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studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen

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84 "Herr! laß dir gefallen"<br />

Wenn in den Varianten <strong>von</strong> "Frömmigkeit" die Rede ist, so ist das<br />

natürlich im wesentlichen metaphorisch gemeint. Es deutet aber auch<br />

zurück auf den Wortlaut der Saadi-Geschichte, die <strong>von</strong> jenem "frommen"<br />

Mann handelt. Goethe war ihr vor kurzem wieder begegnet. Im<br />

April 1819 entlieh er aus der Weimarer Bibliothek wiedemm die Oleariussche<br />

Reisebeschreibung, der Saadis Gülistan und Bustan angehängt<br />

waren. 14) Er entnahm den Saadi-Übersetzungen jetzt die Geschichten,<br />

die zur Charakteristik des Schenkenbuchs im Kapitel "Künftiger Divan"<br />

der Noten und Abhandlungen dienen.<br />

Beim Wiederlesen der Geschichte vom kleinen Haus mag der<br />

Wunsch rege geworden sein, eine ähnlich geeignete Vorlage für Verse<br />

<strong>zum</strong> endgültigen Abschluß des Divan, d. h. der Noten und Abhandlungen,<br />

zu finden. Ein äußerer Umstand verhinderte es abermals, daß<br />

"Herr! laß dir gefallen" den Abschluß bilden konnte. Das Gedicht<br />

war bereits innerhalb des Buchs der Sprüche gedruckt. Offensichtlich<br />

bedauerte Goethe das, daher seine Bitte an Kosegarten um einen ähnlichen<br />

Schluß gedanken.<br />

Gemäß der in Goethes Brief ausgesprochenen Einladung besuchte<br />

Kosegarten den Dichter am Abend des 16. Juli 1819. Dabei überbrachte<br />

er ihm vermutlich das Blatt mit seinen Vorschlägen für ein<br />

Abschlußgedicht, das sich noch heute in G oethes Papieren befindet.<br />

Unter der Überschrift "Sadi sagt" führt Koscgarten hier sieben verschiedene<br />

Sprüche auf.H') Bezeichnenderweise brachte er also Worte<br />

desselben Dichters in Vorschlag, der die Vorlage für "Herr! laß dir<br />

gefallen" hergegeben hatte. Nun ist allerdings Saadi bis in die heutige<br />

Zeit ein Dichter, aus dem man im O rient mit Vorliebe Sentenzart:iges<br />

zitiert. Das mag Koscgartens Wahl bes timmt haben. Doch möchte<br />

man fast glauben, da ß er Saadis Bustan als Quelle <strong>zum</strong> Vierzeiler<br />

vom kleinen Haus erkannt hatte und darum Goethe zuliebe bei diesem<br />

Autor blieb. Einer der <strong>von</strong> Kosegarten vorgeschlagenen Saadi-<br />

H) Die "Colligirte Reise-Beschreibung" , Ausgabe Hamburg 1696, entlieh Goethe<br />

wieder vom 15. April bis 8. Juni 1819.<br />

15) WAl 7, S. 293. Divan, Akademie-Ausgabe 3, S. 280 f.<br />

"Übermüthig sieht's nicht aus" 85<br />

Sprüche wurde dann auch an den Schluß der Noten und Abhandlungen<br />

gestellt.<br />

Einen Nachklang zu unserm Gedicht vom kleinen Haus bilden noch<br />

die bekannten Verse auf das Gartenhaus am Stern, geschrieben kurz<br />

nach Erscheinen des Divan, Ende Januar 1820 :16)<br />

Übermüthig sieht's nicht aus<br />

Dieses kleine Gartenhaus,<br />

Allen die sich drin genährt<br />

Ward ein guter Muth bescheert.<br />

Das Gartenhaus am Stern war so klein, daß Goethe mit seinem<br />

Diener in einem Zimmer schlafen mußte. Es wurden aber darin Iphigenie<br />

und Tasso geschrieben. Auf solcherlei Kontraste spielen die<br />

obigen Verse an mit ganz ähnlicher Mischung <strong>von</strong> Demut und Selbstbewußtsein,<br />

wie sie das Divan-Gedicht vom kleinen Haus charakterisiert.<br />

Abermals werden einander gegenübergestellt: das bescheidene<br />

Ausmaß des Baus und die Gesinnung der Bewohner. Wenn Goethe<br />

im Brief an Kosegarten <strong>von</strong> der "Frömmigkeit" sprach, die "den Tempel<br />

macht", so entspricht dem hier der "gute Mut" derer, die sich in<br />

dem "nicht übermütigen" kleinen Gartenhaus "genährt" haben. Letzten<br />

Endes geht diese Kontrastierung noch immer zurück auf die Geschichte<br />

<strong>von</strong> Saadis frommem Mann, der sich bewußt mit dem kleinen<br />

Haus begnügt.<br />

Die Pointe, daß es auf Geist und Gesinnung der Bewohner, nicht<br />

auf die Größe -des Hauses ankomme, zeigen nochmals vier Verse, mit<br />

denen Goethe das Gedicht auf das Gartenhaus später (1827) erweiterte.<br />

Nun lautete das Ganze:17)<br />

16) WA I 3, S. 135. - Zu der oben gegebenen Datierung: die Verse stehen, mit Bleistift<br />

geschrieben, auf ein er Handschrift, die zugleich die ersten 4 Verse des Gedichts<br />

"Sanftes Bild dem sanften Bilde" enthält. Das letztgenannte Gedicht. entstand<br />

nachweislich Ende Januar 1820.<br />

17) WA I 4, S. 142.

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