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studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen

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18 G oethe und Ferid-eddin Attar<br />

Goethe wurde durch Ferid-eddin Attar sehr intensiv an sich selbst<br />

erinnert, er setzte sich mit dem orientalischen Dichter in Parallele.<br />

Den Ausschlag gab, daß F e r~d-eddin Attar nach Ausweis seines<br />

Lebensganges im stärksten Sinne ein Entsagender war, der die Leidenschaften<br />

(passions, cupidite) hinter sich ließ. Dennoch blieb ihm<br />

auch nach diesem Verzicht (renoncement, abnegation), blieb ihm<br />

selbst als armer Mönch ein unermeßlicher Reichtum: die Zehntausende<br />

<strong>von</strong> Gedichten, eben jene "Perlen" <strong>von</strong> "unermeßlichem Wert"<br />

(valeur inestimable), die ihm das "Meer" ans "Ufer des Lebens" geworfen<br />

hatte. Am Mythos dieses Dichterlebens bemaß Goethe sich<br />

selbst und den eigenen "Gewinnst", der ihm aus Leidenschaft und<br />

E ntsagen erwuchs.<br />

D ie erste Begegnung Goethes mit Ferid-eddin Attar fällt in den<br />

Dezember 1814. D amals studierte er - nach allem, was wir wis'sen,<br />

<strong>zum</strong> erstenmal - die Fundgruben des Orients. Im zweiten Band stieß<br />

er auf Ferid-eddin Attars Pend Nameh in französischer Prosaüber ~<br />

setzung <strong>von</strong> Silvestre de Sacy; innerhalb der Einleitung zu dieser<br />

ü bersetzung findet sich auch die Biographie Daulat-Sähs.<br />

Angeregt durch das"Fend Nameh Ferid-eddin Attars schrieb Goethc,<br />

wie man weiß, im Dezember 1814 mehrere Divan-Gedichte, <strong>von</strong><br />

denen noch zu sprechen sein wird. Damals entstand sicherlich auch<br />

die Handschrift mit der Notiz <strong>von</strong> den "poetischen Perlen"; die sechs<br />

Aufzeidll1 ungen auf jenem Blatt erwecken durchaus den Eindruck, als<br />

rührten sie <strong>von</strong> der ersten Durchsicht der Fundgruben des Orients<br />

her. Dos edicht "Die Fluth der Leidenschaft" mag bald darauf ausgeführt<br />

worden ,sein. 18)<br />

Die Metapher vom Meer, das "poetische Perlen" an den Strand<br />

wirft findet sidl im Divan noch ein zweites Mal. Auf diese Parallele<br />

p fleg~n die Kommentatoren mit Recht hinzuweisen. In dem durch die<br />

leidenschaftliche Sprache seiner freien Rhythmen besonders erregen-<br />

J8) Das frü hstc Zeugn is <strong>von</strong> der Existenz dieses Gedichts stammt <strong>von</strong> Anfang 1816:<br />

der Druck im "MorgcnblMt für gebildete Stände" vom 22. März 1816. (Manuskript<br />

an Cotta abgesandt am I I. März.)<br />

"Die schön geschriebenen •.. " 19<br />

den Gedicht des Buchs Suleika: "Die schön geschriebene~, I Herrlich<br />

umgüldeten, I Belächeltest Du I Die anmaßlichen Blätter" beginnt die<br />

letzte Strophe:<br />

'<br />

Hier nun dagegen<br />

Dichtrisehe Perlen,<br />

Die mir deiner Leidenschaft<br />

Gewaltige Brandung<br />

Warf an des Lebens<br />

Verödeten Strand aus ...<br />

Das Gedicht stammt vom 21. September 1815. Es ist eine Huldigung<br />

an Marianne v. Willemer. Das Zusammensein mit ihr hatte Goethe<br />

soeben in beglückender Weise produktiv gemacht: ihm verdankte das<br />

Buch Suleika Ursprung und Entstehung. Dafür sagt das Gedicht<br />

Dank. Die Verse sind im übrigen "Dichtung vom Dichten" 19), Goethe<br />

spricht darin über sein eigenes Schaffen. Es ist bezeichnend, daß<br />

gerade durch diese Thematik wieder die Erinnerung an die Ferideddin-Attar-Biographie<br />

in Goethe lebendig wurde. Sie tritt in den<br />

zitierten Versen ganz besonders deutlich hervor. Die Wendung:<br />

" .. . Warf an des Lebens verödeten Strand" stimmt wörtlich zusammen<br />

mit dem Text Daulat-5ähs: " ... ont jete sur le rivage de la vie"<br />

(vgl. oben S. 15) .<br />

Die Verse des Heidelberger Gedichts entstanden ohne Zuhanden ..<br />

sein der Fundgruben des Orients. Hier ward Goethe <strong>von</strong> der Erinnerung<br />

geleitet. Dies darf als Argument dafür gelten, daß "Die<br />

Fluth der Leidenschaft" bereits im Dezember 1814 oder bald darauf<br />

geschrieben wurde. Gerade durch die frühere dichterische Verwendung<br />

mag die orientalische Metapher <strong>von</strong> Perlen und Meer sich Goethe<br />

so eingeprägt haben, daß sie ihm auf Reisen gleich wieder zur<br />

Verfügung stand. D ie starke innere Erregung, in der das Heidelberger<br />

Gedicht gesch rieben ward, ließ es ihm natürlicherweise gleichgültig<br />

erscheinen, ob durch einige Verse eine Verdoppelung mit Frü-<br />

19) Erich Trunz, Goethes W erk e, Bd. 2, vierte Auf!. Ha~burg 1958. S. 569.<br />

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