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studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen

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74 Quellen Zu "Sommernacht"<br />

Enweri<br />

75<br />

griff er gern, wenn winterliche Depression übermächtig zu werden<br />

drohte, zu besonders erfreulichen, lichtvollen Büchern. Homer, Tausendundeine<br />

Nacht - solche Lektüre bedeutete ihm dann eine willkommene<br />

Hilfe. In dieser Weise mag auch Enweris Gedicht gewirkt<br />

haben: die Phantasie erheiternd und damit produktive Kräfte freimachend.<br />

Im übrigen war überhaupt die erste Begegnung mit den Fundgruben<br />

des Orients damals ein beglückendes Ereignis. Da<strong>von</strong> zeugen<br />

die mannigfachen in folge dieser Begegnung entstandenen Gedichte,<br />

zu denen auch "Sommernacht" gehört. Alles, was wir an literarischen<br />

/Anregungen für "Sommernacht" feststellen konnten : Sunna, Pend<br />

i Nameh, H~mmers astronomischer Aufsatz, El,1weris._Gecfi~ht; stand<br />

I · . . -_. -..<br />

i Ja 10 den Fundgruben. "So haben mich die Fundgruben unbeschreib-<br />

I lieh aufgeregt und alles was im Sinn und Gedächtniß veraltet war<br />

wieder belebt und erneut." Das schrieb Goethe später im Rückblick<br />

auf die Epoche, mit deren Anfängen wir uns gerade befaßten. 51)<br />

Goethe las Enweris Gedicht mit hungrigen und dankbaren Augen,<br />

dazu mit jenem fabelhaften Gedächtnis des Eidetikers, dem nichts<br />

Bezeichnendes, Wesentliches verlorengeht. Mit meisterlichem Griff<br />

wählte er das Beste, Essentiellste aus, um es in seinem Gedicht zu<br />

verwerten. Nur den Schmelz des Ganzen schöpft er ab.<br />

Dabei sind es nicht ausschließlich Stimmungsclemente, die Goethe<br />

sich zunutze macht. Enweri brachte ihm auch Ideen, wie die, <strong>von</strong> der<br />

"Strohwitwe" Aurora zu sprec~en. In diesem Zusammenhang sei<br />

noch auf die Übereinstimmung hingewiesen, daß bei Enweri wie bei<br />

Goethe gleicherweise im Gedicht ein Zwiegespräch stattfindet, und<br />

zwar das Gespräch zwischen einem "Dichter" und einer ihm befreundeten<br />

jugendlichen Person. In bei den Gedichten sieht diese Person<br />

bewundernd, verehrend zu dem Dichter auf als zu einem großen<br />

Weisheitslehrer. Das zeigt sich bei Enweri in einer Strophe, die wir<br />

hier nachtragen.<br />

51) Entwurf <strong>zum</strong> Abschnitt "Von H ammer" der Noten und Abhandlungen; WA I 7,<br />

302; Divan, Akademie-Ausgabe 3, S. 128.<br />

Ihr Bitten und Beschwören, sie doch nicht Zu verlassen, nicht nach Bagdad Zu gehen,<br />

begründet die Geliebte des Dichters so:<br />

16.<br />

Und wie mag man nach Würden dort dich ehren,<br />

Wo dir an W eisheit keiner zu vergleichen?<br />

Selbst Plato müßte horchen deinen Lehren;<br />

Und wessen Geist in Ostens weiten Reichen<br />

Ergründet so wie du den Lauf der Sphären?<br />

Selbst Ptolcmäus Ruhm muß deinem weichen;<br />

Ist doch kein Weiser hier im Orient,<br />

D er deiner Füße Staub nicht köstlich nennt.<br />

Das Verhältnis zwischen dem Dichter und seiner Freundin trägt<br />

hier ganz ähnliche Züge wie das zwischen Dichter und Schenken in<br />

"Sommernacht". Ein pädagogisches Element zeigt sich auch bei Enweri.<br />

Der Dichter ist zugleich ein großer Lehrer. Dabei verdient es<br />

bemerkt zu werden: auch an Enweris "Dichter" werden Mathematik<br />

und Astronomie als Hauptgebiete seiner Gelehrsamkeit hervorgehoben.<br />

Hierauf zielt der Vergleich mit Ptolemaios. Wie eng berührt<br />

sich das, nach allem, was wir sahen, mit der Situation <strong>von</strong><br />

"Sommernacht" !<br />

Es kommt nun nicht so sehr darauf an, wie wir die Übereinstimmungen<br />

zwischen Enweri und Goethe im einzelnen zählen, messen,<br />

bewerten. Wesentlicher ist die Erkenntnis: in der Gesaintstimmung<br />

<strong>von</strong> "Sommernacht" schwingt viel <strong>von</strong> Dank mit an diesen großen<br />

persischen Dichter.<br />

Wie Goethe in "Sommernacht" die verschiedensten Eindrücke aus<br />

Lektüre und Leben zu einer Einheit verschmilzt, das ist eine Leistung,<br />

die so nur ihm gelingen konnte. Durch die Quellenanregungen vor<br />

allem erhält das Gedicht jene Mannigfaltigkeit, die man an ihm bewundert,<br />

die Ausweitung ins W elthaltige und Kosmische. Aber das<br />

kosmische Gedicht ist 2ugleich ein Kosmos. Was entstand, war kein<br />

Konglomerat, kein formloses Quodlibet, sondern ein geordnetes<br />

Ganze. Darin unterscheidet sich "Sommernacht" <strong>von</strong> andern, ähnlich<br />

aus verschiedenen Elementen zusammengebauten Divan-Gedichten;

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