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Demokratie - grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte

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Die Eroberung der <strong>Demokratie</strong><br />

dann die 135 Jahre seit der Erhebung der Kommune<br />

von Paris? Dieser Einwand reicht <strong>für</strong> die Widerlegung<br />

der platten Argumentation, das nackte Scheitern<br />

der Erhebungen beweise die Untauglichkeit des<br />

Sozialismus. Sie genügt aber nicht sozialistischen<br />

Ansprüchen. Hier finden sich vor allem Vertreter<br />

der Auffassung, dass das Scheitern ein Ausdruck der<br />

noch nicht reifen Widersprüche gewesen sei oder<br />

dass es einer marxistischen Führungspartei gemangelt<br />

habe. Beiden Erklärungen gemein ist, dass sie<br />

mehr Mystik produzieren, als erklären. Immerhin<br />

gab es eine solche Partei in Russland, die Errichtung<br />

einer sozialistischen Gesellschaft allerdings gelang<br />

auch unter ihrer Führung nicht. Zu der Frage, wie<br />

die materialistischen Widersprüche der kapitali -<br />

stischen Gesellschaft konkret beschaffen sein müssen,<br />

damit das sozialistische Experiment gelinge und<br />

nicht mehr gecrasht werden kann, haben Marxisten<br />

bis heute kaum einen Deut an Erkenntnis zu Marx<br />

hinzugefügt. Insoweit kann die Frage nach dem<br />

Scheitern nicht erschöpfend beantwortet werden.<br />

Allerdings ist die Beobachtung von liberaler Seite,<br />

diese Erhebungen des 20. Jahrhunderts seien letzten<br />

Endes nur verzweifelte Versuche, die Zeichen der<br />

Zeit zurückzudrehen. Gesellschaften, die einmal industrialisiert<br />

seien, kennen keine solchen Aufstände<br />

mit Räteorganen mehr. Dies trifft in der Tat <strong>für</strong><br />

viele Länder zu, manundfrau denke an die agrarisch<br />

dominierten wie Russland, China, oder auch Spanien<br />

und nicht zuletzt Portugal. Aber die Erhebungen<br />

im industrialisierten Deutschland 1919-20,<br />

die Bewegungen in Deutsch-Österreich und auch<br />

der Pariser Mai widerlegen diese Behauptung<br />

empirisch, wenngleich ein gewisser unangenehmer<br />

Geschmack bleibt. Möglicherweise drückt sich in<br />

der revolutionären Zurückhaltung der industrialisierten<br />

Länder bereits eine Internationalisierung<br />

der ökonomischen Strukturen aus, welche andeutet,<br />

dass <strong>für</strong> die revolutionäre Erhebung größere Krisen<br />

vorauszusetzen sind, als diese bisher in Erscheinung<br />

traten. Immerhin kümmerten sich in Russland<br />

kaum Belegschaften darum, ob sich die Betriebe<br />

in deutschem oder sonstigem Eigentum befanden,<br />

die sie zu enteignen trachteten. Die spanischen<br />

Arbeiter und Arbeiterinnen hingegen nahmen<br />

bereits politische Rücksicht auf Betriebe mit ausländischem<br />

Kapital, um mögliche Bündnispartner<br />

nicht zu verschrecken. In Portugal schließlich ging<br />

die Zurückhaltung noch weiter und die Belegschaftsvertretungen<br />

versuchten zuerst Kontakt mit<br />

den Belegschaftsvertretern der entsprechenden<br />

Zweigniederlassungen multinationaler Konzerne in<br />

anderen Ländern aufzunehmen, stießen meistens<br />

aber auf wenig Gegenliebe. Die internationale<br />

Arbeitsteilung erlaubt keine nationalen Erhebungen<br />

mehr, was auch eine Erklärung <strong>für</strong> das momentane<br />

Steckenbleiben der arabischen Revolution ist.<br />

Nichtsdestotrotz will ich hier den Versuch wagen,<br />

in einem Rückgriff auf die Revolutionen des 20.<br />

Jahrhunderts, ihre Bewegungsgesetze zu fassen, um<br />

daraus einen Blick in die Zukunft einer kommunistischen<br />

Gesellschaft zu werfen. Selbstredend, dass<br />

dies hier kaum eine Skizze sein kann.<br />

Unter den Namen Räte, Sowjets, Kollektive,<br />

Koopera tive usw. treten Organe der arbeitenden<br />

Klasse auf, mittels dieser das Proletariat des 20.<br />

Jahrhunderts versuchte, seine Unterdrückung abzuschütteln<br />

und seine Selbstemanzipation zu verwirklichen.<br />

So verschieden die Namen auch waren,<br />

sei es als Arbeiterräte, Betriebsräte, Sowjets der Arbeiter-<br />

und Soldatendeputierten, Fabrikräte, Kollektive<br />

oder Kooperativen, so finden sich in ihnen die<br />

Interessen der Arbeitenden wieder. In den unterschiedlichen<br />

Namen drücken sich nur die unterschiedlichen<br />

politischen und historischen Erfahrungen<br />

der jeweiligen Arbeiterinnen und Arbeiter aus.<br />

All diesen Formen gemein ist hingegen der Trieb,<br />

eine Gesellschaft ohne Unterdrückung und ohne<br />

Ausbeutung zu errichten, mit anderen Worten eine<br />

Gesellschaft ohne Klassen. Dabei spielt es gar keine<br />

so große Rolle, ob den Akteuren im Augenblick<br />

ihres Handelns die historische Dimension ihrer Aktion<br />

bewusst ist oder nicht. Es ist ein tief verwurzelter<br />

Irrtum zu glauben, das Handeln der Menschen<br />

sei durch ihren bewussten Willen bedingt, dass<br />

alles was sie tun, zuerst von ihnen gedacht werde.<br />

Sigmund Freud hat mit diesem Mythos aufgeräumt<br />

und gezeigt, wie bedeutend das Unbewusste in<br />

das menschliche Handeln hineinmische und nicht<br />

selten bewusste Absichten konterkariere. Trotzdem<br />

spielt das Bewusstsein eine bestimmende Rolle <strong>für</strong><br />

die Lebensentscheidungen, nur ist es häufiger nicht<br />

so sehr die Ursache des Handelns als Folge. Nicht<br />

selten merkten die Revolutionäre erst nach der<br />

Revolution, dass sie eine Revolution gemacht hatten.<br />

Die Revolution schuf das revolutionäre Bewusstsein,<br />

nicht umgekehrt revolutionäres Bewusstsein die<br />

Revolution. Wer sich mit Revolutionen beschäftigt,<br />

erkennt sehr bald, wie wenig Bewusstsein und<br />

Handeln in einer mechanischen Beziehung zueinander<br />

stehen. Sie gehen nicht unmittelbar auseinander<br />

hervor, sondern sind Reaktion auf ein anderes,<br />

nämlich der Empfindung und Wahrnehmung von<br />

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