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studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen

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46 Das pädagogische Element in "Sommernacht"<br />

spricht. In "Sommernacht" erforderte einmal die Gesprächsform, vor<br />

allem aber auch die eigenartige Thematik eine andere Lösung. Das<br />

pädagogische Verhältnis, wie es in dem Zwiegespräch zwischen Dichter<br />

und Schenken <strong>zum</strong> Ausdruck kommt, sollte zart behandelt sein,<br />

unpedantisch, dezent. Dem wird die Form angepaßt: man möchte <strong>von</strong><br />

verdeckter, verkleideter Einheit sprechen.<br />

Allerdings ist das eine Lösung, wie sie Goethe in jüngeren Jahren<br />

schwerlich geglückt wäre. Staigers Hinweis auf den Unterschied zwischen<br />

"Sommernacht" und den Gedichten der klassischen Zeit deckt<br />

den Wandel auf, der hier stattfand. Es ist aber - ähnlich sieht es auch<br />

Staiger - nicht nur ein Wandel des Id eals, sondern auch des Könnens.<br />

Gewisse sehr komplizierte fo rmale Lösungen gelingen in der Kunst<br />

nur dem hohen Alter. D arin liegt die überragende Bedeutung der<br />

Schöpfungen etwa des späten Beethoven, Michelangelo, Rembrandt.<br />

Im dichterischen Bereich ist das Gocthesche Spätwerk eine Fundstelle<br />

solcher Kostbarkeiten <strong>von</strong> sublimierter Form.<br />

Führen wir uns jetzt noch einmal vor A ugen, was Boisseree in seinem<br />

Tagebuch als das Wesentliche an dem "Somm ernacht"-Gedicht<br />

bezeichnet hat: das "edle pädagogische Verhältniß ... Astronomie.<br />

Ethik." Nicht treffender, so scheint es nach allem was wir sahen,<br />

könnte der Gehalt des Gedichts resümiert werden. Man möchte meinen,<br />

daß hier wie auch sonst den Aufzeichn ungen Boisserees Goethesche<br />

Äußerungen zugrunde liegen, nicht nur eigene Reflexionen.<br />

"Astronomie. Ethik": die W orte würden durchaus den Gang des<br />

Zwiegesprächs, auf eine lakonische Formel gebracht, bezeichnen. Von<br />

der astronomischen Frage geht es aus, mit einer sittlichen Maßnahme<br />

schließt es - auch dazwischen sind Ethik und Astronomie Gesprächsgegenstand,<br />

wie immer verkl eidet.<br />

Daß es gerade eine naturkundlich-astronomische Frage ist, mit der<br />

das Gedicht eröffnet wird, weist übrigens noch in einem ganz speziellen<br />

Sinn ins Feld des Pädagogischen. Man darf sich daran erinnern,<br />

welche erzieherische Rolle in den Schulen des Pythagoras und Platon<br />

die Mathematik - in weitestem Sinne - spielte. Goethe wußte hier-<br />

Die Entstehung <strong>von</strong> "Sommernacht" 47<br />

<strong>von</strong>, wie ein Satz aus der "Italienischen Reise" zeigt:21) "Plato wollte<br />

keinen ocye:w[J.E-rp"fJ't"o'l in seiner Schule leiden ;22) wäre ich im Stande<br />

eine zu machen, ich litte keinen, der sich nicht irgend ein Naturstudium<br />

ernst und eigentlich gewählt." Es steht mit diesem Satz, es steht<br />

aber überhaupt mit Goethes Denkweise völlig in Einklang, wenn das<br />

programmatisch pädagogische Gedicht des Divan mit einer Frage der<br />

Naturkunde eröffnet wird. Eine fernere Legitimation hierfür konnte<br />

Goethe in den <strong>von</strong> ihm benutzten orientalischen Quellenwerken finden.<br />

Da<strong>von</strong> wird im Folgenden zu sprechen sein.<br />

IH. E n t s t e h u n g<br />

"Sommernacht" ist entstanden am 15. und 16. Dezember 1814. Goethes<br />

Tagebuch enthält unterm Datum des 15. Dezember die Eintragung:<br />

"Sommernacht", die Handschrift trägt das Datum: "Jena d.<br />

16 Dec 1814." Man hat wiederholt die Frage aufgeworfen, was Goethe<br />

veranlaßt haben könnte, ausgerechnet an den kürzesten Tagen des<br />

Jahres ein Gedicht über die "kürzeste Nacht" zu schreiben. In der<br />

Tat ist das seltsam genug, Verwunderung darüber ist berechtigt.<br />

Denn Goethe erlebte die Jahreszeiten bewußt, und die dunklen<br />

Dezemberwochen empfand e'r, besonders in höherem Alter, als bedrückend<br />

und der dichterischen Produktion hinderlich. Es ist versucht<br />

worden, das Problem der winterlichen Entstehung <strong>von</strong> "Sommernacht"<br />

dadurch zu lösen, daß man die These aufstellte, der Anfang<br />

des Gedichts sei bereits im Sommer 1814 geschrieben, die Ausführung<br />

dann im Dezember erfolgt. Aber diese These ist nicht haltbar. Auf<br />

diese Weise ist der ganzen Frage nicht beizukommen.<br />

Die These stützt sich auf eine handschriftliche Sonderüberlieferung<br />

für die erste Strophe <strong>von</strong> "Sommernacht". Diese findet sich - mit der<br />

~ I) Zweiter Römischer Aufenthalt. Albano den 5. Oktober 1787. WA I 32, S. 106 f.<br />

22) Zur Sache und den Quellen vgl. E. Zeller, Die Philosophie der Griechen, Bd. i:1,<br />

Abt. I, S. 357.

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