbesserungen<br />
die geeignete Antwort.<br />
An verschiedenen Forschungseinrichtungen wird heute<br />
ein sehr interessanter Ansatz verfolgt, der gegebenenfalls<br />
eine Antwort auf die Mängel der klassischen Injektionstechniken<br />
ist. Mithilfe von Bakterien soll die<br />
Bodenstruktur lokal so verändert werden, dass es zu<br />
einer Erhöhung der Festigkeitseigenschaften kommt. Im<br />
Fokus liegen Organismen, deren kalkhaltige Ausscheidungen<br />
die Bodenpartikel miteinander «verkleben».<br />
Dieses sogenannte «Biogrout» ist somit die Symbiose<br />
zwischen Geotechnik und Biotechnologie.<br />
So funktionierts<br />
Bakterien sind die dominanten Mikroorganismen in<br />
Böden. Sie haben Abmessungen von ca. 0.5 bis 5 µm und<br />
sind somit wesentlich kleiner als die Körner von Kiesen,<br />
Sanden und teilweise auch Silten. Demzufolge können<br />
sie sich leicht in den Poren von solchen Böden bewegen.<br />
Im Zuge der Hydrolyse von Urea wird Kalk (Calciumcarbonat)<br />
durch Bakterien vom Typus Bacillus pasteurii<br />
ausgeschieden. Diese Kalkausscheidungen lagern sich<br />
auf den Bodenkörnern ab und bewirken eine Verfesti-<br />
50 <strong>mailing.150</strong><br />
Labortest einer mikrobiologisch aktivierten Verfestigung von Kies<br />
(TU Delft – Deltares)
Baugrundverbesserung mittels Feinstzementinjektion unter Bau 52<br />
gung des Ausgangsmaterials. Gleichzeitig verschliessen<br />
die Kalkablagerungen die Bodenporen und bilden somit<br />
ein abdichtendes Medium.<br />
Die Schwierigkeit dieser Methode besteht darin, ein<br />
günstiges Umfeld für die Bakterien zu schaffen, sodass<br />
der Ausscheidungsprozess stark gefördert wird. Dies<br />
wird im Wesentlichen durch eine Calcium-lactate-Lösung<br />
erreicht.<br />
Baugrundverbesserung mittels Feinstzementinjektion unter Bau 52<br />
Aus der Praxis<br />
Im März 2012 wurde die 20 m tiefe Baugrube für das<br />
Hochhaus Roche Bau 1 in Basel fertiggestellt. Am westlichen<br />
Baugrubenrand steht das Hochhaus Bau 52, eine<br />
60 m hohe Stahlbetonkonstruktion mit einer Flach fundation<br />
in 6 m Tiefe. Durch den Aushub vor dem Bau 52<br />
waren trotz Einsatz einer überschnittenen Bohrpfahlwand<br />
nicht akzeptable Setzungs- und Verkippungsrisiken zu<br />
erwarten. Um dieser Situation zu begegnen, entschied<br />
<strong>mailing.150</strong> 51
Städtebau Energie Verkehr > Technik<br />
Illustration von Bakterien vom Typus Bacillus pasteurii<br />
sich das <strong>Gruner</strong>-Planerteam, eine Baugrundverbesserung<br />
mittels Feinstzementinjektionen unterhalb des Baus 52<br />
auszuführen. Diese Massnahme, kombiniert mit dem Konzept<br />
einer verformungsarmen Baugrubenwand, führte<br />
zu einem sehr positiven Ergebnis: Der Bau 52 setzte<br />
sich nur um wenige Millimeter und erfuhr de facto keine<br />
Verkantung.<br />
Als Alternative zur Feinstzementinjektion würde sich<br />
auch Biogrouting für die Baugrundverbesserung unter<br />
Bau 52 anbieten. Dies könnte unter Umständen effizienter<br />
und kostengünstiger sein. Elegant wäre auch die<br />
Möglichkeit, die Baugrundverbesserung nach Fertigstellung<br />
der Baugrube und des Bauwerks Bau 1 rückgängig<br />
zu machen. Insbesondere für Bauten im Grundwas-<br />
52 <strong>mailing.150</strong><br />
Biogrout ermöglicht<br />
durch den Ersatz<br />
von druckbeanspruchten<br />
Gliedern, wie<br />
Bohrpfählen<br />
oder Mikropfählen,<br />
ganz<br />
neue Perspektiven<br />
in der<br />
Geotechnik.<br />
Labortest einer mikrobiologisch aktivierten Verfestigung<br />
von Kies (TU Delft – Deltares)<br />
ser wird ein derartiger Rückbau gesetzlich gefordert,<br />
was heutzutage in den wenigsten Fällen technisch<br />
machbar bzw. kostenmässig vertretbar ist. Es müssen<br />
von daher aufwendige Ersatzlösungen geplant und ausgeführt<br />
werden. Mit einem reversiblen Biogroutingprozess<br />
liesse sich der ursprüngliche Baugrund zustand<br />
wiederherstellen und somit die gesetzlichen Anforderungen<br />
erfüllen.<br />
Die Zukunft gehört Biogrout<br />
An einer kommerziellen Anwendung von Biogrouting<br />
wird derzeit intensiv gearbeitet. Optimiert werden soll<br />
z.B. die gezielte Aktivierung und Deaktivierung des<br />
Biogroutingprozesses bzw. der Organismen. Auch muss<br />
sichergestellt sein, dass der Biogroutingprozess um-
weltverträglich und auf einen vorgegebenen Bereich beschränkt<br />
ist und bleibt. Weiter wird untersucht, welche<br />
Vorbedingungen erfüllt sein müssen, welche Nährstoffe<br />
