groB gröBEr gröBChEn Daniel versus Daniel „Musik aus der Wolke“ gewinnt, aktuell getrieben durch auffällige TV-Spots und Print-Werbung von Deezer & T-Mobile, immer mehr Fans. Tatsächlich könnten Streaming-Anbieter eine kommerzielle Kultur-Flatrate bald zum gesellschaftlichen Allgemeingut erklären, meint WALTER GRÖBCHEN. Wissen Sie, wer der „wichtigste Mann der Musikbranche“ ist, zumindest dem paternalistischen Urteil des Wirtschaftsmagazins „Forbes“ nach? Lucian Grainge? Paul McCartney? Doug Morris? David Guetta? Falsch geraten. Es ist Daniel Ek. Daniel Who? Nun, Ek hat vor nicht einmal sechs Jahren <strong>die</strong> Streaming-Plattform Spotify gegründet, gemeinsam mit Martin Lorentzon. Heute ist er ihr CEO. Einer der Schwerver<strong>die</strong>ner der Branche ist Ek allemal: laut „Sunday Times“ rangiert der in London lebende 29jährige Schwede auf Platz zehn der britischen Musik-Topver<strong>die</strong>ner. Mit einem Vermögen von rund 250 Millionen Euro – was seinem 15-prozentigen Aktien-Anteil an Spotify entspricht – liegt er gleichauf mit Mick Jagger. „Der brauchte allerdings“, merkte „Musikwoche“-Chefredakteur Manfred Gillig in einem Kommentar an, „mit den Rolling Stones fünfzig Jahre und viel sportliche Betätigung auf der Bühne, um so weit zu kommen.“ Gerecht? Nunja. „Business is war“, wie einst schon Atari-Kriegsführer Jack Tramiel verkündete. Das gilt auch und erst recht <strong>für</strong> <strong>die</strong> Post-PC-Ära. Ek liefert mit Spotify ein weiteres Beispiel da<strong>für</strong>, wie Geschäftsmodelle im Internet funktionieren - von unten nach oben, Pioniere und „First Mover“ begünstigend, primär aufgeladen durch Phantasien, Zukunftshoffungen und Revenue-Perspektiven. Anders gesagt: bislang sind Streaming Services durch <strong>die</strong> Bank kein Geschäft. Es werden gerade mal <strong>die</strong> Claims verteilt, <strong>die</strong> Marken gebildet und <strong>die</strong> Märkte Land <strong>für</strong> Land „aufgerollt“. Große Fragezeichen – to say the least – gibt es, was <strong>die</strong> Verteilung der Einnahmen, <strong>die</strong> durch Abonnements und Werbung erzielt werden, betrifft. Verwertungsgesellschaften sammeln erste Erfahrungen (und haben hoffentlich nur kurzfristige Verträge mit Spotify, Simfy, Juke, Qriocity & Co. abgeschlossen), Major-Manager stu<strong>die</strong>ren interessiert <strong>die</strong> Statistiken, kleinere Labels, Verlage und KünstlerInnen müssen sich bislang mit Kaffeesudleserei und vagen Prognosen begnügen. Die fielen in der Mehrzahl pessimistisch aus. Von Centbeträgen war zumeist <strong>die</strong> Rede, zumindest <strong>für</strong> unbekanntere Acts. Von Streaming-Einnahmen könne nicht einmal Lady Gaga leben, urteilten Analysten, und noch sei keineswegs erwiesen, dass man nicht zuvorderst den allmählich halbwegs funktionierenden legalen Download-Markt kannibalisiert. Mittlerweile hat sich Spotify nach iTunes jedenfalls, so Insider, zum zweitwichtigsten Einkommens-Generator <strong>für</strong> <strong>die</strong> Musikindustrie entwickelt. Immerhin schüttet das Service – ähnlich Apples iTunes – zwei Drittel seiner Einnahmen wieder an Urheber, Verwerter und Distributoren aus. „Auf den ersten Blick wirkt Eks Vermögen krass im Vergleich mit den Centbruchteilen, <strong>die</strong> Urheber pro einzelnem Streamingabruf erhalten“, so „Musikwoche“-Beobachter Gillig. „Allerdings gilt im Internet mehr als sonstwo <strong>die</strong> alte Volksweisheit: auch Kleinvieh macht Mist.