OK KID im Interview: - Gießener Allgemeine
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BRAD SHAWS KOLUMNE<br />
Brad Shaw schreibt exklusiv Kolumnen<br />
für den streifzug. Normalerweise veröffentlicht<br />
der Journalist sie <strong>im</strong> Netz auf<br />
www.bradsticks.com. Sein Blog befasst<br />
sich mit Lifestyle, Fashion, Musik, Promis<br />
und Kultur – und <strong>im</strong>mer wieder mit<br />
der Suche nach Mr. und Mrs. Right.<br />
Beverly Hills<br />
war weit<br />
Interessanterweise werden zuvor quotenträchtigen<br />
Teenager-Serien zunehmend<br />
qualvoll, wenn ihre Protagonisten von der<br />
High School aufs College wechseln –<br />
spätestens nach der vierten Staffel. Sprich,<br />
wenn sie plötzlich ätzend erwachsene Probleme<br />
wie Psychosen, ungewollte Schwangerschaft<br />
und Drogenmissbrauch haben;<br />
wenn wir gebotoxten US-Schauspielern<br />
Mitte 20 ohnehin nicht mehr abnehmen,<br />
noch irgendeinem ersten Mal nach dem<br />
gefühlt zehnten Prom entgegenzufiebern.<br />
Prompt sinken sie in der Gunst der<br />
Zuschauer, die doch eher Petting auf der<br />
Pyjama-Party als Philosophieren <strong>im</strong> Plenarsaal<br />
sehen wollen.<br />
Dabei ist das Studium doch die spannendste<br />
Zeit, die wir unterhalb<br />
der 30 erleben – klammern wir gewollte<br />
Schwangerschaften in der<br />
Mittelstufe mal aus. Ich zumindest<br />
verließ die Schule desillusioniert<br />
und hatte an das Danach ganz<br />
geringe Erwartungen. Seit meinem<br />
14. Lebensjahr war ich fest davon<br />
ausgegangen, dass die Zeit kurz vor<br />
dem Geschachere um Zulassungen<br />
an den besten Hochschulen tatsächlich<br />
so abläuft wie in besagten High-School-<br />
Serien: Poolpartys, Partnertausch und<br />
Prachtkerle mit Prollschlitten. Doch Beverly<br />
Hills war eben nur Teil der Traumfabrik und<br />
90210 nicht meine Postleitzahl. Also ließ<br />
ich mich von einer anderen Zahl leiten –<br />
vorerst mit unbekanntem Ziel. Nur die<br />
Eckdaten waren klar:<br />
1. Ich war zu schlecht in Mathematik, um<br />
eine Naturwissenschaft zu studieren und<br />
rauchte zu viel, um Mediziner zu werden.<br />
2. Ich wollte auf keinen Fall in Tübingen<br />
studieren. Was sollten rote Wähler <strong>im</strong><br />
fernen Baden-Württemberg?<br />
Und 3. Ich wollte unbedingt eine Sozialwissenschaft<br />
studieren.<br />
Die Eins vor dem Komma war <strong>im</strong>merhin gut<br />
genug, um sich <strong>im</strong> Geschachere um die<br />
Zulassung an der bevorzugten Hochschule<br />
auch ohne Härteantrag einen entscheidenden<br />
Vorteil zu verschaffen. Zumindest<br />
auf den ersten Blick. Denn ein Numerus<br />
Clausus sorgt eben in vielerlei Hinsicht für<br />
eine geschlossene Gesellschaft. Drin waren<br />
vor allem Menschen, die die Oberstufe<br />
gänzlich auf dem Gymnasium und ganz<br />
und gar nicht <strong>im</strong> Gym verbracht hatten.<br />
Oberätzend! Ich stellte mich also gänzlich<br />
auf Lernen und ganz und gar nicht auf<br />
Libido ein. Kurz vor dem Langeweiletod<br />
warf ich alle elitären Beschränkungen über<br />
Bord. Ich begann, außerhalb meines<br />
Numerus Clausus zu daten und die Traumfabrik<br />
zu übertrumpfen.<br />