die eingesetzten Organismen für eine hohe Motivation<br />
benötigen und für welche Bodenarten diese Technik am<br />
besten eingesetzt werden kann.<br />
Biogrout ermöglicht durch den Ersatz von druckbeanspruchten<br />
Gliedern, wie Bohrpfählen oder Mikropfählen,<br />
ganz neue Perspektiven in der Geotechnik. Solche Bauteile<br />
werden oft nur temporär genutzt, deshalb würde<br />
ein reversibler Prozess einen Abbau ohne aufwendigen<br />
Rückbau ermöglichen. Auch im Bereich von Injektionen<br />
zu Verfestigungs- oder Abdichtungszwecken, wie sie oft<br />
im Tunnelbau oder bei Bauten im Grundwasser erforderlich<br />
sind, eröffnet Biogrout ganz neue Wege.<br />
<strong>mailing.150</strong> 53
Städtebau Energie Verkehr > Technik<br />
Quo vadis, Geotechnik?<br />
Technische Entwicklungen verlaufen scheinbar schubartig, wobei einzelne Schlüsseltechnolo gien<br />
eine ganze Reihe von aufbauenden Erfindungen ermöglichen oder begünstigen. Sehr schön<br />
ist das beispielsweise an den direkten und indirekten Effekten der Lasertechnologie zu sehen,<br />
die heute – auch aus (geo-)technischen Anwendungen – kaum noch wegzudenken sind:<br />
angefangen beim Einsatz in der Informationstechnologie über einfache Geräte auf der Baustelle<br />
bis hin zu Präzisionsmessinstrumenten beim Monitoring. Ein Paradebeispiel, wie schnell bei<br />
solchen Entwicklungen Grenzen zwischen den einzelnen Fachbereichen übersprungen werden.<br />
Dr. Jörg Meier, <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>, Basel<br />
Neue Schlüsseltechnologien lassen sich nur schwer<br />
vorhersagen, da sie oft neue oder nur wenig bekannte<br />
Effekte nutzen. Manche Zukunftsvorhersagen aus den<br />
1950er-Jahren zeigen u.a. teilweise von Miniatomreaktoren<br />
angetriebene Fahrzeuge, die wir heute – aus gutem<br />
Grund – in der Praxis nicht sehen. Der Laser und seine<br />
Anwendungen wurden 1950 nicht im heute normalen<br />
Masse vorhergesehen. An der Unvorhersagbarkeit solcher<br />
Technologien hat sich aus heutiger Sicht nicht viel<br />
geändert. Der Blick auf mögliche Entwicklungen wird<br />
sich so auf die stetige Weiterentwicklung aktueller<br />
Tech niken bzw. die Konvergenz aktueller Techniken einschränken.<br />
Zusätzlich können noch Vorhersagen durch<br />
Berücksichtigung des heute absehbaren Bedarfs an<br />
Techniken (z.B. Mobilität), aber auch Ressourcen (z.B.<br />
Energie oder Wasser) abgeleitet werden. Unberücksichtigt<br />
bleiben die Möglichkeiten und auch der Bedarf<br />
(als auch die daraus notwendigen/möglichen Lösungen),<br />
der sich aus neuen Schlüsseltechnologien ergibt.<br />
Die folgende Abbildung versucht mögliche Entwicklungen<br />
in der Geotechnik abzuschätzen. Dabei bleiben die<br />
darin enthaltenen Punkte an die gleichen Einschränkungen<br />
gebunden, die im vorangehenden Absatz geschildert<br />
wurden. Die Darstellungsform der Abbildung ist so<br />
gewählt, dass die Gegenwart im Zentrum steht und die<br />
möglichen Entwicklungen bildlich in alle Richtungen<br />
weiterführen und auf die kommenden Jahre – in Form<br />
von konzentrischen Kreisen – projiziert werden. Hierbei<br />
wurde versucht, die Entwicklungen um verschiedene<br />
Spezialbereiche, wie z.B. «Planung» und «Infrastruktur»,<br />
zu gruppieren. Strahlenförmig um die Spezialbereiche<br />
sind die Entwicklungen angeordnet. Die Grösse<br />
der Kreise wurde so gewählt, dass diese mit dem Einfluss<br />
der Entwicklung korrespondiert.<br />
Beispielsweise hat sich mit der Zunahme der Leistungsfähigkeit<br />
der Rechentechnik auch die Leistungsfähigkeit<br />
der Softwarekomponenten weiterentwickelt. Alles<br />
deutet heute darauf hin, dass sich dieser Trend unvermindert<br />
fortsetzen wird. In der Grafik wurde die Kategorie<br />
«Software» dazu eingeführt. Normal ist heute<br />
bereits der Einsatz der Finite-Elemente-Methode (FEM),<br />
54 <strong>mailing.150</strong><br />
die eine realitätsnahe Simulation des Verformungsverhaltens<br />
wie auch der Boden-Bauwerk-Interaktion<br />
ermöglicht. Im Moment noch sehr kontrovers diskutiert<br />
werden hingegen Nachweisstrategien bzw. statische<br />
Nachweise mit der FEM. Verschiedene sinnvolle Ergänzungen<br />
der FEM werden aktuell in verschiedensten<br />
Forschungsein richtungen bereits untersucht: In Zukunft<br />
könnten somit in der Praxis «künstliche neurale Netzwerke»<br />
als eine Form des maschinellen Lernens oder<br />
auch «erweiterte Antwortflächen» zum Einsatz kommen,<br />