“ Unter uns: da schau’ ich mir Ende 2012 <strong>die</strong> Jahresabrechnung unseres Digitalvertriebs mal ganz genau an. Aber vielleicht sind mit „Musikindustrie“ ja auch nur Universal, Sony, Warner & EMI gemeint (<strong>die</strong> sich längst auch ihre Besitzanteile an Spotify gesichert haben), und eventuell ein paar den In<strong>die</strong>-Verband Merlin dominierende, global agierende Vertriebe und Verlage mit angeschlossener Master-Akquisitionsabteilung. In Schweden jedenfalls hält Eks Streaming-Plattform nach Eigenangaben einen knapp 90prozentigen (!) Anteil am Digitalmarkt, in der ersten Jahreshälfte 2012 hat man eine Umsatzsteige- 54 | Film Sound & Media rung <strong>für</strong> den gesamten Musikmarkt – in dem physische Produkte nur mehr rund 40 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen – von über einem Drittel erzielt. Good news. Really good news. Vielleicht aber auch nur ein höchst insignifikanter Ausnahmefall. In Österreich sieht’s anders aus. Bislang. Deutlich schaumgebremster, auch wenn sich <strong>die</strong> IFPI-Presseabteilung Jahr <strong>für</strong> Jahr redlich bemüht, <strong>die</strong> positiven Aspekte im Gesamtbild hervorzustreichen. Der größte Erfolg ist jedenfalls, mit bequemen, innovativen, legalen Angeboten mehr und mehr Musikfans aus der Grauzone des File-Sharings und Gratis-Konsums zurückzuholen. Oder sie gar nicht erst dorthin abtauchen zu lassen. Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass hierzulande das absehbare Duopol iTunes/Spotify anno 2012 durch weitere, so überraschend wie frischfröhlich am Markt auftretende Konkurrenten aufgebrochen wird. Zuvorderst ist es der französische Anbieter Deezer in Allianz mit T-Mobile Austria, der hier Wellen schlägt. Während sich Marktführer A1 nicht – wie ursprünglich vermutet und von Spotify auch gern gewollt – mit dem Streaming-Platzhirschen einigen konnte, zeitigt der den ganzen Sommer über mit massivem Werbeaufwand forcierte Deezer-Vorstoß „mehr als befriedigende Resultate“, wie man aus T-Mobile-Zentrale am Rennweg zu hören bekommt. Dass man sich auch vorgenommen hat, <strong>die</strong> lokale Musikszene besonders in <strong>die</strong> Auslage zu stellen – der Autor <strong>die</strong>ser Zeilen trägt dazu aktuell als Berater der Deezer-Chefetage bei, das sei nicht verschwiegen –, darf auch als Signal verstanden werden. Heißt es nun also: David gegen Goliath? Nein: Daniel versus Daniel. Denn Daniel Marhely jedenfalls, der 2007 Deezer gegründet hat, dürfte nicht nur in Frankreich, sondern absehbar auch im kleinen, feinen GSA-Testmarkt Österreich am Leader-Status von Daniel Ek kratzen. 15 Millionen Musiktitel, 20 Millionen Nutzer, sechs Millionen „Unique Visitors“ pro Monat und mehr als 1,4 Millionen Premium-Abonnenten weltweit machen sich ganz gut; hierzulande wird man wohl bald eine fünfstellige Anzahl von Deezer- Nutzern gewonnen haben. Unlimitierte „All Inclusive“-Tarifpakete nach T-Mobile-Muster könnten der „Musik aus der Wolke“ den Weg freiräumen, direkt in <strong>die</strong> Schulklassen, Wohnzimmer, Smartphones und Gehörgänge einer ganzen Generation hinein. Sie kommen dabei der Idee einer „Kultur-Flatrate“ auf freiwilliger Basis technisch, soziologisch und ökonomisch schon verdächtig nahe. Debattenstoff galore. Telekommunikations-Dienstleister als Bulldozer der Musik-Revolution? Lassen wir <strong>die</strong> Kirche im Dorf: noch steckt Audio-Streaming in den Kinderschuhen. Noch sind wir alle in der Experimentier-, Entwicklungs- und Evaluierungs-Phase. Noch muss ein Silberstreifen am Horizont keinen ewigwährenden Sommer bedeuten. Noch gilt es eine faire Balance aller Kräfte, Marktteilnehmer und Interessen herzustellen. Noch müssen <strong>die</strong> Fans mit kompetentem Service, klarer Kommunikation, attraktiven Preisen und appetitweckender „All you can eat“-Repertoirebreite langfristig überzeugt werden. Um <strong>die</strong> Attraktivität des musikalischen Treibsatzes <strong>für</strong> <strong>die</strong> potenzielle Business-Rakete müssen wir uns keine Sorgen machen. Noch, nein: einmal mehr gilt das Prinzip Hoffnung. Stärker jedenfalls als all <strong>die</strong> Jahre zuvor. walter.groebchen@monkeymusic.at
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