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studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen

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44 Das pädagogische Element in "Sommernacht"<br />

Am Schluß der Dichter-Antwort steht - sehr bezeichnend - ewe<br />

pädagogische Maßnahme. Auch hierfür fand Goethe eine behutsame<br />

und anmutige Einkleidung. Des Schenken Ersuchen, die Nacht im<br />

Freien verbringen zu dürfen, wird abgewiesen. Unter Anspielung auf<br />

eine orientalische Lehre: Knaben müßten bei Einbruch der Nacht im<br />

Hause gehalten werden, um sie vor herumirrenden Teufeln zu schützen,<br />

fordert der Dichter den Schenken auf, hineinzugehen. Aus den<br />

orientalischen "Teufeln" - wir sprechen unten <strong>von</strong> der Quelle -<br />

macht Goethe griechische Göttergestalten. Diese Art der Umsetzung<br />

<strong>von</strong> Orientalischem in Antikes fi ndet sich bei ihm oft, noch im Faust II<br />

ist sie anzutreffen.20) In "Sommernacht" dient sie vor allem wieder<br />

dazu, den pädagogischen E rnst ab<strong>zum</strong>ildern, den Schluß des Gedichts<br />

heiter zu gestalten. D enn eigentlich handelt es sich bei der pädagogischen<br />

Maßnahme um E rnstes: Im alten Orient hatte man guten<br />

Grund, Knaben nachts im Hause zu halten: man mußte ,sie vor Verführern<br />

schützen. Goethe bildet hieraus das zauberhafte Motiv:<br />

Aurora möchte den Schenken "als den Hesperus entführen."<br />

Nun aber dürfen wir uns besinnen. Wir fa nden: am Anfang des<br />

Gedichts eine pädagogische Frage; am E nde eine pädagogische Maßnahme;<br />

dazwischen heitre Belehrung. E s scheint, daß wir im Laufe<br />

unserer Betrachtungen di e Einheit des Gedichts entdeckt haben -<br />

oder doch ein wichtiges, das Ganze einheitlich umfassendes Element.<br />

Wir erinnern uns an den eingangs erwähn ten Hinweis Staigers, daß<br />

gerade dies: Einheit, Linie, Mitte der Goetheschen "Sommernacht"<br />

fehlen sollten. Staiger sah in den einzelnen Teilen des Gedichts nur<br />

"unzusammenhängende F ragmente". Nun müssen wir feststellen: gewisse<br />

Merkmale eines einheitlichen Aufbaus lassen sich doch nicht<br />

verkennen. Das Pädagogische erweist sich als ein das Gesamte verknüpfendes<br />

Band. Eingang und Ausgang des Gedichts stehen ganz in<br />

seinem Zeichen und bilden so die Grund- und Eckpfeiler - darüber<br />

wölbt sich die Brücke des pädagogischen Gesprächs. Wenn in man-<br />

20) Vgl. <strong>Katharina</strong> <strong>Mommsen</strong>, Goethe und IOOI Nacht. Berlin I960. S. I8) ff.<br />

Die Einheit des Gedichts 45<br />

ehen Partien das Pädagogische scheinbar zurücktritt, so werden wir<br />

das nicht als ein Zeichen der Inkohärenz deuten. Hier hat Goethe<br />

durch Abschweifungen, Verkleidungen etc. absichtlich aufgelockert,<br />

um nicht das Pedantische aufkommen zu lassen. Übrigens zeigen alle<br />

diese Teile bei genauerem Betrachten völlig logischen Bezug auf die<br />

Thematik des Ganzen.<br />

Ein Beispiel mag noch verdeutlichen, wie Goethe sogar durch besonders<br />

gründliche Motivierung die Teile untereinander verknüpft.<br />

Die pädagogische Maßnahme a.,m Schluß des Gedichts nimmt Bezug<br />

auf den Vorschlag des Schenken, die Nacht im Freien verbringen<br />

zu dürfen. Dieser Vorschlag selbst wird sehr kunstvoll behandelt. Der<br />

Schenke bringt ihn am Anfang seiner Rede vor. Er spricht dann, bei<br />

Erwähnung der schlafenden Vögel in der Digression, <strong>von</strong> dem "einen"<br />

Vogel, der nicht wie alle andern die Nacht im Nest verbringt, sondern<br />

"gestängelt / Auf den Ästen der eypresse, / Wo der laue Wind<br />

ihn gängelt". Auf dies beinah genüßlich ausgemalte Bild greift er zurück,<br />

als er am Schluß seiner Rede jenen Vorschlag wiederholt (V. 290:<br />

Eule will ich, deinetwegen,<br />

Kauzen hier auf der Terrasse ...<br />

Durch die Verknüpfung der Bilder verrät der Knabe, wie sehr ihm<br />

dies: einmal allein nachts im Freien 2JU bleiben, wenn alles schläft, inzwischen<br />

als interessant, reizvoll, lockend erscheint. Damit wird sein<br />

Vorschlag intens,iviert, er ist schon fast Bitte. Um ein Entsprechendes<br />

erscheint nun auch die Ablehnung dieser Bitte stärker begründet und<br />

akzentuiert. Durch so besonders sorgfältige motivische Vorbereitung<br />

verbindet Goethe die pädagogische Maßnahme am Schluß mit der<br />

Mittelpartie. Auch dies dient sehr wesentlich der Einheit des Ganzen.<br />

Freilich ist "Sommernacht" nicht in der Weise schlicht einheitlich<br />

gebautwie beispielsweise die gleichzeitig entstandenen Divan-Gedichte<br />

"Siebenschläfer" und "Der Winter und Timur". Bei diesen handelt es<br />

sich um mehr epische Gedichte. Hier ist die Einheit schon gewährleistet<br />

durch den erzählerischen Ablauf, der , der Quellenvorlage ent-

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