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Demokratie - grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte

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<strong>grundrisse</strong> 45 x 2013<br />

56<br />

<strong>linke</strong>r Strömungen seit den 1960er-Jahren sichtbar<br />

zu machen und die heutige Relevanz einer antistalinistischen<br />

Haltung bzw. die Lehren aus der<br />

Geschichte zu ziehen.<br />

Natürlich kann ein derartiger PechaKucha-Wordrap<br />

kaum beanspruchen, auch nur die Grundideen der<br />

AutorInnen präsentiert zu haben. Dennoch werden<br />

dabei einige problematische Punkte des Bandes<br />

bereits deutlich: Die thematische Breite der Beiträge<br />

bedeutet gleichzeitig eine „Ausfransung“ und<br />

teilweise eine ermüdende inhaltliche Redundanz. Es<br />

wurde, wie die HerausgeberInnen betonen, bewusst<br />

nicht redaktionell eingegriffen, weil man sich um<br />

Offenheit bemüht hat – dennoch stellt sich die<br />

Frage, ob ein derartiges Eingreifen nicht die Lesbarkeit<br />

erhöht hätte. Schwerwiegender, wenn auch<br />

weder Autorinnen noch Herausgeberin anzulasten,<br />

wiegt da schon die geografische Beschränkung auf<br />

die DDR und Sowjetunion. Schmerzlich vermisst<br />

man nicht nur China, Kuba oder Vietnam, sondern<br />

auch sämtliche andere osteuropäische „Sozialismen“.<br />

Schwerer wiegt auch die Tatsache, dass nur wenige<br />

Beiträge überhaupt versuchen, den im Klappentext<br />

versprochenen Sprung von der Geschichtsschreibung<br />

zur heutigen und künftigen politischen<br />

Relevanz zu wagen. Bei aller Liebe, allem Respekt<br />

und allem selbst aufgebrachten Interesse <strong>für</strong> die<br />

Sache – aber was sagen uns DDR-Antifaschismus,<br />

Arthur Koestlers Romane und Otto Rühles Einschätzung<br />

der Sowjetmacht heute, was bringt eine<br />

Auseinandersetzung mit ihnen? Das liegt nicht auf<br />

der Hand, sondern muss (und kann ja auch) begründet<br />

werden. Es geht – das soll hier betont sein<br />

– nicht darum, eine unmittelbare „Verwertbarkeit“<br />

<strong>für</strong> „uns“ zu fordern, es geht aber sehr wohl darum,<br />

die grundlegende Reflexion einer Beschäftigung<br />

einzufordern, also zu verlangen, dass sich AutorInnen<br />

darum bemühen, diese Relevanzfrage zu stellen.<br />

Andernfalls laufen Beiträge Gefahr, wie brave<br />

akademische Seminararbeiten zu wirken.<br />

Inhaltlich möchte ich auf einige Details eingehen.<br />

Derartig viele Abhandlungen suchen „den Fehler“<br />

in der „bolschewistischen“ Theorie, dass auch diese<br />

Suche eine genauere Betrachtung verdient. Das<br />

Vorhaben ist sicherlich nicht per se sinnlos oder<br />

unmöglich; schließlich finden sich – und das wird<br />

in einigen Beiträgen deutlich – allzu viele haarsträubende<br />

Zitate bei Lenin und Konsorten. Dennoch<br />

treibt diese Fehlersuche seltsame Blüten, etwa<br />

dann, wenn „Che Buraška“ den Untergang der Sowjetunion<br />

auf Lenins „falsche“ Nationalitätenpolitik<br />

und Staats<strong>theorie</strong> zurückführen („Staatskritik geht<br />

anders“). Da gibt es keine konkreten historischen<br />

Bedingungen, keine taktischen Maßnahmen, da<br />

finden sich auch keine historischen Entwicklungen,<br />

die Politik und Ideologie bestimmen oder vor sich<br />

hertreiben – da gibt es nur eine „falsche Ideologie“,<br />

die von allem Anfang an zu falschen Maßnahmen<br />

führt und konsequenterweise die nicht-intendierte<br />

Folge des Zusammenbruchs des Sowjetreichs nach<br />

sich zieht („In dieser Manier hat sich die Sowjetunion<br />

während ihrer 80-jährigen Existenz stets<br />

auf die Welt bezogen“). Anders, mit der richtigen<br />

Politik, hätt´s vielleicht funktioniert – zum Beispiel,<br />

so glauben die AutorInnen zu wissen, indem man<br />

Menschen, die in ihrem falschen Bewusstsein Nation<br />

und Religion vergöttert hatten, kritisiert und<br />

aufgeklärt (!) hätte… Was Che Buraška hier tun ist<br />

nichts anderes als die Erhöhung der Figur Lenins,<br />

dessen Theorien handlungsleitend gewesen seien, die<br />

Reduktion der Geschichte auf die Ideen der großen<br />

Männer, und die Abstraktion von jeder realen<br />

Geschichte. Das ist aber wiederum nichts anderes<br />

als die Praxis einer absolut nicht-materialistischen<br />

Geschichtsschreibung und liegt gefährlich nahe an<br />

den Argumentationen der TotalitarismustheoretikerInnen<br />

im Kalten Krieg, die in allem, was in der<br />

Sowjetunion passierte, „die Ideologie“ schlechthin<br />

schalten und walten sahen. 2<br />

Zu anderen Schlüssen kommt Rüdiger Mats, der<br />

sich ebenfalls die Frage stellt, ob die Probleme<br />

der Planwirtschaft nicht in der Konzeption von<br />

Planwirt schaft selbst gelegen hätten und liegen.<br />

Er blickt kurz auf die Wirtschaftsgeschichte der<br />

Sowjetunion, vom Kriegskommunismus über NÖP<br />

und Kollektivierung auf die beginnende Stagnation<br />

der 1960er-Jahre, in denen die vielfachen Ungleichzeitigkeiten<br />

und Ungereimtheiten in den diversen<br />

Sektoren der sowjetischen Planwirtschaft im<br />

Westen, in der Sowjetunion und auch in der Linken<br />

den Schluss nahe legten, dass sich eine komplexe<br />

Wirtschaft grundsätzlich nicht planen ließe. Die<br />

Wirtschaftsreformen der 1960er-Jahre hätten<br />

eine Kombination von Markt und Plan bewirkt,<br />

die die Probleme der disproportionalen Produktion<br />

nur verschärft hätten und, da sie nur mehr<br />

durch internationale Kredite künstlich verzögert<br />

werden konnten, letzten Endes in den wirtschaftlichen<br />

Bankrott der 1980er-Jahre gemündet hätten.<br />

Zentrale Planer, lokale Betriebs leitungen und<br />

Belegschaften hatten unterschiedliche Interessen;

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