die eine schnelle Vorhersage des Systemverhaltens auf<br />
der Basis bereits bekannter Informationen zu diesem<br />
System ermöglichen. Mit weiter steigender Rechenleistung<br />
verkürzen sich zudem die Laufzeiten von Techniken<br />
wie der «mathe matischen Optimierung» (z.B. zur Parameter-<br />
und Formfindung) und «gekoppelter FEM-DEM-<br />
Modelle» (DEM = Diskrete-Elemente-Methode) beispielsweise<br />
Simulation von Bruchprozessen bzw. von<br />
Prozessen mit vielen Einzelkörpern. Es ist weiter zu<br />
erwarten, dass reguläre Simulationen in der Zukunft<br />
auch neben der in der Geotechnik wichtigen Verformungsprognose<br />
weitere physikalische (z.B. chemische<br />
und thermische) Vorgänge berücksichtigen (Multi-Physics-<br />
Simulationen).<br />
Mit den parallelen Entwicklungen im Bereich der «Augmented<br />
Reality» und der computergestützten Objekterkennung<br />
wird vermutlich auch eine «Virtual-Reality<br />
integrierte Planung» möglich, in der das Bauwerk in<br />
weit höherer Detailtreue als heute üblich als virtuelles<br />
Bauwerk umfassend und dreidimensional geplant, nachgewiesen<br />
und bemessen werden kann. Um den Planer<br />
und Statiker hierbei zu unterstützen, Fehlerquellen zu<br />
erkennen als auch zu beseitigen, ist davon auszugehen,<br />
dass Techniken aus dem Bereich der künstlichen<br />
Inte lligenz (KI) eingesetzt werden. Dies kann sich in<br />
«KI-unterstützter Modellierung» bzw. «KI-unterstützter<br />
Planung» niederschlagen.<br />
Welche der Vorhersagen der folgenden Abbildung Realität<br />
werden, wird die Zukunft zeigen. Ein Punkt<br />
scheint sicher: Die Zukunft hält die eine oder andere<br />
Überraschung und Wendung für uns bereit.
Singularität<br />
Tele- T<br />
präsenz<br />
Klunterstützte<br />
Planung<br />
Augmented<br />
Reality<br />
Kl-unterstützte<br />
Modellierung<br />
extraterrestrische<br />
Sonderbauten<br />
Arkologie<br />
2025 +<br />
Virtual-<br />
Realityintegrierte<br />
Planung<br />
vollständig<br />
algorithm.<br />
Planung<br />
grossräumige<br />
untertätige<br />
Verkehrsverbindung<br />
“Swiss Metro”<br />
20 2015–2025 15–2025<br />
workflowgetriebene<br />
Planung<br />
Planung<br />
Softw Sof are<br />
Multi-<br />
Physics-<br />
Simulationen<br />
Infrastruktur<br />
autom.<br />
adaptive<br />
Verhaltens-<br />
V<br />
vorhersage<br />
Gebäude<br />
für<br />
“Ver “V tical<br />
Farming”<br />
20 2011–20 1–20 1–2015 15<br />
projektbezogene<br />
Portalseite rtalseite r n<br />
(Internet)<br />
gekoppelte<br />
FEM-DEM-<br />
Modelle<br />
FEM<br />
mathem.<br />
Optimierung<br />
Baumaterialien<br />
mit<br />
Sensoreigenschafte<br />
hafte haf n<br />
Diese Grafik basiert auf der von Michell Zappa publizierten Arbeit<br />
«Envisioning the near future of technology» (CC-BY-SA), www.michelzappa.com<br />
Energy<br />
Harvesting<br />
Heute<br />
2011<br />
Online-<br />
Monitoring<br />
Monitoring<br />
Energienetze<br />
für dezentrale<br />
Versorgung<br />
«Här «Härtung»<br />
von<br />
Infrastruktur<br />
(Umwelt, Anschläge)<br />
Offshore- Of<br />
Windturbinen<br />
Energiepfähle<br />
auton.<br />
Sensorensor netzwerke<br />
autom.<br />
Objekt- und<br />
Mechanismuserkennung<br />
Fernüberrnüber wachung<br />
Virtual-<br />
Reality-<br />
Integration von<br />
Messdaten<br />
Sensorensor schwärme<br />
Geothermie<br />
thermoaktive<br />
Gründungen<br />
alternative<br />
Antriebstechniken<br />
umfassende<br />
Umweltbilanzierung<br />
extrem tiefe<br />
Geothermie<br />
Bautechnik<br />
biologische<br />
Bodenverbesserung<br />
(Biogrouting)<br />
extraterrestrische<br />
Geothermie<br />
Kl-unter- Kl-unter<br />
stützte<br />
Geothermie-<br />
steuerung<br />
Geothermie<br />
durch<br />
Micro-TBM<br />
nachhaltige<br />
Geothermie<br />
geothermieinduzier<br />
geothermieinduzierte<br />
Umweltsc Umweltschäden häden<br />
teilw.<br />
autarke Baumaschinen<br />
<strong>mailing.150</strong> 55
Städtebau Energie Verkehr > Technik<br />
Digitale Prototypen und virtuelles<br />
Engineering in der Bauindustrie<br />
Ausgehend von den vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten<br />
und der Aussagekraft numerischer Verfahren auf dem<br />
Gebiet des klassischen Ingenieurbaus werden sich auch<br />
hier die Strategie und der konsequente Einsatz digitaler Prototypen<br />
mittel- bis langfristig durchsetzen. Die Ergebnisse<br />
werden unter Verwendung dreidimensionaler Visua lisie-<br />
