Verstehen heißt Wiedererfinden - Freinet-Kooperative eV
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Frage nach der Bewertung stellt sich nicht mehr. Man ist damit<br />
zufrieden, glücklich, entspannt und in perfekter Harmonie mit<br />
der übrigen Gruppe zu sein. Und folglich ist man auch empfänglich<br />
und ausgeglichen und kann die Dinge ruhig, objektiv<br />
und wissenschaftlich betrachten.<br />
Zumindestens läuft es im Allgemeinen so ab. Aber auf dem<br />
R.I.D.E.F. (19) in Dänemark habe ich etwas Beson deres erlebt.<br />
Da die Voraussetzungen günstig waren, habe ich verwegen ein<br />
Atelier ‚Dänisch lernen mit der natürli chen Methode‘ vorgeschlagen.<br />
Jeder Teilnehmer plapper te irgend etwas. Die Dänin<br />
Lina Nielsen hörte aufmerk sam zu und sobald sie ein dänisches<br />
Wort hörte, machte sie darauf aufmerksam und schrieb<br />
es an die Tafel. Zum Beispiel habe ich losgeplappert: „schtrine<br />
tom gram ver ström gur.“ „Ah, du hast ‚ström‘ gesagt, damit<br />
ist Strom (wie bei ‚Golfstrom‘) gemeint. Ich schreibe es an die<br />
Tafel.“<br />
Auf diese Weise hatte bald jeder der fünfzehn Teil nehmer<br />
sein eigenes Wort. Und dann haben wir in dieser Art weitergearbeitet.<br />
Am Ende der Tagung, genau in der letzten Sitzung,<br />
habe ich alles aufgezählt, was sich noch hätte ereignen können<br />
und auch zur natürlichen Methode gehört. Als ich dabei zum<br />
Thema des weiten und des engen Bewusstseins kam, rief Diva,<br />
die junge Brasi lianerin aus: „STRAMM!“<br />
Wir sind hochgeschreckt und haben uns verblüfft angesehen.<br />
Was ist los? Was hat sie gepackt? Warum hat sie so geschrieen?<br />
Und Diva hat es uns so erklärt:<br />
„Stram, das <strong>heißt</strong> eng. Es ist das erste dänische Wort,<br />
das ich am Anfang des Seminars gefunden hatte.<br />
Paul hat gesagt, dass es wichtig ist, dass jeder aus irgendeinem<br />
Grunde von der Gruppe anerkannt würde:<br />
durch seine Anständigkeit, die Hilfe, das Lachen, das<br />
(19) R.I.D.E.F.: ‘Rencontre Internationale des Educateurs <strong>Freinet</strong>’:<br />
Internationale Tagung der <strong>Freinet</strong>-Pädagogen. Sie findet alle zwei Jahre in<br />
wechselnden Ländern statt. (Anm. d. Übers.)<br />
Wissen, das Teilen usw. Aber ich habe mir während die ser<br />
ganzen Tage immer wieder gesagt: ‚Die anderen kön nen<br />
etwas, aber ich tauge zu nichts. Ich habe mich bei kei ner<br />
Gelegenheit hervortun können.<br />
Ich war sauer und zornig auf mich selbst. Und außer<br />
mir waren alle anderen lustig und entspannt. Sie waren<br />
alle von der Gruppe akzeptiert.<br />
Paul merkte aber nichts und fuhr mit seiner Zusammenfassung<br />
fort. Wir hatten nur noch eine halbe Stunde<br />
für die gemeinsame Arbeit. Einmal mehr hatte ich meine<br />
Gelegenheit verstreichen lassen. Auf alle Fälle war es zu<br />
spät, es war verpatzt.<br />
Aber als Paul das Wort ‘etroit’ (eng) aussprach, kam<br />
mir das dänische Wort wieder in den Sinn, und ich habe<br />
es, so laut ich konnte, aus mir rausgeschrieen, ohne dass<br />
ich mir dessen bewusst war, so glücklich war ich, dass ich<br />
jetzt auch für die Gruppe existierte.“<br />
Ihr könnt es ruhig glauben, dass wir es nicht nötig hatten,<br />
dieses Ereignis aufzuschreiben um es in Erinnerung<br />
zu behalten. Wir haben kapiert, dass sie wirklich gelitten<br />
hatte.<br />
Ich brauchte einige Zeit, um die Bedeutung dieser<br />
Angelegenheit zu verstehen. Ich habe mir lange Zeit eingebildet,<br />
dass es einen (unausgesprochenen) Konsens gibt,<br />
nämlich dass es sich in den Sitzungen lediglich um eine<br />
Simulation handelt. In meiner Vorstellung ist mir klar gewesen:<br />
Es ist alles nur zum Spaß. Und nun? Nun scheint es<br />
so zu sein, dass man nicht auf der Ebene des Spiels bleiben<br />
kann. Die Teilnehmer lassen sich sofort viel intensiver darauf<br />
ein, als ich es vermutet hätte.<br />
So war es z.B. auch bei Veronique, einer Teilnehmerin<br />
bei einem anderen Seminar. Sie kam in der Pause zu mir<br />
und sagte:<br />
„Das, was die Gruppe gerade herausgefunden hat, das<br />
hatte ich aber zuerst herausgefunden. Warum hast du es<br />
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