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Rezensionen<br />

61<br />

REZENSION<br />

Hochbegabte Kinder und Jugendliche. Diagnostik – Förderung – Beratung.<br />

Rohrmann, S. & Rohrmann, T. (2005).<br />

Hochbegabte Kinder und Jugendliche.<br />

Diagnostik – Förderung – Beratung. München:<br />

Ernst Reinhardt. [242 S. mit 13 Abbildungen<br />

u. 3 Tabellen; ISBN 3-497-<br />

01786-8]<br />

Gleich zu Anfang sei festgehalten, dass man<br />

dem Buch anmerkt, dass es nicht von „Newcomern“<br />

im Felde geschrieben wurde. Sabine<br />

Rohrmann, geb. Platzer, hat eine eigene Praxis<br />

für Bildungsberatung und Begabtenförderung,<br />

ist approbierte Kinder- und Jugendpsychotherapeutin<br />

und hat vorher längere<br />

Zeit an der Jugenddorf-Christophorusschule<br />

Braunschweig als Beraterin und Schulpsychologin<br />

gearbeitet. Ihr Ehemann, Tim Rohrmann,<br />

ist ebenfalls Diplom-Psychologe und arbeitet<br />

selbständig in Fortbildung und Beratung sowie<br />

in Forschungsprojekten zur Entwicklung<br />

und Pädagogik im Vor- und Grundschulalter.<br />

Die Autoren versuchen gleich von Beginn an,<br />

die Diskussion um Hochbegabung zu entdramatisieren.<br />

Dazu gehört ihr entwicklungspsychologisches<br />

und pädagogisches Credo, dass<br />

Kinder kompetent sind, „von Geburt an aktiv<br />

lernende Wesen, die sich mit ihrer Umwelt<br />

auseinandersetzen.“ (S. 11) Verschiedenheit<br />

(„diversity“) wird als Chance gesehen, die<br />

für alle gilt. Das beinhaltet für die Autoren<br />

zugleich, nicht besondere Programme für besondere<br />

Kinder zu propagieren, sondern „Kindern<br />

in all ihrer Unterschiedlichkeit gerecht<br />

zu werden und einen Rahmen zu schaffen,<br />

in dem sie ihre Potenziale verwirklichen können.“<br />

(S. 16)<br />

Um die „Vielfalt der Persönlichkeiten und<br />

Verhaltensweisen von Begabten“ (S. 22) zu<br />

zeigen, stellen sie eine kleine „Typenlehre“<br />

mit neun, in drei Gruppen eingeteilten Typen<br />

auf: Die Erfolgreichen, die Schwierigen und<br />

die Unauffälligen; allerdings scheint mir die<br />

Reduzierung auf Typen zur Demonstration<br />

von Mannigfaltigkeit ein gewisser Widerspruch<br />

in sich selbst zu sein.<br />

In dem eher theoretisch orientierten Kapitel<br />

über Modelle und Definitionen wollen die Autoren<br />

„etwas Licht in diesen Begriffsdschun-<br />

gel bringen“ und u. a. klären, was „genau unter<br />

Intelligenz und Begabung verstanden“ (S.<br />

31) werde. Das gelingt ihnen nur zum Teil. Sie<br />

bieten für ein Buch dieser Art eine erfreulich<br />

zurückhaltende Auswahl von Definitionen<br />

und Modellen an, ohne dass aber der eigene<br />

Standpunkt wirklich erkennbar wird. Eine<br />

gewisse Sympathie erfährt der an Sternberg<br />

angelehnte Ansatz von „Hochbegabung als<br />

‚developing expertise’“ (S. 50f), weil er in<br />

gelungener Weise psychometrische und kognitionspsychologische<br />

Ansätze miteinander<br />

verbindet. Bis zum Schluss aber erfährt die<br />

Leserin/der Leser beispielsweise nicht, ob<br />

die Autoren Intelligenz und Begabung als synonym<br />

betrachten oder nicht.<br />

Im Kapitel über Diagnostik wird u. a. auf die<br />

Schwierigkeiten hingewiesen, zuverlässige<br />

und prognostisch valide, intelligenzdiagnostische<br />

Ergebnisse im frühen Kindesalter zu<br />

erheben. Die Autoren ziehen daraus die Konsequenzen,<br />

zum einen im Kindergarten- und<br />

Grundschulalter grundsätzlich nur von „Entwicklungsvorsprüngen“<br />

und nicht von Hochbegabung<br />

zu sprechen, und zum Zweiten,<br />