rungs verfahren in Virtual-Reality-Qualität dargestellt,<br />
online mit dem Kunden diskutiert und entsprechende<br />
Optimierungsschritte fest gelegt. Speziell im Brandschutz<br />
können massgebende Szenarien simuliert, virtuell<br />
dar gestellt und zu Trainingszwecken für die Einsatzkräfte<br />
verwendet werden. Erwin G. Schnell, <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>, Basel<br />
Was bisher geschah<br />
Nach den ersten Anfängen auf dem Gebiet der Statik und<br />
der Dynamik, vor allem in der Strukturanalyse (FEM),<br />
beantworten numerische Methoden und Berechnungsverfahren<br />
(CFD) heute auch die verschiedensten tech nischen<br />
Frage stellungen aus den Bereichen der allgemeinen<br />
Strömungsmechanik sowie der Aero- und Gasdynamik,<br />
und das mit hoher Zuverlässigkeit. In vielen Bereichen<br />
der ingenieurwissenschaftlichen Anwendung sind FEM-<br />
und CFD-Programme zu einem festen Bestandteil zahlreicher<br />
Entwicklungsprozesse geworden. Besonders<br />
56 <strong>mailing.150</strong><br />
in der Luftfahrtindustrie, im Fahrzeug-, Maschinen-<br />
und Anlagenbau ersetzen digitale Prototypen schon seit<br />
langem und mit noch immer steigender Tendenz ihre<br />
kostspieligen Hardware-Counterparts.<br />
Ein von Beginn an herausragender Wegbereiter der<br />
digitalen Produktentwicklung ist das Engineering- und<br />
Softwarehaus CDadapco. Seit 30 Jahren liefert das<br />
Unternehmen in Kooperation mit namhaften Partnern<br />
aus den verschiedensten Industriezweigen zuverlässige,<br />
leistungsfähige Berechnungsverfahren in Verbindung
mit hochkarätigen, zielführenden Lösungen in der digitalen<br />
Umsetzung industrieller Entwicklungsprozesse.<br />
Der Schritt ins digitale Zeitalter<br />
Obwohl die ersten kommerziellen CFD-Programme bereits<br />
Ende 1980 auf den Markt kamen, beschränkte sich<br />
deren Verbreitung zunächst auf die Luftfahrtindustrie,<br />
gefolgt vom Fahrzeug-, Maschinen- und Anlagenbau.<br />
Erst die zunehmende Verfügbarkeit komplexer physikalischer/chemischer<br />
Modelle wie auch der zur Simulation<br />
transienter, d.h. zeitlich veränderlicher Vorgänge er-<br />
forderlichen Rechenleistung hat dazu geführt, dass das<br />
digitale Zeitalter nun auch im klassischen Ingenieurbau<br />
angebrochen ist.<br />
Die Strategie der digitalen Prototypen<br />
Unter dem Eindruck steigender Entwicklungs- und Produktionskosten<br />
offenbarte die Strategie der digitalen<br />
Prototypen im Fahrzeug-, Maschinen- und Anlagenbau<br />
ein enormes Einsparpotenzial, vor allem hinsichtlich der<br />
Versuchsmuster und des Materials. Auch die Umlegung<br />
auf Stückzahlen lieferte ein schlagendes Argument, das<br />
<strong>mailing.150</strong> 57
Städtebau Energie Verkehr > Technik<br />
sich im klassischen Ingenieurbau allerdings als eher<br />
kontraproduktiv erwies. Hier gibt es eben nur einen<br />
Prototyp, der zugleich das fertige Produkt ist, und von<br />
den standardisierten Eigenheimen des privaten Wohnungsbaus<br />
einmal abgesehen, ist die Stückzahl im Allgemeinen<br />
gleich eins. Die geringe Akzeptanz des digitalen<br />
Ansatzes in der Bauindustrie erschliesst sich aber bei<br />
genauerer Betrachtung aus einer anderen Wertigkeit,<br />
Verantwortlichkeit und Konstellation aller am Entstehungsprozess<br />
Beteiligten und damit auch bei einem anderen<br />
Umgang mit der Thematik Ressourcen, Effizienz<br />
und Nachhaltigkeit.<br />
Ist der Hersteller (GU) eines technischen Industrieprodukts,<br />
z.B. eines Flugzeuges (im Preis durchaus vergleichbar<br />
mit einem Grossbauprojekt), heute regelrecht<br />
gezwungen, in Sachen Ressourcen, Effizienz, niedrige<br />
Betriebskosten etc. alle entwicklungstechnischen<br />
Möglichkeiten auszuschöpfen, um den Investor (in der<br />
Mehrzahl der Fälle auch gleichzeitig der Betreiber,<br />
nämlich die Luftfahrtgesellschaft) von der Nachhaltigkeit<br />
seiner Investition und einem akzeptablen Kosten-Nutzen-<br />
Verhältnis zu überzeugen, so ist es im Falle eines Grossbauwerkes<br />
der Investor, der alle Register zieht, um<br />
die Gestehungskosten so niedrig wie möglich zu halten,<br />
ungeachtet der vom Betreiber zu tragenden Folgekosten,<br />
der hier in aller Regel nicht gleich dem Investor ist.<br />
Man sieht sofort, dass die Gewinnrealisierung in beiden<br />
Wertschöpfungsketten zu jeweils unterschiedlichen<br />
Zeitpunkten und unter ebenso unterschiedlichen Gesichtspunkten<br />
stattfindet, wogegen der eigentliche<br />
