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Verstehen heißt Wiedererfinden - Freinet-Kooperative eV

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Stunde genutzt, um zu erläutern, was sich hier abspielte.<br />

Die erste wollte gerade die Macht über die drei anderen<br />

sowie über die Gruppe übernehmen. Das war nicht akzeptabel.<br />

Sie mussten die Macht sofort zerstören, indem sie<br />

zeigten, dass sie nicht nur die Lösung, sondern auch den<br />

genauen Wortlaut des Rätsels kannten.<br />

Diese Reaktion auf die Gefahr des Beherrscht-Werdens<br />

durch das Wissen der anderen, tritt immer wieder auf.<br />

Man braucht nur den Unterhaltungen in den Familien, im<br />

Restaurant, im Bus, im Zug usw. zu lauschen um festzustellen,<br />

dass es ein allgemeines Phänomen ist. Ich hatte<br />

übrigens die Gelegenheit festzustellen, dass es auch auf<br />

mich zutrifft. Stolz auf meine wenigen Italienischkenntnisse,<br />

amüsierte ich mich eine Weile mit dem Spiel, bei<br />

jeder sich bietenden Gelegenheit den Ausdruck ‚lo so, lo<br />

sapevo‘ (ich weiß es, ich wusste es) zu benutzen. Aber<br />

dann bemerkte ich, dass ich ihn nicht nur im Spiel benutzte<br />

. Und jetzt, wo ich sensibler darauf achte, höre ich<br />

überall sagen: „Ich weiß“ und außerdem noch:<br />

„Oh! Das weiß ich schon seit langem!“<br />

„Du sagst uns nichts Neues!“<br />

„Was bildest du dir ein?“<br />

„Wir brauchten dich nicht um das herauszufinden.“<br />

„Wir sind schon lange auf dem Laufenden.“<br />

„Das wissen wir doch alle schon.“<br />

„Du musst immer mit deiner Wissenschaft kommen.“<br />

Natürlich findet man dies auch bei Kindern wieder,<br />

diesen großen Rätselexperten.<br />

Ich denke da z.B. an Philippe (8 Jahre alt), der eine mathematische<br />

Erfindung gemacht hatte:<br />

„Ich habe sechs Schildkröten und vier Salatköpfe. Eine<br />

Schildkröte nimmt einen Salat oder zwei. Welche nimmt<br />

welche?“<br />

Also haben seine Mitschüler viele irgendwie zufällige<br />

Lösungen vorgeschlagen. Aber jedes Mal antwortete er<br />

mit nein. Schließlich gab die ganze Klasse auf: „Sag es<br />

uns, Philippe.“<br />

„Nun gut, es waren die dritte und der vierte.“<br />

„Aber wie sollten wir das rauskriegen, wenn du uns<br />

nicht genügend Auskünfte gibst?“<br />

„Ja richtig, aber ich, ich wusste es.“<br />

Dieses Kind hatte große Schwierigkeiten in der Beziehung<br />

zu seiner Mutter, die es erdrückte. Und es musste<br />

lange an der kunstvollen Konstruktion eines ganz persönlichen<br />

Wissens arbeiten, ehe es aufnahmebereit für die<br />

Beziehungen war, die zwischen den Dingen (Zahlen, Formen,<br />

Figuren usw.) bestehen. Ehe es Zugang zur objektiven<br />

Mathematik haben konnte, musste es durch seine<br />

subjektive Mathematik hindurchgehen. Und die Mathematik<br />

von Philippe war voll von Rätseln. (Hier auch wieder<br />

die Macht desjenigen, der die Rätsel stellt und durch<br />

die Macht seines Wissens herrscht.) Er war unter ande rem<br />

der Älteste in einer Geschwisterreihe und hatte ein starkes<br />

Bedürfnis, die wiederholten Machtverluste zu kompensieren.<br />

Es mag ein extremes Beispiel sein, aber so etwas<br />

kommt viel öfter vor, als man glaubt. (18)<br />

Wenn jemand ein herausragendes Wissen zeigt, das<br />

die Bewunderung herausfordert, zeichne ich sofort einen<br />

Strich an die Tafel und sage:<br />

(18) Eine so umwerfende Feststellung schockiert den Leser vielleicht.<br />

Aber wir haben eine über 30-jährige stete Erfahrung mit die sem<br />

psychologischen Phänomen, (vergl. auch Baruk 1985)<br />

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