testpsychologische Untersuchungen eher<br />

später als früher durchzuführen. Zu Recht<br />

weisen sie auf die in der Praxis häufig vernachlässigte<br />

Bedeutung des Messfehlers<br />

hin sowie auf die Problematik der Verwendung<br />

veralteter Normen. In kurzen und kritisch<br />

bewertenden Beschreibungen werden<br />

eine ganze Reihe ein- und mehrdimensionaler<br />

Intelligenztests vorgestellt.<br />

Gar nicht zustimmen kann ich der von den<br />

Autoren sehr bestimmt vertretenen Ablehnung<br />

zweier häufig verwendeter Verfahren,<br />

nämlich des „Adaptiven Intelligenz-Diagnostikums<br />

(AID)“ sowie der „Kaufman–Assessment<br />

Battery for Children (K-ABC)“. Beide<br />

Instrumente können m. E. dem erfahrenen<br />

Testleiter/der erfahrenen Testleiterin und<br />

Auswerter/in befriedigende, nützliche und<br />

interpretierbare Hinweise geben, mit der Einschränkung,<br />

dass ein Einsatz der K-ABC nur<br />

bis zu etwa 7/8 Jahren (und nicht bis zum eigentlich<br />

vorgesehenen Alter von 12;5) sinnvoll<br />

erscheint, da sonst bei begabteren Kindern<br />

verstärkt Deckeneffekte auftreten können.<br />

Bezüglich der das AID betreffenden Ablehnung<br />

ergibt sich die Vermutung, dass die<br />

Autoren nicht allzu sehr mit dem Test vertraut<br />

sind, da sie in der Besprechung schreiben:<br />

„Ähnlich wie in den Wechsler-Tests ergibt<br />

das Verfahren zwei allgemeine Werte,<br />

hier für verbal-akustische sowie für manuell-visuelle<br />

Fähigkeiten.” (S. 75) Das trifft allerdings<br />

für den überarbeiteten AID 2, der im<br />

Jahre 2000 herauskam und den alten AID von<br />

1991 ersetzt, schlichtweg nicht zu.<br />

Positiv ist hervorzuheben, dass sich die Auflistung<br />

von Diagnoseinstrumenten mit Kurzbesprechungen<br />

nicht nur auf Intelligenztests<br />

beschränkt, sondern auch eine ganze Reihe<br />

von Verfahren zur „Diagnostik von nichtkognitiven<br />

Persönlichkeitsfaktoren und sozialemotionaler<br />

Situation“ mit einbezieht, und<br />

dass 10 Leitlinien für Begabungsdiagnostik<br />

und Gutachtenerstellung vorgestellt werden,<br />

die für Eltern und Lehrer/innen im Umgang<br />

mit und bei der Bewertung von Gutachten<br />

(bzw. Gutachtenden) nützlich sein können.<br />

Mit einer ganzen Reihe von kurzen Fallbeispielsschilderungen<br />

werden die Ausführungen<br />

zu problematischen Entwicklungen bei Hochbegabten<br />

eindrucksvoll illustriert. Der schon<br />

zu Beginn angesprochene Ansatz wird auch<br />

hier wieder deutlich, wenn kritisiert wird, dass<br />

„bei einem Verständnis von Hochbegabung als<br />

Problem völlig aus dem Blick gerät, […] dass<br />

hohe Begabung in erster Linie eine Ressource<br />

darstellt.“ (S. 90) Im Besonderen angesprochen<br />

werden ausführlich Underachievement und Etikettierung,<br />

außerdem asynchrone Entwicklung,<br />

Probleme im Sozialverhalten, psychische<br />

Störungen und Sexualität.<br />

Immer wieder taucht im Buch die Genderproblematik<br />

auf, die ein spezielles Arbeitsgebiet<br />

von Tim Rohrmann zu sein scheint. Wobei<br />

nicht, wie sonst üblich, die „benachteiligten<br />

Mädchen“ im Vordergrund stehen, sondern<br />

es wird „ein differenzierender Blick auf die je<br />

spezifischen Chancen und Risiken beider Geschlechter“<br />

gefordert, der nicht die Benachteiligungen<br />

der Geschlechter gegeneinander<br />

aufrechnet. (S. 54) Diesen Perspektivenwechsel<br />

sehen die Autoren noch nicht in der<br />

Forschung und Praxis zu Hochbegabung und<br />

Begabtenförderung angekommen.

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