Schneller-Magazin 1/2006 (PDF, 600KB) - EMS
Schneller-Magazin 1/2006 (PDF, 600KB) - EMS
Schneller-Magazin 1/2006 (PDF, 600KB) - EMS
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
die Mehrheit der palästinensischen Christen<br />
– wie auch für eine signifikant hohe<br />
Anzahl säkularer und intellektueller Muslime<br />
– ist die soziale Agenda der Islamisierung<br />
von Hamas beängstigend. Sie<br />
beinhaltet Dinge wie beispielsweise einen<br />
Kleidercode oder das Verbannen von<br />
Alkohol.<br />
Es wird einige Zeit dauern, bis der allgemeine<br />
Schock über das Wahlergebnis<br />
verarbeitet ist. Neulich fragte mich ein<br />
Freund: „Du warst immer gut im Reden<br />
über die endlosen Möglichkeiten angesichts<br />
der riesigen Herausforderungen;<br />
kannst du sie nun immer noch erkennen?“<br />
Meine Antwort war: „Unbedingt!“<br />
Ich meinte damit nicht, dass ich die Sorgen<br />
und Gefahren, die sich hinter der sogenannten<br />
grünen Revolution verbergen,<br />
reduzieren möchte. Und ich will auch<br />
nicht die Möglichkeit einer Islamisierung<br />
unserer Gesellschaft herunterspielen,<br />
ebenso wenig wie die möglichen Auseinandersetzungen<br />
zwischen Hamas und Fatah<br />
bzw. die Wahrscheinlichkeit einer Isolierung<br />
Palästinas durch die internationale<br />
Gemeinschaft.<br />
Ein demokratischer Wechsel<br />
Man muss aber auch die andere Seite der<br />
Medaille sehen: Dies ist das erste Mal im<br />
Nahen Osten, dass die Spielchen einer<br />
einzigen Partei friedlich durch demokratische<br />
Wahlen beendet wurden. Die Menschen<br />
haben entschieden, dass es nun genug<br />
ist mit Fatah. Dieser Wechsel hat<br />
nicht nur mit der Macht und dem Einfluss<br />
von Hamas zu tun, sondern auch<br />
mit einem notwendigen Prozess in unserer<br />
Gesellschaft. Es ist das Ende der PLO,<br />
so wie wir sie kennen. Ihre Parteien und<br />
Strukturen haben keinerlei Bezug mehr<br />
zu den Anliegen der palästinensischen<br />
Gesellschaft.<br />
Eine neue politische Landkarte wird<br />
entstehen und das bringt unendlich viele<br />
Möglichkeiten mit sich. Die Identität der<br />
Fatah nach Arafat muss neu geformt werden.<br />
Die linken Parteien müssen aufwachen,<br />
sich zusammenfinden und eine<br />
neue Vision entwickeln. Hamas ist gezwungen,<br />
ihre Fähigkeiten unter Beweis<br />
zu stellen, um zu erfüllen, was sie versprochen<br />
haben. Die Menschen in Palästina<br />
werden sich daran gewöhnen, regelmäßig<br />
ihre Repräsentanten durch<br />
demokratische Wahlen zur Rechenschaft<br />
zu ziehen.<br />
Aufgerufen zur Mitarbeit<br />
Was ist aber mit uns palästinensischen<br />
Christen? Ich denke, wir sind aufgerufen,<br />
uns nicht zu fürchten – und uns nicht<br />
aus der Politik zurückziehen. Wir sind<br />
aufgerufen, uns nicht wie Zuschauer zu<br />
fühlen, sondern mitzuwirken und mitzugestalten<br />
bei der Suche nach einer<br />
neuen palästinensischen Identität. Wir<br />
sind aufgerufen, mitzuarbeiten an einem<br />
neuen politischen System, das modern<br />
und berechenbar ist.<br />
Im Rahmen der Instrumentalisierung<br />
von Religionen sind wir aufgerufen für<br />
eine neue Form von tiefer Spiritualität zu<br />
sorgen. Und im Kontext der Desorientierung<br />
ist es unsere Berufung, eine Vision<br />
neuer Hoffnung und dynamischer Identität<br />
anzubieten. Dies ist nicht nur eine<br />
Herausforderung, sondern auch eine Ehre<br />
und ein Privileg daran mitwirken zu können.<br />
Es scheint, dass wir in Zeiten wie diesen<br />
am meisten gebraucht werden.<br />
25