Demokratie - grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte
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<strong>grundrisse</strong> 45 x 2013<br />
Bewegung und Kritik<br />
Zu typisch deutschen Kritikern von Occupy und David Graeber<br />
Gerhard Hanloser<br />
52<br />
Die Occupy-Bewegung ist sicherlich als eine der<br />
größten und breitesten sozialen Bewegungen der<br />
letzten Jahrzehnte zu bewerten. Sie hatte internationale<br />
Resonanz hervorgerufen – bis nach China<br />
und nach Nigeria, wo sich auch eine gleichnamige<br />
Bewegung konstituierte, und sie wirkt noch jenseits<br />
des großen medialen Hypes weiter in <strong>Demokratie</strong>-<br />
und Anti-Repressionsbewegungen und in<br />
Kämpfen gegen Hausenteignungen verschuldeter<br />
Hausbesitzer. Ihr Bewegungszentrum liegt in<br />
den USA, ihren Ausgangspunkt nahm sie mit der<br />
Besetzung des New Yorker Zuccotti Parks. Wo sich<br />
viele Menschen im bestehenden Falschen auftun,<br />
ist anzunehmen, dass dieser Aufbruch noch von<br />
falschen Vorstellungen geprägt ist. Kritik ist also<br />
notwendig. Eine Kritik dieser sozialen Bewegung<br />
und ihrer prominenten SprecherInnen sollte allerdings<br />
folgendes leisten: Sie sollte die tatsächlichen<br />
Inhalte, Logiken und Grammatiken der Bewegung<br />
zum Ausgangspunkt nehmen, sowie die Auffassungen<br />
ihrer SprecherInnen adäquat darstellen.<br />
Dass dies die Spezialisten in haltloser Polemik aus<br />
dem antideutschen Lager nicht leisten wollen, ist<br />
ausgemachte Sache. So stellt die Occupy-Bewegung<br />
<strong>für</strong> die Initiative Sozialistisches Forum aus Freiburg,<br />
die schon mal bessere Tage gesehen hat, nämlich in<br />
den 80er Jahren, lediglich die „allerneueste Etappe<br />
des definitiven Niedergangs einer Linken, die<br />
ihren Frieden mit der Nation und ihrem Volksstaat<br />
längst schon geschlossen hat“, dar. 1 Nachdem noch<br />
in leichtem Anklang an Adornos Praxis-Kritik<br />
zur Zeit der Studentenbewegung eine „groteske<br />
Pseudoaktivität“ bemängelt wird, erhebt man sich<br />
larmoyant über den AktivistInnen, die lediglich eine<br />
„gigantische Gruppentherapie“ veranstalten würden,<br />
um dann beim Kern der beliebten Kritik zu landen:<br />
dem Faschismusvorwurf. Die Initiative Sozialistisches<br />
Forum hat nämlich die „tatsächliche Bedeutung<br />
der größenwahnsinnigen Propaganda von den<br />
“99%“ erkannt: „Es geht um die Volksgemeinschaft,<br />
die nur 1% liquidieren müsste (nämlich die parasitären<br />
Finanzkapitalisten), um endlich glücklich<br />
und in Frieden leben zu können. ‚Wir werden es<br />
nicht zulassen, dass wie früher nur gewisse kleine<br />
Kreise den Profit der Arbeit anderer haben’ – wüsste<br />
man nicht zufällig, dass diese Mordparole aus<br />
dem Programm der Deutschen Arbeitsfront von<br />
1935 stammt, könnte man sie glatt <strong>für</strong> die ehrliche<br />
Meinung eines “Occupy”-Bewegten halten.“ Nach<br />
dieser Diagnose steht am Schluss die wenig zimperliche<br />
Aufforderung, die bereits in ihrer sprachlichen<br />
Gestaltung die Verrohung und intellektuelle<br />
Verlumpung der sich in einer kritisch-theoretischen<br />
Tradition Wähnenden anzeigt: „Haltet die Klappe!<br />
Fangt an zu lesen! Occupy reason!“ Bei diesem in<br />
Worte gefassten Hass auf die Bewegten von Occupy<br />
stellt sich die Frage, ob die wenig davor im Text<br />
diagnostizierte „Gewaltlüsternheit“, die aus den Texten<br />
von Occupy sprechen würde, nicht eine astreine<br />
Projektion eigener Seelenzustände darstellt.<br />
Der mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung assoziierte<br />
und im Konkret-Verlag publizierende ehemalige<br />
Grünen-Aktivist, Ökolinx-Publizist und heutige<br />
Wertkritiker Peter Bierl würde sich natürlich in<br />
großen Gesten von dieser antideutschen Polemik<br />
distanzieren, doch seine Kritik an Occupy, die er<br />
in seinen Artikeln „Unpersönliche Arithmetik“<br />
( Jungle World Nr.42, 18.10.2012) und „Falschmünzerei<br />
statt Wertkritik“ (iz3w 335) vorlegte, geht in<br />
die gleiche Richtung und ist argumentativ nicht<br />
weniger perfide konstruiert. Der Autor ist da<strong>für</strong><br />
bekannt, dass er seine Urteile mit einer kalkulierten<br />
Unschärfe und Unwissenschaftlichkeit formuliert. 2<br />
Zu der Occupy-Bewegung selbst und ihrem Aktionsradius<br />
(Alltagskämpfe um Wohnraum, Bildung<br />
und medizinische Versorgung, <strong>für</strong> die Rechte<br />
von Flüchtlingen und Gewerkschaften) fällt ihm<br />
ein altväterlich-überhebliches „Das sind durchaus<br />
erfreuliche Aspekte“ ein. Das ist die Sprache des<br />
Schulmeisters. Er tadelt mehr, selbst wenn er lobt,<br />
denn wenn etwas als „Aspekt“ benannt ist, dann<br />
zählt es nicht zum Wesentlichen. Sein eigentliches<br />
Anliegen ist nämlich, die Occupy-Bewegung auf<br />
Bankenkritik zu verkürzen und den anarchistischen<br />
Sprecher und Theoretiker David Graeber als<br />
bloßen Zinskritiker in der Tradition von Proudhon<br />
und Gesell erscheinen zu lassen. Kritik am Zins<br />
sei wesentlicher Inhalt der Bewegung und seiner<br />
SprecherInnen, behauptet Bierl. Der Autor geht<br />
aber noch weiter: er möchte Occupy und Graeber