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ESSAY<br />

DIE PRAXIS DER STERBEHILFE<br />

MUM 01 | 2006 ESSAY<br />

10<br />

DR. ALFRED SIMON<br />

Akademie für Ethik in der<br />

Medizin, Göttingen<br />

Die Sterbehilfe steht im Spannungsfeld zwischen staatlichem Anspruch und individuellen<br />

Persönlichkeitsrechten, zwischen Medizin und Behandlungsabbruch, zwischen dem Retten von<br />

Leben und religiösen Aspekten. Entsprechend kontrovers wird sie hierzulande diskutiert. In den<br />

Niederlanden und Belgien wird sie bereits praktiziert. MUM veröffentlicht zu dieser Thematik<br />

einen Vortrag von Dr. Alfred Simon von der Akademie für Ethik in der Medizin in Göttingen, den<br />

er am 3. Nove<strong>mb</strong>er 2005 im Rahmen einer Diskussion im Münchner Kompetenzzentrum Ethik<br />

gehalten hat.<br />

Seitdem der Schweizer Sterbehilfeverein Dignitas Ende<br />

Septe<strong>mb</strong>er 2005 ein Büro in Hannover eröffnet hat,<br />

ist die Diskussion über Sterbehilfe in Deutschland voll<br />

im Gange. Während zahlreiche Vertreter aus Politik,<br />

Kirche und Ärzteschaft empört reagierten, rief der<br />

Ha<strong>mb</strong>urger Justizsenator und CDU-Politiker Roger<br />

Kusch dazu auf, neben der in Deutschland straffreien<br />

Beihilfe zum Suizid auch die aktive Sterbehilfe unter<br />

bestimmten Voraussetzungen zu ermöglichen. Kusch<br />

verwies dabei auf eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts<br />

Forsa, nach der 74 Prozent der<br />

Deutschen eine Zulassung der aktiven Sterbehilfe befürworten.<br />

Eine von der Deutschen Hospizstiftung in<br />

Auftrag gegebene Umfrage des Meinungsforschungsinstituts<br />

Emnid kam hingegen zu einem ganz anderen<br />

Ergebnis: Demnach befürworten nur 35 Prozent<br />

der Deutschen die aktive Sterbehilfe, während sich<br />

56 Prozent für Palliativmedizin und Hospizarbeit aussprechen.<br />

Ähnlich instrumentalisiert wie die öffentlichen Meinungsumfragen<br />

wird der Verweis auf die Sterbehilfepraxis<br />

in den Niederlanden und Belgien. In beiden<br />

Ländern sind seit einigen Jahren Gesetze in Kraft,<br />

die es Ärzten ermöglichen, das Leben schwerkranker<br />

Menschen auf deren Verlangen hin straffrei zu beenden.<br />

Während Befürworter der aktiven Sterbehilfe<br />

den offenen und transparenten Umgang mit dem Thema<br />

in diesen Ländern als vorbildlich loben, sehen<br />

Gegner ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt.<br />

Ein nüchterner Blick auf die gesetzlichen Regelungen<br />

und die Praxis der Sterbehilfe in den Niederlanden<br />

und Belgien zeigt jedoch, dass weder die kritiklose<br />

Befürwortung noch die pauschale Verurteilung<br />

angemessene Reaktionen darstellen.<br />

Das niederländische Parlament hat im Frühjahr 2001<br />

ein Gesetz beschlossen, das Ärzten ermöglicht, unter<br />

Einhaltung gesetzlich vorgeschriebener Sorgfaltskriterien<br />

straffrei aktive Sterbehilfe zu leisten. Damit wurde<br />

eine seit Jahren existierende und von den Gerichten<br />

offiziell geduldete Praxis strafrechtlich geregelt.<br />

Das Gesetz regelt sowohl die Lebensbeendigung auf<br />

Verlangen als auch die Beihilfe zum Suizid. Beide<br />

Handlungen bleiben strafbar. Unter der Voraussetzung,<br />

dass der Arzt die gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Sorgfaltskriterien einhält und seine Handlung einer<br />

von insgesamt fünf regionalen Kontrollkommissionen<br />

für Sterbehilfe meldet, bleit er jedoch straffrei.<br />

Die Sorgfaltskriterien beinhalten, dass der Arzt sicher<br />

sein muss, dass der Patient seine Bitte freiwillig und<br />

nach reiflicher Überlegung gestellt hat. Der Wunsch<br />

nach Sterbehilfe muss Ausdruck eines vom Patienten<br />

selbst als aussichtslos und unerträglich empfundenen<br />

Leidens sein. Arzt und Patient müssen gemeinsam<br />

der Überzeugung sein, dass es keine andere Lösung<br />

gibt. Dies setzt voraus, dass der Arzt den Patienten<br />

über dessen Situation und Aussichten aufgeklärt hat.<br />

Ein zweiter, unabhängiger Arzt muss mit dem Patienten<br />

sprechen und das Vorliegen der genannten Kriterien<br />

schriftlich bestätigen. Nach Durchführung der<br />

Sterbehilfehandlung muss der Arzt sein Handeln der<br />

zuständigen Kontrollkommission schriftlich melden.<br />

Die Kommission prüft anhand dieses Berichts, ob die<br />

Sorgfaltskriterien eingehalten wurden. Gelangt sie zu<br />

einem positiven Ergebnis, wird der Fall zu den Akten<br />

gelegt und der Arzt schriftlich benachrichtigt, dass<br />

keine strafrechtlichen Schritte gegen ihn unternommen<br />

werden. Hat die Kommission Zweifel, wird der<br />

Fall an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.<br />

Nach dem Bericht der Kontrollkommissionen wurden<br />

im Jahr 2004 insgesamt 1.886 Sterbehilfehandlungen<br />

gemeldet. In 1.714 Fällen ging es um Lebensbeendigung<br />

auf Verlangen, in 141 Fällen um Beihilfe zum<br />

Suizid und in 31 Fällen um eine Ko<strong>mb</strong>ination von beidem.<br />

Die überwiegende Mehrzahl der durch aktive

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