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Demokratie - grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte

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<strong>grundrisse</strong> 45 x 2013<br />

54<br />

übergezogen, das soll radikal wirken. Was jedoch<br />

klassischer Anarchismus und klassischer Marxismus<br />

heutzutage als „radikal“, also: theoretisch und praktisch<br />

an die Wurzeln des Systems gehend ausweisen<br />

könnte, beschreibt Bierl nicht.<br />

Der Hinweis auf den biographischen Werdegang,<br />

die Politsozialisation in der Partei „Die Grünen“<br />

wird deswegen angeführt, weil Bierl hier keine<br />

Ausnahme darstellt: denn einige selbsterklärte<br />

Kritiker oder Ideologiekritiker der Linken, die sich<br />

in Unwissenschaftlichkeit, Freund-Feind-Scheidung<br />

und einer das Demagogische nicht ausschließenden<br />

Polemik gefallen, haben einen solchen Parteihintergrund<br />

vorzuweisen: von Justus Wertmüller (Bahamas)<br />

über Rainer Trampert und Thomas Ebermann,<br />

die Ökolinx bis zu Peter Bierl. Aus ihrer Phase des<br />

Grünenaktivismus scheinen sie allerhand Frustrationen<br />

über die Möglichkeiten von Bewegung<br />

und Aktivismus angesammelt zu haben, in ihren<br />

publizistischen Interventionen kommt nach wie<br />

vor eine parteimäßige Logik des Politischen zum<br />

Tragen, die auf autoritäre Akklamation setzt und<br />

sich jenseits wissenschaftlicher Redlichkeit und dem<br />

Willen zur Freundschaft im Medium weltverändernder<br />

Gemeinsamkeit vollzieht. Kritik zu üben<br />

wird vorgegeben, jedoch de facto zur reinen Polemik<br />

herabgewürdigt. Doch daran schließt sich immer die<br />

Frage an: „Was wär ich ohne dich, Freund Publikum?“<br />

Eine wirklich aufhebende Kritik in Marxscher Tradition<br />

könnte als Ideologiekritik herausstellen, dass<br />

Fehlwahrnehmung entweder mit einem bestimmten<br />

Interesse oder einer fetischistischen Bewusstseinsstruktur<br />

zu tun hat. Diese sind aber nicht <strong>für</strong> immer<br />

und ewig fixiert, sondern können gerade im Medium<br />

der Bewegung und durch Erfahrung verändert<br />

werden. Und was die Auseinandersetzung mit<br />

Theorie anbelangt, so würde eine aufhebende Kritik<br />

ihre Kriterien nicht phrasenhaft als die richtigen<br />

schlicht behaupten, sondern in der Darstellung der<br />

Selbstwidersprüchlichkeit der anderen, als falsch<br />

erachteten Theorie die eigene Richtigkeit beweisen<br />

und in der Darstellung der Plausibilität der eigenen<br />

Kriterien und Kategorien die andere Position als<br />

falsch erkennen lassen.<br />

Wenn man also – beispielsweise - die populistische<br />

Occupy-Parole von den 99% angemessen kritisieren<br />

wollte, dann müsste man eine eigene Klassenanalyse<br />

vorlegen, die dieses Bild der 99% nachvollziehbar<br />

widerlegt. Andernfalls bleibt alles bloßer Glaubenssatz<br />

– und Glaubenssätze sind immer autoritär.<br />

Wenn man obskurantistische Ausläufer einiger<br />

Occupy-Zeltlager, die es sicherlich gab, kritisieren<br />

will, dann müsste man erklären, warum sie entstanden,<br />

wer ihre TrägerInnen sind, aber auch welche<br />

Bedeutung sie eingenommen haben. Und wenn<br />

man Graebers nicht-marxistische radikale Gesellschaftskritik<br />

kritisieren will, sollte man zumindest<br />

plausibel nachweisen, dass er Geschichte und<br />

Wirklichkeit mit seinen Kategorien nur fehlerhaft<br />

abzubilden in der Lage ist und beispielsweise<br />

orthodox-marxistische Geschichtsschreibung wie<br />

Theorie besser geeignet sind. Diese Mühe sollte man<br />

sich schon machen.<br />

Bierl ist aber kein Ideologiekritiker, sondern moralinsaurer<br />

Zielfahnder. Am Anfang steht das Verbrechen.<br />

Dieses lautet „regressiver Antikapitalismus“.<br />

Dann wird die Leiche gesucht, werden Beweisketten<br />

konstruiert, Indizien gesammelt, Querverbindungen<br />

behauptet. Am Schluss brauchen Occupy und David<br />

Graeber ein Alibi. Können sie beweisen, nicht<br />

regressiv zu sein?<br />

Anmerkungen<br />

1 Initiative Sozialistisches Forum, Occupy Reason! http://www.ca-ira.net/isf/jourfixe/jf-2012-1_occupy.html<br />

2 So urteilte er über die Globalisierungsbewegung in der Vergangenheit wie folgt: „Im Verständnis der globalisierungskritischen<br />

Bewegung wird Globalisierung als eine negative Entwicklung der Weltwirtschaft aufgefasst, die sich erst in<br />

jüngster Zeit ereignet haben soll und angeblich vom Finanzsektor mit Hilfe modernster Kommunikations- und Informationstechnik<br />

dominiert wird... Solche irreführenden Vorstellungen über Kapitalismus werden von Attac vertreten, von<br />

Prominenten wie Subcomandante Marcos von den Zapatisten, von Naomi Klein oder von Michael Hardt und Antonio<br />

Negri, die als Linke gelten. Maßgeblich mit geprägt haben diese Ideen auch Gruppen und Personen aus dem esoterischökofaschistischen<br />

Spektrum der Ökologiebewegung. Auf internationaler Ebene handelt es sich um das ”International<br />

Forum on Globalization”, einen elitären Club von etwa 60 Personen, Esoterikern und Protektionisten, Rechten und<br />

Linksliberalen, der von der ”Foundation for Deep Ecology” initiiert wurde. In Deutschland sind es die Ökofeministinnen<br />

um die Kölner Soziologin Maria Mies, Anthroposophen vom Netzwerk Dreigliederung und die Anhänger der<br />

Zinsknechtschaftslehre des Silvio Gesell sowie der Tauschringe...“ Das ist die Methode Bierl: Zusammenrühren, was ihm<br />

nicht passt. http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/kritik/bierl_tauschring.pdf<br />

3 Peter Bierl, Schwundgeld, Freiwirtschaft und Rassenwahn. Kapitalismuskritik von rechts – Der Fall Silvio Gesell, Konkret<br />

Verlag Hamburg 2013

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