Produktentstehungsprozess nahezu identisch ist und<br />
digital sehr ähnlich abgebildet werden kann. Gerade<br />
weil der Prototyp bereits das fertige Produkt ist, ist es<br />
wirtschaftlich überaus sinnvoll, schon im Vorfeld alle<br />
verfügbaren Ressourcen zu nutzen, um es möglichst<br />
ziel orientiert und mängelfrei seiner Vollendung zuzuführen.<br />
Setzt man die Stückzahl gleich der Anzahl der<br />
Betriebsjahre, so kommt man zu einer sehr effizienten<br />
Lösung, die ökonomisch wie ökologisch überzeugt.<br />
Die prozesstechnische Umsetzung<br />
Die Umstellung auf digitale Entwicklungsprozesse<br />
konzentrierte sich anfänglich auf die Thematik der<br />
Materialeinsparung. Während dieser Fokus in der Luftfahrtindustrie,<br />
im Fahrzeug-, Maschinen- und Anlagenbau<br />
eng mit der Einführung und der konsequenten<br />
Anwendung leistungsfähiger und zuverlässiger Berechnungs-<br />
und Vorhersageverfahren einherging, beschränkte<br />
sich die Bauindustrie in vielen Fällen auf die reine<br />
Materialeinsparung, ohne die möglichen Folgen durch<br />
eine adäquate numerische Absicherung entsprechend<br />
abzuprüfen.<br />
Einen überaus vielversprechenden Ansatz in dieser<br />
Richtung liefert die 5D-Initiative der Züblin/Strabag<br />
<strong>AG</strong>. Die folgende Darstellung zeigt einen Vergleich des<br />
Status quo der Produktentstehungsprozesse anhand<br />
58 <strong>mailing.150</strong><br />
Mehrwert für die Automobilindustrie<br />
Mehrwert für die Bauindustrie<br />
1<br />
Initiative/<br />
Wertschätzung<br />
tz zung<br />
1<br />
Initiative/<br />
Wertschätzung<br />
2<br />
Entwurf Vorbereitung Realisierung<br />
2<br />
Entwurf<br />
Umweltarena Spreitenbach,<br />
Zürich, in 3-D.<br />
Mit freundlicher Genehmigung von<br />
rené schmid architekten, Zürich<br />
Zentrales Daten- und Prozessmanagement<br />
3<br />
Prozess<br />
3<br />
4<br />
4<br />
Vorbereitung Realisierung<br />
Lose gekoppelte Prozesse<br />
5<br />
Betrieb<br />
5<br />
Betrieb<br />
ihrer Wertschöpfung in der Automobil- und der Bauindustrie.<br />
Sie vermittelt einen ersten Einblick in das<br />
beträchtliche Potenzial der Strategie des digitalen<br />
Prototyps.<br />
Aus der Sicht des Kaufmanns sind die Werteinbrüche an<br />
den Schnittstellen der einzelnen Prozessstufen zusätzliche<br />
Investitionen, die dem Prozess zugeführt werden<br />
müssen, um ihn wieder auf das Niveau der vorangegangenen<br />
Entwicklungsstufe zu bringen.<br />
Die Randbedingungen<br />
Eine grundlegende Voraussetzung für die erfolgversprechende<br />
digitale Umsetzung eines Entwicklungsprozesses<br />
ist eine für alle am Prozess Beteiligten zugängliche,<br />
umfangreiche Datenbank, die unter anderem<br />
auch alle für die digitale Modellbildung zwingend erforderlichen<br />
geometrischen Informationen in Form von<br />
3-D-CAD- Modellen enthält.
Umweltarena Spreitenbach, fotoreale Darstellung der Luftströmung aus<br />
den Deckenauslässen<br />
Allein diese grundlegende Notwendigkeit erschwerte<br />
bislang den erfolgreichen Einzug numerischer Verfahren<br />
und Methoden in der Bauindustrie. Weder Hersteller<br />
noch Betreiber und schon gar nicht die Investoren sind<br />
geneigt, die Kosten eines digitalen Modells und dessen<br />
anschliessende Pflege zu übernehmen. Selbst wenn<br />
damit auf numerischem Wege eine Vielzahl aussagekräftiger<br />
Informationen über das physikalische Verhalten<br />
des zukünftigen Bauwerkes gewonnen und eine<br />
ganze Reihe energetischer und sicherheitsrelevanter<br />
Gesichtspunkte zuverlässig betrach tet werden können,<br />
ganz zu schweigen von der Vereinfachung der Schnittstellen<br />
zu den einzelnen Gewerken und der Transparenz<br />
des gesamten Bauvor habens.<br />
Im digitalen Modell sind alle im Laufe einer Simulation<br />
berechneten stationären oder transienten physikalischen<br />
und chemischen Parameter (Geschwindigkeiten, Drücke,<br />
Temperaturen, Kräfte, Dichte, Konzentrationen etc.)<br />
in jedem Punkt des Rechengebietes respektive des<br />
Ereignisraumes hinterlegt und können als quantitative<br />
Grösse ausgegeben und dargestellt werden. Dank der<br />
beeindruckenden und äusserst hilfreichen Weiterentwicklung<br />
im Bereich der virtuellen Visua lisierung, deren<br />
sich Architektur- und Projektbüros bereits in gewissem<br />
Umfang bedienen, lassen sich die Simulationsergebnisse<br />
sehr anschaulich und allgemein verständlich darstellen.<br />
Brandsimulation für eine U-Bahn-Haltestelle<br />
