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studien zum west-östlichen divan - von Katharina Mommsen

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34 Das pädagogische Element in "Sommernacht"<br />

Die Frage des "Dichters"·<br />

35<br />

Dichter "singe" oder "rede" .12) Von den restlichen drei Gedichten<br />

erschienen zwei jedoch erst in der Ausgabe des Divan <strong>von</strong> 1827P3)<br />

So bleibt für die erste Ausgabe des Divan (<strong>von</strong> 1819) allein "Sommernacht"<br />

übrig als das Gedicht, das überhaupt in ausgeführter Weise<br />

das Verhältnis des Dichters <strong>zum</strong> Schenken als "pädagogisch" darstellt.<br />

Nur dies Gedicht konnte zunächst verständlich machen, was in der<br />

Charakteristik der Noten und Abhandlungen über das Schenkenbuch<br />

gesagt war.<br />

Vergleicht man die beiden in der zweiten Ausgabe des Divan hinzugekommenen<br />

"pädagogischen" Gedichte mit "Sommernacht", so<br />

bleibt das Übergewicht des letzteren immer noch evident. In "Sommernacht"<br />

tritt das Pädagogische ohne weiteres erkennbar in einer<br />

ganzen Anzahl <strong>von</strong> Strophen auf, in den beiden anderen Gedichten<br />

zeigt es sich nur in einzelnen Versen. (Übrigens erscheint in einem,<br />

dem drittletzten Gedicht des Buchs der Schenke auch gleichzeitig als<br />

Ermahner des Dichters.)<br />

Es war nötig, das Faktische in diesen ganzen Verhältnissen deutlich<br />

ins Auge zu fassen, weil es zu der wichtigen Erkenntnis führt, daß<br />

"Sommernacht" im Rahmen des gesamten Schenkenbuchs sich als das<br />

eigentlich pädagogische Gedicht erweist. Es vertritt somit mehr als<br />

jedes andere das in den Noten und Abhandlungen ausgesprochene<br />

Goethesche Programm! 14.)<br />

Diese Lage dcr Dingc läßt cs um so notwendiger und berechtigter<br />

erscheincn, das Gedicht selbst einmal darauf hin zu prüfen, was an<br />

ihm eigentlich als pädagogisch zu gelten hat und was nicht. Schon ein<br />

Blick auf die ersten Versc zeigt, daß wir hier keine müßige Frage<br />

stellen. "Sommernacht" beginnt mit diesen Worten des Dichters:<br />

12) Vgl. "Nennen dich dcn großen Dichter" und "Schenke komm! Noch einen<br />

Becher!"<br />

13) "Denk', 0 Herr! wcnn du gctrunkcn" und "So hab' ich cndlich <strong>von</strong> dir erharrt".<br />

11,) Daß "Sommernacht" das am meistcn pädagogische Gedicht des Schenkenbuchs<br />

ist, hat auch H. G . Gräf richtig gesehen. (Goethe über seine Dichtungen III 2,<br />

S. 237.)<br />

Dichter.<br />

Niedergangen ist die Sonne,<br />

Doch im Westen glänzt es immer,<br />

Wissen möcht' ich wohl, wie lange<br />

[Zuerst: Möcht ich wissen doch wie lange]<br />

Dauert noch der goldne Schimmer?<br />

Die beiden letzten Verse dieser Strophe (V. 3.4.) gehören zu den<br />

umstrittensten des ganzen Gedichts. Es waltet um sie ein Mißverstehen,<br />

das sich auf die Interpretation des Ganzen abträglich auswirkte.<br />

Was bedeutet die Frage des Dichters? Zieht man den Gesamtcharakter<br />

des Gedichts in Betracht, so sollte das überaus leicht zu bestimmen<br />

sein. Der Dichter leitet mit dieser Frage ein pädagogisches Gespräch<br />

ein. Er fragt den Schenken nach den astronomischen Verhältnissen<br />

der Mittsommernacht. Der Knabe zeigt sich nicht informiert<br />

und wird daraufhin <strong>von</strong> dem Älteren belehrt. Es läßt sich eigentlich<br />

nichts Einfacheres denken als diese Erklärung. "Sommernacht" ist ein<br />

pädagogisches Gespräch, und dessen Einleitung - jedes Gespräch muß<br />

ja irgendwie eingeleitet werden - besteht in der Frage des Dichters.<br />

Das Thema des Gesprächs ist herausgegriffen - das hielt auch Boisseree<br />

in seinem Tagebuch fest nach Goethes Vorlesung - aus dem<br />

weiten Bereich dcr "Astronomie".<br />

Diese Erkenntnis, daß es eine pädagogische Frage ist, die ein päd-<br />

'\<br />

agogisches Gespräch einleitet, ist in den Kommentaren mehr und<br />

mehr verloren gegangen. Für Loeper war sie noch selbstverständlich.<br />

Seit Düntzer abcr begann man, die Verse 3 und 4 zu einem Problem<br />

werden zu lassen, indem man alles mögliche Psychologische in sie hineindeutete.<br />

Düntzer 15) gab folgende Version : Der Dichter ist "überrascht [!], daß heute das<br />

Abendroth bis <strong>zum</strong> Morgenroth dauert, und er belehrt darüber launig den jungen<br />

Schenken. .. Sei n e V c r W LI n der u n g [!] s p r ich t sie hin der Fra g e<br />

15) Erläuterungen zu den deutschen Klassikern. Abth. r, Bdch. XXXI-:XXXIII, Goethes<br />

West-östlicher Divan. Leipzig r878. S. 379.<br />

3*

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