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Demokratie - grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte

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Die Eroberung der <strong>Demokratie</strong><br />

Revolutionen die erforderliche Zeit gewähren, auch<br />

ihre demokratischen Potentiale zu entfalten.<br />

So sehr sich die Begriffe <strong>für</strong> die proletarischen<br />

Selbst organisationen im Einzelnen unterscheiden<br />

mögen, so ähnlich werden sie in ihrer Funktion.<br />

Und es springt noch etwas anderes ins Auge, das<br />

Marx bereits kühn geahnt hat: die Ungeheuerlichkeit<br />

des Unternehmens, die Herstellung allgemeiner<br />

Selbstregierung oder anders formuliert, die Verwirklichung<br />

authentischer <strong>Demokratie</strong>. Es ist dies<br />

identisch, was die klassische Arbeiterbewegung<br />

unter Selbstemanzipation verstanden hat, wobei<br />

hier Frauen nur bedingt eingeschlossen waren. Und<br />

gerade dies bereitet ein logisches Problem. Die<br />

numerische Mehrheit in der Gesellschaft produziert<br />

die Lebensmittel, allerdings gilt dies nur, wenn die<br />

Arbeit der Frauen mit eingerechnet ist. Erst dann<br />

wird Herrschaft unmöglich, wenn die Mehrheit<br />

herrscht, also all diejenigen die im Produktionsprozess<br />

stehen. Aber wie kann die Mehr heit herrschen<br />

anders als in unmittelbarer Selbstverwaltung, d.h.<br />

in einer Form worin Herrschaft weniger ausgeschlossen<br />

ist? Historisch zeigt sich dies im Kampf<br />

zwi schen kollektiver Selbstbestimmung und<br />

Staatsgewalt. Selbstbestimmung und Staatsgewalt<br />

sind Gegensätze, wobei der Wille zu kollektiver<br />

Selbstbestimmung sozialen Ursprungs ist, das heißt<br />

mit den Klassenkämpfen entsteht und sich erst<br />

allmählich Gewalt verschafft. Und dieser Wille<br />

entsteht nicht über Nacht, zumal er auf den ersten<br />

Blick gar nicht notwendig erscheint. Wir finden<br />

nämlich bei den Räteveranstaltungen der ersten<br />

Stunde nur selten Wahlverfahren, die unseren<br />

heutigen <strong>Demokratie</strong>vorstellungen entsprechen.<br />

Meist sind es die Organisationen der Arbeitenden<br />

(Parteien und Gewerkschaften), welche über die<br />

Besetzung dieser Räte entscheiden, nicht selten, um<br />

der revolutionären Bewegung die Spitze zu brechen,<br />

so geschehen in vielen Städten Deutschlands 1918,<br />

in Petrograd im Februar 1917, um die bekannten<br />

Beispiele zu nennen. In dieser Phase genießen<br />

diese selbsternannten Führer meist das Vertrauen<br />

des großen Teils der Arbeitenden und es bedarf<br />

einer gewissen Zeit bis der Irrtum zum allgemeinen<br />

Bewusstsein gelangt. Lassen es die sozialen<br />

Verhältnisse zu, so drängen die Arbeitenden auf<br />

eine Neubesetzung ihrer Vertretungen, und fordern<br />

demokratische(re) Wahlen zu den Räten. Aber auch<br />

hier zeigt sich nicht selten, dass selbst die aus den<br />

eigenen Reihen gewählten Vertreter, (weniger die<br />

Vertreterinnen) nicht immer den an sie gestellten<br />

Ansprüchen entsprechen. Jetzt werden Formen<br />

und Strukturen gesucht, wie die Gewählten einer<br />

möglichst effektiven Kontrolle der Wahlkörper zu<br />

unterwerfen sind, wie z.B. die jederzeitige Abwählbarkeit.<br />

Leider gestattet der knappe Raum hier<br />

nicht, diese drei Phasen an historischen Beispielen<br />

zu illustrieren. Dass es sich hier um keinen geradlinigen<br />

Prozess handeln kann, dass Fehler gemacht<br />

werden, gemacht werden müssen und dass experimentiert<br />

wird, sollte eigentlich keiner weiteren<br />

Ausführung bedürfen. Insgesamt würde ich diesen<br />

mühevollen Prozess gerne „Eroberung der <strong>Demokratie</strong>“<br />

nennen.<br />

Nun gibt es manche intellektuelle Einwendungen,<br />

die sagen, die Gesellschaft bestehe nicht nur aus<br />

weiblichen und männlichen Lohnarbeitern, Handwerkern,<br />

Rentnern, Freiberuflern usw. Zugegeben,<br />

aber die Revolutionen brachten auch deren Vertretungen<br />

hervor, um beispielsweise die verschiedenenorts<br />

entstandenen Wohnviertelkomitees<br />

zu nennen, welche versuchten, die unmittelbare<br />

Wohnungsnot zu lindern. Wenn alle Menschen<br />

eingeschlossen sind, die gezwungen sind zu arbeiten,<br />

weil sie nicht von fremder Arbeit leben, dann<br />

ist dies zweifellos die überwältigende Mehrheit der<br />

Bevölkerung. Und wenn wir uns einen Vergleich mit<br />

dem heutigen Kreis der Wahlberechtigten vergleichen,<br />

so ist erstere die größere, denn sie nimmt<br />

keine Rücksicht auf nationale Vorurteile, kann keine<br />

Rücksicht nehmen, ohne ihre Prinzipien zu verlassen.<br />

In den Staaten Europas und den USA sind<br />

im Schnitt 10% und mehr der Bevölkerung von<br />

den entscheidenden Wahlen ausgeschlossen, weil<br />

dieser Teil nicht die erforderliche Staatsbürgerschaft<br />

besitzt.<br />

Nun sollte aber die politische Konstruktion dieses<br />

skizzierten Rätewesens als solches nicht überbewertet<br />

werden. Ein politisches Rätesystem, das<br />

neben einem bürgerlichen Staatsapparat wirkt,<br />

getragen von einer sozialen Bewegung der Arbeitenden,<br />

welche <strong>für</strong> die Verkürzung des Arbeitstages,<br />

Lohnerhöhungen und gewisse Mitsprache<br />

kämpft, ist von seinem Inhalt her nicht per se auf<br />

die Überwindung des kapitalistischen Systems hin<br />

angelegt. Allerdings missversteht dies die Gegenseite,<br />

die Bourgeoisie fast regelmäßig. Sie reagiert<br />

auf der Grundlage ihres beschränkten Profitinteresses<br />

und stellt die Lebensgrundlagen der Produzenten<br />

prinzipiell in Frage, beispielsweise durch<br />

Betriebsstillegungen (so geschehen in Russland,<br />

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