Das virtuelle Feuer<br />
Im Hoch- wie im Tiefbau besonders gefürchtet sind<br />
sogenannte Ereignisfälle. Darunter versteht man unter<br />
anderem auch alle Arten von Brandszenarien in öffentlichen<br />
Grossbauwerken (Industriebauten, Einkaufs- und<br />
Veranstaltungszentren, Bildungsstätten, Bahn- und<br />
Strassentunnels etc.)<br />
real virtuell<br />
Die Feuer polizei und die Versicherungen verlangen<br />
hier bereits in der Genehmigungsphase die Vorlage umfangreicher<br />
Brandschutz- und Entrauchungskonzepte,<br />
deren Aus arbeitung und Nachweis in einer ganzen Reihe<br />
von Fällen auf der Grundlage numerischer Simulation<br />
erfolgt. Die Ergebnisse dieser Simulationen liefern<br />
wiederum Eingabe parameter für andere Untersuchungen<br />
wie z.B. die Evakuierungssimulation und können auch<br />
nach Abschluss eines Bauvor habens in die effektive<br />
Vorbereitung und Durchführung sogenannter Kaltrauchversuche<br />
einfliessen, wie sie derzeit noch für die<br />
Endabnahme gefordert werden.<br />
Die 3-D-Visualisierung gestattet eine umfassende und<br />
anschauliche Darstellung der Berechnungsergebnisse<br />
bis hin zum Aufbau digitaler Trainingsszenarien für<br />
Feuerwehr und andere Einsatzkräfte.<br />
<strong>mailing.150</strong> 59
Städtebau Energie Verkehr > Technik<br />
Das virtuelle Wasser<br />
Unter dem Aspekt des 150-jährigen Unternehmensjubiläums<br />
und angesichts der Tatsache, dass bei der<br />
Geschäftsgründung durch Carl Heinrich <strong>Gruner</strong> im Jahr<br />
1862 die Basler Wasser versorgung eine nicht unerhebliche<br />
Rolle spielte, kommt der numerischen Simulation<br />
hydrodynamischer Strömungen. Diese zählt seit Ende<br />
2011 zum Leistungsportfolio der <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>. Auch in<br />
diesem Zusammenhang werden alle Möglichkeiten der<br />
digitalen Modellierung genutzt, um belastbare Aussagen<br />
zur Funk tionalität und zur Leistungsfähigkeit der untersuchten<br />
Bauwerke und Anlagen zu erhalten. Die Ergebnisse<br />
können mittels anspruchsvoller dreidimensionaler<br />
Visualisierungsverfahren sehr anschaulich und realistisch<br />
dargestellt werden.<br />
Fassaden und dünnwandige Strukturen<br />
Unter dem Eindruck der zunehmenden Komplexität moderner<br />
Aussenfassaden gewinnt auch hier die Simulation<br />
zunehmend an Bedeutung. Nicht nur die Gewährleistung<br />
einer im Ereignisfall genügend grossen, über die Fassade<br />
in das Gebäude nachströmenden Luftmenge, sondern<br />
auch die Effekte thermisch induzierter Auftriebsströmungen<br />
im Spalt zwischen einer hinterlüfteten<br />
Fassade und dem Baukörper sind in diesem Zusammenhang<br />
Gegenstand numerischer Untersuchungen.<br />
Ausserdem sind filigrane Fassadenverkleidungen und<br />
dünnwandige Gebäudestrukturen aerodynamisch aktiv,<br />
d.h., sie reagieren auf Luftkräfte und dynamische Anregungen<br />
in Form von Windlasten. Hier kommt eine ziemlich<br />
junge Disziplin ins Spiel, die sich hinter der Abkürzung<br />
FSI (Fluid-Structure Interaction) verbirgt. Auf<br />
diese Weise lässt sich das Verhalten von Strukturen<br />
wie auch einzelner Strukturelemente unter dem Einfluss<br />
dynamischer Anregungen nicht nur visuell darstellen,<br />
sondern auch quantitativ erfassen. Mate rialersparnis<br />
und Schadensbegrenzung sind der wirtschaftliche Nutzen.<br />
Nachhaltigkeit und Wohlfühlfaktor<br />
Gemessen an den vielschichtigen Verantwortlichkeiten<br />
und den zahlreichen Anforderungen an eine effiziente<br />
und zeitgemässe Gebäudebewirtschaftung sehen die<br />
Anstrengungen, die im Vorfeld hinsichtlich Nachhaltigkeit,<br />
Energieeffizienz und Behaglichkeit unternommen<br />
werden, eher bescheiden aus. Dabei liefert<br />
auch hier der digitale Prototyp aufgrund seiner interdisziplinären<br />
Verwendbarkeit eine Vielzahl von Informationen.<br />
Mit nur geringfügigen Anpassungen in der<br />
geometrischen Diskretisierung und Modifikationen in<br />
den Randbedingungen können auf der Grundlage ein<br />
und desselben digitalen Modells die verschiedensten<br />
Fragestellungen zum Thema Energie effizienz, Verschattung,<br />
Solarertrag und Raumklima etc. umfassend erörtert<br />
werden. Ausgehend von lokalen Langzeitstudien<br />
werden die jahreszeitlich relevanten Betriebszustände<br />
ermittelt und anschliessend in Worst-Case-Szenarien<br />
detailliert analysiert.<br />
60 <strong>mailing.150</strong><br />
