Verstehen heißt Wiedererfinden - Freinet-Kooperative eV
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seiner Ganzheitlichkeit wahrnehmen, dass jedweder Erfolg<br />
in einem Bereich eine Verbesserung der Leistungen<br />
in den anderen Bereichen nach sich zieht. Und mit der<br />
natürlichen Methode haben die Kinder so viele Gelegenheiten,<br />
selbstbewusst zu werden, dass der Lehrer sich sehr<br />
bald keine Sorgen mehr macht.<br />
So in seinem Selbstvertrauen gestärkt, entwickelt<br />
man eine neue Bereitschaft, an den vielen verschiedenen<br />
Aktivi täten der Gruppe teilzunehmen und sich Kenntnisse<br />
anzueignen. Dieses Phänomen war besonders bei<br />
dem Lehrerfortbildungskurs in Aix-en-Provence deutlich.<br />
Ein Teilnehmer, Jean-Marie, Ausbilder im Fleischerhandwerk,<br />
kam sich in seiner Gruppe, die von Intellektuellen<br />
dominiert wurde, ein wenig verloren vor. Nun hatte<br />
er herausgefunden, dass das Esperanto-Wort ‘la’ im Französischen<br />
‚la‘ und auch ‚les‘ bedeutet. Und - einmal auf der<br />
Fährte - hatte er entdeckt, dass die beiden französi schen<br />
Begriffe ‚de la‘ und ‚du‘ in Esperanto ‚de la‘ wer den.<br />
Und obwohl er in dieser Gruppe nicht so viele Eisen<br />
im Feuer hatte, so hat er doch einen Bereich gefunden,<br />
der ihm gefiel. Sein erster Fund hat ihm den Weg geebnet.<br />
Danach, selbstsicher geworden, konnte er beruhigt<br />
die Entdeckung der Pronomen in Angriff nehmen. Und<br />
da er dadurch offener wurde, konnte er sich auch für die<br />
Untersuchungen der anderen interessieren und sich ohne<br />
(psychische) Probleme die von der Gruppe erarbeiteten<br />
Ergebnisse aneignen.<br />
Aber bevor ich fortfahre, möchte ich noch einen besonderen<br />
Aspekt von ‚Macht durch Wissen‘ ansprechen: Ich<br />
möchte diejenigen erwähnen, die die Macht nicht mehr<br />
aufgeben wollen, wenn sie sie einmal erobert haben.<br />
Am I.U.T. hat mir ein Professor einmal gesagt:<br />
„Ich habe die Absicht, eine Vorlesung über Linguistik<br />
zu halten und mich dabei auf die Schifffahrtszeichen beziehen.“<br />
„Das ist ausgezeichnet. Die Studenten werden zufrieden<br />
sein, weil sie fast alle segeln.“<br />
„Ja, aber ich nehme die Zeichen der Flussschifffahrt.“<br />
„Aber hier bei uns in der Bretagne gibt es keinen<br />
schiffbaren Fluss.“<br />
„Das macht nichts. Ich weiß aber nur darüber Bescheid.“<br />
„Aber könnten Sie das nicht auf die Seeschifffahrt<br />
übertragen?“<br />
„Aber nein, schließlich habe ich nur über die Flussschifffahrt<br />
gearbeitet.“<br />
Zu diesem Professor kamen nur drei Studenten, später<br />
waren es nur noch zwei. Aber das machte ihm nichts: Er<br />
war genauso zufrieden, als ob er fünfzig gehabt hätte, weil<br />
er seine Rolle spielen konnte.<br />
Gruppenphänomene<br />
Oft sehe ich gleich zu Beginn einer Sitzung zwei Personen,<br />
die miteinander reden. Ich greife das sofort auf: „Halt,<br />
wartet: Hier passiert gerade etwas Wichtiges. Ihr beiden,<br />
ihr habt miteinander geredet. Könnt ihr uns bitte sagen,<br />
worüber ihr geredet habt?“ Da die Atmos phäre meistens<br />
entspannt ist, tun sie es. Und danach fahren wir fort. Aber<br />
sehr bald muss ich wieder unterbrechen, weil ein anderes<br />
Zwiegespräch stattfindet. Und kaum habe ich die beiden<br />
gebeten, den Inhalt ihres Gesprächs der Gruppe mitzuteilen,<br />
mache ich auf ein drittes Zwiegespräch aufmerksam,<br />
das ebenfalls gerade stattfindet. Endlich habe ich einen<br />
Anlass gefunden, meinen Vortrag loszuwerden:<br />
„Ihr seht, obwohl ich auf dieses Phänomen hingewie sen<br />
habe, obwohl wir mit dem Finger darauf gezeigt haben,<br />
hat euch all das nicht daran hindern können mit einander<br />
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