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Demokratie - grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte

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<strong>grundrisse</strong> 45 x 2013<br />

46<br />

Klassenkampf“ (das erstere wohl der Standpunkt<br />

der Kritischen Theorie und letzteres der von Mario<br />

Tronti und des operaismo), wird, wenn sie fortgesetzt<br />

wird, von einer neuen Definition von Entfremdung<br />

abhängen, die Ausschluss von Produktion und<br />

somit von gesunder und gewürdigter Körperlichkeit,<br />

vom Kapital vorgetragen und vom Staat sanktioniert,<br />

mit einschließt. Die betrügerische Unterscheidung<br />

von Lohn und Transferzahlung – zu<br />

beobachten in der gegenwärtigen Auseinandersetzung<br />

gewerkschaftlich orientierter Alter Linker und<br />

humanitärer, auf Umverteilung abzielender neuer<br />

sozialer <strong>Demokratie</strong>, die sich der „Diskriminierung“<br />

und „Grausamkeit“ entgegenstellt (beide verfehlen<br />

das Thema) – und das daraus resultierende Schisma<br />

unter den Intellektuellen führt zu einer doppelten,<br />

nicht zugegebenen und manchmal nicht einmal bewussten<br />

Akzeptanz eines postfaschistischen staatlichen<br />

Kommandos über biologisierte und ethnisierte<br />

Energien, die von der Krise ausgelöst wurden. Wenn<br />

sich die Kräfte der Befreiung dazu bereitfinden,<br />

die postfaschistische Betonung von „Arbeit“ (oder<br />

„entlohnter Beschäftigung“) hinzunehmen, die die<br />

echte menschliche Spezies dem untermenschlichen<br />

Abfall derer, die untätig sind, eine üble Widerspiegelung<br />

der tatsächlichen nazistischen Identifikation<br />

von Kapitalismus mit parasitärer „Finanz“ oder,<br />

einfacher, „den Banken“ (nicht ohne Einfluss auf die<br />

naive und populistische Linke), entgegenstellt, dann<br />

wird es keine theoretische und politische Darstellung<br />

einer Unterdrückung geben, die wieder einmal<br />

die höchste Leistung vollbringt, die Klasse gegen<br />

sich selbst in Stellung zu bringen. Das richtige<br />

Verständnis von Löhnen ist entscheidend <strong>für</strong> eine<br />

Synthese, die gegen die neue Dynamik des Kapital-<br />

Arbeit-Kontinuums gesetzt werden kann, die das<br />

beklagenswert einfache Geheimnis des Postfaschismus<br />

ist.<br />

Der Ausnahmezustand, der Freund und Feind nun<br />

innerhalb nationaler Gesellschaften und Nationalstaaten<br />

neu definiert, bleibt das fundamentale<br />

Wesensmerkmal des Postfaschismus, wie ich ihn in<br />

einem Aufsatz vor zehn Jahren definiert habe. (In<br />

dieser Ausgabe der Grundrisse ebenfalls abgedruckt<br />

– Anm. die Red.) Sein Vorbild ist die Annullierung<br />

der jüdischen Emanzipation durch das Dritte Reich.<br />

Die Verwandlung von Nichtstaatsbürgern in homines<br />

sacri ist gleichwohl unverändert. Die Errichtung<br />

hoher Deiche gegen die Migration, selbst um den<br />

Preis der Verlangsamung des kapitalistischen Flusses,<br />

ist noch immer sein Hauptinstrument. Aber<br />

die Verwandlung von Staatsbürgern in Nichtstaatsbürger<br />

aus moralischen und biopolitischen Gründen<br />

– in dieser Wildheit – ist eher neu. Solange<br />

es keine Synthese zwischen der transzendentalen<br />

Identität von Arbeitenden und nicht Arbeitenden<br />

gibt, sondern nur zwischen den produktiven Gruppen<br />

und den nichtproduktiven als dem Kapital als<br />

solchem entgegengestellt, wird etwas dem Faschismus<br />

sehr Ähnliches überwiegen. Die Einberufung<br />

der ausgebeuteten und unterdrückten Produzenten<br />

als Vollstrecker der Kapitalherrschaft bleibt wie in<br />

den 1920ern und 1930ern die Hauptgefahr. Es ist<br />

die weithin akzeptierte, scheinbare Einheit zwischen<br />

berechtigten Verdienern – Kapitalisten und Produzenten<br />

–, politisch vereinigt gegen die Untätigen<br />

und Fremden, die alle bedroht.<br />

Um diese erschwindelte Einheit zu zerschlagen,<br />

brauchen wir Menschen, die den Mut zur Uneinigkeit<br />

haben und Streit lieben, einen Streit, der sich aus der<br />

Opposition gegen moralisierende Biopolitik erklärt.<br />

Anmerkungen<br />

1 Die geografischen Dimensionen der “home”-Frage wird am besten beschrieben von David Harvey, Justice, Nature and<br />

the Geography of Difference, Oxford: Oxford University Press, 1996 und ders., Spaces of Hope, Berkeley: University of<br />

California Press, 2000, pp. 73-96 & passim.<br />

„Home im englischen Orignaltext umfasst hier ein anderes Begriffsfeld als das deutsche „Heim. Es ist hier nicht nur Wohnung<br />

im Sinne von „Das ist mein Heim gemeint, das den Bereich des Privaten recht abstrakt umfasst zuzüglich zu einer<br />

konkreten Komponente, es reicht auch über Wohnungen bis zum Eigenheim und den Hervorbringungen der Häuslbauer.<br />

2 im Sinne Foucaults und Agambens

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