Mischwasser- und Havariebecken der ProRheno <strong>AG</strong> Basel<br />
Gebäude-Aerodynamik<br />
Verschattung Solarertrag<br />
Messe Basel, Fassadendurchströmung
Aussenaerodynamik, mit freundlicher Genehmigung der Syngenta <strong>AG</strong><br />
Umgebung und Aussenwirkung<br />
Alle bisher betrachteten Anwendungen der numerischen<br />
Simulation im klassischen Ingenieurbau stehen im<br />
Wesentlichen direkt mit den Gebäuden selbst in Verbindung.<br />
Daneben rücken aber auch vermehrt Aussagen<br />
zur Standortverträglichkeit und zur aerodynamischen<br />
Aussenwirkung von Bauwerken in den Blickpunkt des<br />
Interesses, vor allem des öffentlichen.<br />
Der ernst zu nehmende Einfluss von Grossbauwerken<br />
auf das lokale Mikroklima ist inzwischen hinreichend<br />
belegt, und so ermöglichen CFD-Berechnungen ausser<br />
der Bestimmung von Windlasten auf ein Bauwerk auch<br />
die Erfassung der Auswirkungen von Gebäuden auf die<br />
sie umgebende Topologie sowie das übrige städtebauliche<br />
Umfeld. Die Blockade primärer Luftaustauschwege<br />
von Städten und Stadtteilen durch Grossbauwerke,<br />
die Geschwindigkeitsverteilungen und Maximalgeschwindigkeiten<br />
in Strassenschluchten und auf öffentlichen<br />
Plätzen sowie das Mikroklima im Eingangsbereich von<br />
Geschäftshäusern und Einkaufszentren sind nur einige<br />
Beispiele. In der Energietechnik steht die effiziente<br />
Platzierung von Windparks unter Berücksichtigung der<br />
topologischen und meteorologischen Randbedingungen<br />
Résumé<br />
Die Demonstration des digitalen Ansatzes anhand der dreidimensionalen<br />
Visualisierung realer Projekte zeigt die<br />
ganze Bandbreite seiner Anwendungsbereiche, schafft<br />
Akzeptanz und fördert die Bereitschaft zum Einsatz dieser<br />
Technologie im Projektablauf. Seine Berechtigung lässt sich<br />
am besten anhand einer Betrachtung der Folgekosten im<br />
Falle bereits abgeschlossener Projekte darstellen. Darunter<br />
sind zunächst die Kosten infolge Gewährleistung, Nachrüstung<br />
und Umbau zu verstehen; denn nicht selten ist die Einweihungsrede<br />
kaum verklungen, und schon lärmen wieder<br />
die Pressluft hammer zum Zwecke der Aus- und Nachbesserung.<br />
Zum anderen sind es die jährlichen Betriebskosten, die teil-<br />
im Vordergrund. Im Tunnelbau interessiert vor allem<br />
die Emission von Schadstoffen aus Portalen und Entlüftungsanlagen<br />
unter Berücksichtigung geländespezifischer<br />
Gegebenheiten, der angrenzenden Bebauung und<br />
der lokal domi nanten Wetterlage.<br />
Der virtuelle Maulwurf<br />
Eine ganz aktuelle und hochinteressante Anwendung auf<br />
dem Gebiet des Untertagebaus ist die Bohrsimulation.<br />
Die Lebensdauer eines Bohrkopfes hängt unter anderem<br />
von der Verteilung des Ausbruchs um die Schnittflächen<br />
und entlang des Bohrerschaftes ab. Die Simulation<br />
liefert in diesem Zusammenhang Aussagen zur Rotations-<br />
und Vortriebsgeschwindigkeit sowie zu den erforderlichen<br />
Flüssigkeitsmengen unter Berücksichtigung der<br />
jewei ligen Druckverhältnisse.<br />
Bohrkopferosion<br />
weise erheblich über den prognostizierten Limits liegen.<br />
Bei einer durchschnittlichen Lebensdauer von 40 bis 60 Jahren<br />
sprechen wir von Summen, die einen Anteil von 1 bis 5%<br />
für den digitalen Prototyp am Gesamtvolumen leicht übersteigen<br />
können. Was für das Automobil die Stückzahlen waren,<br />
die dem digitalen Prototyp zum Durchbruch verhalfen, sind<br />
für das Bauwerk die Folgekosten und die Betriebsjahre,<br />
die das ganze monetäre Potenzial dieses Prozesses aufzeigen.<br />
Seine effiziente Umsetzung bedarf einer breiten Öffentlichkeitsarbeit<br />
und vor allem einer Sensibilisierung von<br />
Bauherrschaften und Betreibern bzw. jener, die diese Kosten<br />
schlussendlich zu tragen haben.<br />
<strong>mailing.150</strong> 61
62 <strong>mailing.150</strong>
<strong>mailing.150</strong> 63
64 <strong>mailing.150</strong>
<strong>mailing.150</strong> 65
Eine Zeitreise<br />
66 <strong>mailing.150</strong><br />
1. Generation<br />
Seine Verbindung mit der englischen Industrie ermöglichte es Carl Heinrich <strong>Gruner</strong>, am 4. Juni<br />
1862 in Basel sein eigenes «Technisches Bureau Heinrich <strong>Gruner</strong>, Civil-Ingenieur» zu gründen.<br />
In sämtlichen Schweizer Städten entstanden damals Gaswerke. Zudem bedurften die Wasserversorgungen<br />
einer Verbesserung und Erweiterung.<br />
