31.10.2013 Aufrufe

studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen

studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen

studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

110 Zur Entstehungsgeschichte des Buchs der Sprüche<br />

Fünf dieser Gedichte wurden nicht ins Buch der Sprüche aufgenommen;<br />

eins da<strong>von</strong> stellte Goethe ins Buch des Sängers, drei ins Buch<br />

Suleika, ein weiteres blieb <strong>von</strong> der Aufnahme in den Divan ausgeschlossen.<br />

2)<br />

Bei der Redaktion des Buchs der Sprüche schaltete Goethe das später<br />

Entstandene in der Weise ein, daß dadurch die Gedichte der<br />

Kräuterschen Reinschrift unterbrochen, die Reihenfolge auf den einzelnen<br />

Blättern derselben jedoch möglichst nicht geändert wurde. Die<br />

Kräutersche Reinschrift enthält also eine erste Vorordnung des Buchs<br />

der Sprüche.<br />

In dem 1888 erschienenen Band 6 der Weimarer Ausgabe, der die<br />

Gedichte des West-<strong>östlichen</strong> Divan brachte, stellte Burdach die These<br />

auf, die Kräutersche Reinschrift sei am 26. Januar 1815 entstanden.3)<br />

Er glaubte dies aus einer Goetheschen Tagebuchnotiz folgern ;m dürfen.<br />

Zwar meldete kein geringerer als H. G. Gräf gegen diese Datierung<br />

Bedenken an und gab zu verstehen, daß Burdach sich bei der<br />

Interpretation des Goetheschen Tagebuchtextes vermutlich geirrt<br />

hatte. 4 ) Dennoch wurde <strong>von</strong> der Forschung Burdachs These übernommen,<br />

als handle es sich um etwas endgültig Bewiesenes. Das hatte zur<br />

Folge, daß die Divan-Kommentare nun für sämtliche in der Kräuterschen<br />

Reinschrift enthaltenen Gedichte das unhaltbare Entstehungsdatum<br />

angaben: vor 26. Januar 181 5.<br />

Es wiJ:1d unsere Aufgabe sein, nachzuweisen, daß die Kräutersche<br />

Reinschrift keinesfalls schon am 26. Januar 1815 entstanden sein kann,<br />

daß sie vielmehr erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt hergestellt<br />

wurde. Es läßt sich zeigen, daß der 26. Januar 1815 als Ter-<br />

Gedicht wiedergegeben zu werden pflegt, erscheint in der Kräuterschen Reinschrift<br />

ebenso wie in den bei den <strong>von</strong> Goethe veranstalteten Drucken noch zweigeteilt<br />

(2 + 4 Zeilen).<br />

2) V gl. WA I 6, S. 373, 414, 453.<br />

3) WA I 6, S. 401.<br />

4) H. G. Gräf: Goethe über seine Dichtungen. T. 3, Die lyrischen Dichtungen,<br />

Bd. 2. Frankfurt a. M. 1914. S. 9.<br />

Burdachs Datierung der Kräutersehen Reinschrift 111<br />

minus ad quem für viele Gedichte, die sich auf dieser Handschrift<br />

finden, unwahrscheinlich, für eine größere Anzahl sogar schlechthin<br />

unmöglich ist.<br />

Ein erstes und allgemeinstes Bedenken gegen Burdachs These muß<br />

sich schon erheben, wenn man das Datum des 26. Januar 1815 nicht<br />

isoliert, sondern im Zusammenhang mit dem zugehörigen Abschnitt<br />

der Entstehungsgeschichte des Divan betrachtet. Nachdem Goethe im<br />

Juni, Juli und August 1814 einen ersten Anlauf nahm zu einer Sammlung<br />

orientalisierender Gedichte, wobei Hafis die ausschlaggebende<br />

Quelle war, ging er im Dezember 1814 nach mehrmonatiger Pause<br />

daran, seine Kenntnis des Orients zu erweitern. Es begann nun eine<br />

zweite Epoche der Divan-Entstehungsgeschichte, die im Zeichen ausgedehnter<br />

Umschau und Forschung steht. Goethe studierte zahlreiche<br />

Orientwerke, Übersetzungen, Reisebeschreibungen etc. und entfaltete,<br />

angeregt durch die neuen Eindrücke, eine reiche dichterische Produktivität.<br />

Diese Arbeitsperiode erstreckt sich <strong>von</strong> Dezember 1814 bis<br />

Ende Mai 1815 (Abreise nach Wiesbaden). Goethes Schaffensintensität<br />

hielt ganz unvermindert an bis Mitte März, wo dann durch Krankheit<br />

ein allmähliches Nachlassen einsetzte.5)<br />

Auf jeden Fall ist die Zeit <strong>von</strong> Dezember 1814 bis <strong>zum</strong> Frühsommer<br />

1815 eine der Hauptepochen in der Entstehungsgeschichte des<br />

Di~an. Viele Gedichte verschiedensten Charakters und Umfangs entstanden<br />

im Laufe dieser sechs Monate, die Goethe selbst als 'eine zusammenhängende<br />

Arbeitsperiode ansah. G) Vergegenwärtigt man sich<br />

nun, daß das Datum des 26. Januar 1815, an dem die Kräutersche Reinschrift<br />

<strong>von</strong> drei Dutzend Spruchgedichten angeblich entstanden sein<br />

soll, nicht etwa am Ende, sondern in der Mitte, ja fast noch am Anfang<br />

jener Epoche steht, so ergibt sich ein unmögliches Bild. Es<br />

erscheint als eine Absurdität, annehmen zu wollen, Goethe habe, wäh-<br />

5) V gl. oben S. 8r.<br />

6) Vgl. das - nicht verwendete - Titelblatt <strong>zum</strong> "Deutschen Divan" (<strong>von</strong> 1315).<br />

Darin erwähnt Goethe zwei Phase n der Arbeit am Divan in den Jahren 1814/1815;<br />

die erste: Juni bis August 1814; die zweite: Dezember 1814 bis Juni 181). (W~ I6 ,<br />

S. 361; Divan, Akademie-Ausgabe 3, S. r.)

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!