Wer außerhalb seines Numerus Clausus<br />
datet, hat auf jeden Fall beste Chancen auf<br />
die volle Packung Studentenfutter: von<br />
harten Nüssen wie Diplomsportlern bis zu<br />
Weichfrüchten wie Sozialpädagogen – und<br />
anderen Rosinen. Die trockene Theorie ist<br />
den Praxistest auf jeden Fall wert.<br />
Schließlich lautet ein Zauberwort moderner<br />
Bildung interdisziplinäres Lernen. Glücklicherweise<br />
kommt der Appetit be<strong>im</strong> Essen.<br />
Und er kam. Und kam. Irgendwann später<br />
sollten wir uns fragen, warum wir all die<br />
angehenden Ärzte, Anwälte und Architekten,<br />
die uns irgendwann mal zum Essen<br />
ausgeführt haben, nach dem vierten<br />
Semester abgeschossen haben, um doch<br />
wieder Jungs zu daten, die nach der<br />
Gymnasialzeit auch das Studium mehr mit<br />
Kampf- als mit Denksport verbrachten.<br />
Die Kunst, an überfüllten Unis erfolgreich<br />
zu daten, besteht umso mehr darin, nicht<br />
auf Etikettenschwindel reinzufallen. Wir<br />
haben tatsächlich mal zehn Euro Eintritt für<br />
eine Sportler-Party ausgegeben, die sich<br />
letztendlich als zu Marketingzwecken<br />
getarnte Pharmazeuten-Party entpuppte.<br />
Die sind bekanntermaßen auch nicht ohne,<br />
allerdings wenig sexy, zumindest ohne die<br />
Ergebnisse der privaten Laborexper<strong>im</strong>ente.<br />
Später wussten wir <strong>im</strong>merhin, warum die<br />
Drehbuchschreiber unsere liebsten Teenager-Serien<br />
ab Staffel vier mit Psychosen,<br />
ungewollten Schwangerschaften und<br />
Drogenmissbrauch geißelten.<br />
Interessanterweise haben sich alle<br />
Klischees, die das Date-Verhalten von<br />
Studenten betreffen, über die Jahre<br />
ebenso wenig verändert wie die tollen<br />
Traumbilder, die uns amerikanische<br />
Teenager-Serien verkaufen. Im August<br />
1968 resümierte der SPIEGEL die<br />
groß angelegten Studie »Studenten-<br />
Sexualität« (erschienen bei Rohwolt)<br />
folgendermaßen: 1. »Studenten, die oft<br />
lieben, haben früh damit begonnen,<br />
sind schwach in Mathematik, trinken<br />
mehr und rauchen stärker als andere.«<br />
2. »Studentinnen, die in Berlin leben, lieben<br />
lieber als die in Tübingen. Kommilitoninnen,<br />
die politisch links stehen, sind erfahrener als<br />
andere Mädchen.« Und 3. »Wer Technik<br />
oder Theologie studiert, lebt meist enthaltsamer<br />
als Hochschüler, die sich mit Volkswirtschaft<br />
oder Pädagogik beschäftigen.«<br />
Das Studium ist wirklich die spannendste<br />
Zeit, die wir unterhalb der 30 erleben. Ich<br />
zumindest verließ die Uni übermotiviert<br />
und hatte an das Danach ganz große Erwartungen.<br />
Noch heute denke ich gern an<br />
<strong>im</strong>provisiertes Paaren in hellhörigen Mini-<br />
WGs, an min<strong>im</strong>ales Schlafpensum in dunklen<br />
Prüfungsphasen und max<strong>im</strong>ales Ausreizen<br />
jeder Packung 30-Cent-Tomatensoße. Wenn<br />
heute amerikanische Teenager-Serien anlaufen,<br />
schalte ich erst ab Staffel 4 ein. Wenn<br />
auf die poplige Pubertät endlich das pralle<br />
Leben folgt: Poolpartys, Partnertausch<br />
und Prachtkerle mit<br />
Prollschlitten.<br />
Brad Shaw<br />
4/2013 streifzug 17