1873 beschloss Carl Heinrich <strong>Gruner</strong>, nach Dresden zurückzukehren. In Deutschland und im<br />
Nahen Osten bearbeitete er, im Verein mit dem Hydrologen A. Thiem, auf eigene Rechnung<br />
oder als Vertreter von Wasserwerksgesellschaften, eine grosse Anzahl von städtischen Wasserversorgungsanlagen.<br />
1888 verlegte Carl Heinrich <strong>Gruner</strong> seinen Wohnsitz wieder nach Basel.<br />
2. Generation<br />
Carl Heinrich <strong>Gruner</strong><br />
1833–1906<br />
Dr. h.c. Heinrich Eduard <strong>Gruner</strong><br />
1873–1947<br />
Heinrich Eduard <strong>Gruner</strong> fand seinen Weg über die Kulturingenieurschule des Eidgenössischen<br />
Polytechnikums zur Ingenieurabteilung. Er begann seine berufliche Laufbahn mit Reisen nach<br />
England und in die USA.<br />
Wieder in der Heimat (1902), hatte er gemeinsam mit deutschen Ingenieuren eine grosse Aufgabe<br />
zu lösen: das Projekt des Kraftwerks Laufenburg. Baulich war die Fundierung des Stauwehrs,<br />
die von C. Zschokke mit Druckluftcaissons ausgeführt wurde, die schwierigste Aufgabe.<br />
Nach diesem Projekt eröffnete Heinrich Eduard <strong>Gruner</strong> sein eigenes Büro.<br />
Die ETH in Zürich verlieh ihm 1930 den Ehrendoktor der Technischen Wissenschaften in Anerkennung<br />
seiner Beteiligung an der Entwicklung des schweizerischen Wasserbauwesens.<br />
Er war Förderer internationaler technisch-wirtschaftlicher Institutionen, so z.B. der Weltkraftkonferenz<br />
und des Comité International des Grands Barrages, als dessen Präsident er<br />
jahrelang erfolgreich wirkte.
3. Generation<br />
Vom Ingenieurbüro<br />
<strong>Gruner</strong> zur<br />
<strong>Gruner</strong>-Gruppe<br />
1970 wurde die Kollektivgesellschaft<br />
in die Rechtsform einer<br />
Aktiengesellschaft umgewandelt.<br />
Eduard <strong>Gruner</strong><br />
1905–1984<br />
Georg <strong>Gruner</strong> absolvierte seine Lehr- und Wanderjahre auf verschiedenen Baustellen im In-<br />
und Ausland, bis er 1938 als Teilhaber in das väterliche Büro eintrat. Eduard <strong>Gruner</strong> stiess<br />
erst nach dem Tod seines Vaters dazu.<br />
Das Büro <strong>Gruner</strong> hatte rechtzeitig erkannt, dass die Spezialisierung auf Wasserbau für ein<br />
grosses Büro auf die Dauer riskant war. Zwei neue Abteilungen wurden geschaffen: eine für<br />
Tiefbau und eine für Hochbau. Die Umstellung des Büros war rechtzeitig erfolgt, und nach<br />
dem Zweiten Weltkrieg konnten neue Grossprojekte angepackt werden. In der Schweiz waren<br />
dies Wasserkraftanlagen, Industriebauten und Wohnhäuser. Im Ausland konnten Dammbauten<br />
wie der Konardam in Indien und Kraftwerke wie Baygorria am Rio Negro (Uruguay) projektiert<br />
sowie geleitet werden.<br />
Dieter Ernst<br />
1937<br />
Dr. h.c. Georg <strong>Gruner</strong><br />
1908–2004<br />
Nach diversen Auslandaufenthalten trat Dieter Ernst, dipl. Bauingenieur ETH, 1970 als Leiter<br />
der Hauptabteilung Hoch- und Brückenbau in die <strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong> ein. Die Abteilung war damals<br />
die tragende Säule des Ingenieurbüros. Beim Generationenwechsel wurde ihm 1972 als<br />
Nachfolger von Georg <strong>Gruner</strong> der Vorsitz der Geschäftsleitung übertragen. Mit Weitsicht<br />
und Erfolg hat Dieter Ernst den Ausbau der <strong>Gruner</strong>-Gruppe vorangetrieben und das gesamte<br />
Spektrum der planerischen Leistungen integriert. Von 1974 bis 2009 war Dieter Ernst im<br />
Verwaltungsrat. Er übernahm das Präsidium im Jahr 2000 und übergab die Geschäftsführung<br />
an Flavio Casanova. Per 1. Mai 2009 wurde sein Sohn Thomas Ernst zum Präsidenten<br />
gewählt.<br />
<strong>mailing.150</strong> 67
<strong>mailing.150</strong> der <strong>Gruner</strong>-Gruppe<br />
Redaktion<br />
Eliane Mattenberger<br />
Sylvia Bezzola<br />
Marketing, Kommunikation<br />
<strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong>, Basel<br />
Bilder<br />
Diverse Archive und teilweise z.V.g.<br />
Gestaltung<br />
Brenneisen Communications, Basel<br />
Druck<br />
Schwabe <strong>AG</strong>, Muttenz<br />
Nachdruck<br />
Nachdruck oder sonstige Vervielfältigung,<br />
auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher<br />
schriftlicher Genehmigung des<br />
Herausgebers.<br />
<strong>Gruner</strong> <strong>AG</strong><br />
Ingenieure und Planer<br />
Gellertstrasse 55<br />
CH-4020 Basel<br />
Telefon +41 848GRUNER<br />
oder +41 61 317 61 61<br />
Fax +41 61 312 40 09<br />
mail@gruner.ch<br />
www.gruner.ch