studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen
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134 Zur E ntstehungsgeschichte des Buchs der Sprüche<br />
Aus den Tagebuchzeugnis'sen, die <strong>von</strong> der Herstellung des Wiesbadener<br />
Registers berichten, ist zu erkennen, daß die "Talismane" ein<br />
Problem bildeten, das noch in le~!!.de gelöst ;;;d~n- mußte,<br />
ehe das Register niedergeschrieben werden konnte. Den Entschluß<br />
ein Gesamtverzeichnis der Gedichte anzufertigen, mag Goethe in de~<br />
Reisetagen gefaßt haben, als er <strong>von</strong> Weimar nach Wiesbaden unterwegs<br />
war (24. bis 27. Mai 1815). Kaum in Wiesbaden angekommen,<br />
nimmt er die Arbeit vor. Nun lesen wir im Tagebuch:<br />
Mai<br />
27. In Wisbaden 1112. Im Bären eingekehrt. Einrichtung. Bibliothekar Hundeshagen.<br />
Den Divan geordnet.<br />
2S. Divan. Register. Gebadet. Fortsetzung am Divan. Mittag für mich. Talismane<br />
Amulete.<br />
29. [Nachmittags] Divan numerirt.<br />
30. [Nachmittags] Divan Verzeichniß.<br />
Zwischen "Ordnung" und "Nummerierung" beschäftigten Goethe<br />
also nochmals "Talismane Amulete". Hierbei könnte es sich um das<br />
Gedicht "Segens pfänder" gehandelt haben, und entsprechend interpretiert<br />
auch Gräf das Zeugnis vom 28. Mai; Strophe 1 und 2 des<br />
Gedichtes schildern ja den Charakter <strong>von</strong> Talismanen und Amuletten.<br />
Aber "Segenspfänder" war schon früher gedichtet, es ist recht unwahrscheinlich,<br />
daß Goethe <strong>zum</strong> , jetzigen Zeitpunkt noch so viel an<br />
dem Gedicht zu tun fand, daß eine Erwähnung dieser Arbeit im<br />
Tagebuch sich gelohnt hätte. Infolgedessen wird man die Eintragung:<br />
"Talismane Amulete" wohl auf die Beschäftigung mit dem gesamten<br />
Problem der "Talismane" beziehen müssen, wie es sich dem Dichter<br />
nun vor der Registrierung der Divan-Gedichte stellte. Goethe<br />
wird überlegt haben, wie die Masse der Spruchgedichte in jenem<br />
Verzeichnis zu behandeln sei, die er als "Talismane" zu "zerstreuen"<br />
gedachte. Hierfür war auch an eine Exposition zu denken; das führte<br />
zu einer Beschäftigung mit den jetzt "Segenspfänder" und "Talismane"<br />
benannten Gedichten. 34) Resultat dieser Überlegungen war<br />
\ 3!,) Bei dieser Gelegenheit mag das Versehen passiert sein, auf das Burdach hinwies<br />
- .....<br />
Behandlung der "Talismane" 135<br />
dann - <strong>zum</strong> mindesten - die Anordnung der Nummern 4 bis 7 des<br />
Wiesbadener Registers, über die wir oben sprachen.<br />
Aus den zunächst a uf die Niederschrift des Wiesbadener Registers<br />
folgenden vier Monaten berichten keinerlei Zeugnisse <strong>von</strong> der Beschäftigung<br />
mit Spruchgedichten bzw. "Talismanen". Der Divan<br />
wurde in dieser Zei t "au f eine sehr brillante Weise erweitert": 35)<br />
hinzu kamen die Suleika-Gedichte, <strong>von</strong> denen die Mehrzahl September/<br />
Oktober 1815 entstanden. Diese Gedichte gaben dem ganzen Projekt<br />
ein verändertes Gepräge. Ihr Charakter und ihre Entstehung<br />
riefen bei Goethe das natürliche Bestreben hervor, sie in eine geschlossene<br />
Gruppe zusammenzufügen; waren sie doch das Denkmal<br />
einer der glücklichsten und wichtigsten Epochen seines Lebens. Damit<br />
ergab sich die Notwendigkeit, das gesamte Werk in ei ne neue<br />
Form zu bringen. Goethe entschloß sich zur Aufgabe des Plans einer<br />
nicht unterteilten, zwanglos gereihten Gedichtsammlung, wie er im<br />
Wiesbadener Register angelegt war. Stattdessen sollte nun das thematisch<br />
Zusammengehörige vereinigt 'und in einzelne Bücher abgeteilt<br />
werden. Mit diesem Beschluß entschied sich auch, an einem<br />
der bedeutsamsten Wendepunkte in der Geschichte des Divan, das<br />
Schicksal der Spruchgedichte. Der Gedanke, 'sie als "Talismane" zu<br />
"zerstreuen", wurde fallengelassen. Auch di ese Gedichte mußten nun<br />
als eine geschlossene Gruppe zusammengcfaßt werden.<br />
Es war diese Entscheidung und f'estsctzung einer neuen Form des<br />
Divan, die zu der Zusammenstellung des Korpus <strong>von</strong> orientalisierenden<br />
Spruchgedichten führte, welche un s in der Kräuterschen Reinschrift<br />
entgegentritt. U nd erst jetzt, zu diesem prägnanten Zeitpunkt,<br />
ist diese Reinschrift selbst angefertigt worden, die man bisher fälschlich<br />
auf den 26. Janu ar 1815 datierte. Das läßt sich aus den Zeugnissen<br />
erkennen, die tins nun noch zu betrachten bleiben.<br />
(WA 6, 36, f. ; ßurdnch, Aknd emicvorträge S. 71): der Titel: "Talismane,<br />
Amulete, Abraxas Inschriften und Siegel" ward über das falsche G edicht ("Talismane")<br />
gesetzt. Vgl. unten S. 151 m. Anm. "ib.'"~----·~·'"<br />
35) Goethe an Knebel, 21. Oktober 1S15 (WA IV 26, S. 106).