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Demokratie - grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte

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Buchbesprechungen<br />

Gruppe INEX (Hg.): Nie wieder Kommunismus? Zur Linken Kritik<br />

an Stalinismus und Realsozialismus<br />

Münster: Unrast Verlag 2012, 232 Seiten, Euro 14,80<br />

Buchbesprechung von Andreas Kranebitter<br />

Erst seit relativ kurzer Zeit scheint es wieder opportun<br />

zu sein, innerhalb der Linken über den Charakter<br />

„des Kommunismus“ im 20. Jahrhundert zu<br />

de bat tieren. Herrschte in den 1990er-Jahre in dieser<br />

Hinsicht noch allgemeines Schweigen, so zwang<br />

spätestens das immer beliebter werdende Genre<br />

der „Sozialismus-im-21.-Jahrhundert-Bücher“ ihre<br />

Autorinnen und Autoren, sich mehr oder weniger<br />

ausführlich auch mit dem Sozialismus des 20. Jahrhunderts<br />

auseinanderzusetzen. 1 Diese Beschäftigung<br />

war insofern, und das ist gerade das positive und<br />

erfrischende daran, nicht mehr Selbstzweck. Auch<br />

das hier besprochene Buch setzt diese Diskussion<br />

fort. Es wurde nicht geschrieben, um in der Vergangenheit<br />

oder der Kritik dieser Vergangenheit zu<br />

schwelgen, sondern, wie der Klappentext verspricht,<br />

aus „Hoffnung auf eine emanzipatorische Politik, die<br />

aus den Erkenntnissen über die <strong>linke</strong> Vergangenheit die<br />

richtigen Lehren zieht“. Vergangenheitsbeschäftigung<br />

also nicht als Selbstzweck, sondern mit Blick auf<br />

eine mögliche andere Zukunft, als, wie es die ebenfalls<br />

vertretene Autorin Bini Adamczak andernorts<br />

formuliert hat, „Rekonstruktion der Zukunft“.<br />

Die heutige Welle dieser Vergangenheitsarbeit<br />

könnte man als dritte Welle einer derartigen Auseinandersetzung<br />

bezeichnen. Sie hat gegenüber<br />

den ersten beiden den Vorzug, dass ihr Forschungsobjekt<br />

bereits Geschichte ist. Das ermöglicht eine<br />

gewisse Distanz zum Objekt, ermöglicht es, aus<br />

dem Reich der formelhaften Problemlösungen, der<br />

ideologi schen Schnellsch(l)üsse und der kategorisch<br />

ausgrenzenden Positionierungen auszutreten und<br />

die ganze Sache nüchterner und kühler zu diskutieren.<br />

Denn die Anfänge <strong>linke</strong>r Kritik an Stalinismus<br />

und Realsozialismus, die erste Welle der Stalinismuskritik,<br />

war in den 1920er- und 1930er-Jahren<br />

tatsächlich unmittelbares Zeitgeschehen, lief allzu<br />

oft buchstäblich auf Fragen von Leben und Tod<br />

hinaus. Die Debatten der zweiten Welle in den<br />

1960er- und 1970er-Jahren waren ideologisch<br />

verfahren, ergaben sich aus dem Zwang, sich im<br />

„sino-sowjetischen“ Streit zu positionieren, die<br />

schwindende Attraktivität und Legitimität „realsozialistischer“<br />

Staaten zu kompensieren oder die<br />

eigene Kleingruppe von den unzähligen Konkurrentinnen<br />

abzugrenzen.<br />

Auch wenn eine detaillierte Darstellung der einzelnen<br />

Beiträge hier nicht gegeben werden kann, sei<br />

kurz auf den Inhalt der Beiträge verwiesen. Christian<br />

Schmidt versucht in „Die Politik des Kommunismus“<br />

einleitend, die theoretischen Fehlannahmen<br />

und Irrglauben eines „wissenschaftlichen“ Kommunismus<br />

zu rekonstruieren; die Gruppe Che Buraška<br />

sieht die bolschewistische Nationalitätenpolitik im<br />

riesenhaften Unding der Sowjetunion als von allem<br />

Anfang an „In der Sackgasse“; Diethard Behrens formuliert<br />

in „Vom Scheitern eines Versuchs gesellschaftlicher<br />

Modernisierung“ einige Thesen zum Stalinismus.<br />

Der erste wirklich lesenswerte und neue, weil auch<br />

ökonomisch fundierte Artikel, ist Rüdiger Mats<br />

mit seiner Auseinandersetzung „Mit ‚wissenschaftlichem<br />

Sozialismus‘ in den Staatsbankrott“ gelungen,<br />

die Realität und Debatte um Vergangenheit und<br />

Zukunft der Planwirtschaft diskutiert. Christoph<br />

Jünke untersucht die „Schädelstätte des Sozialismus“,<br />

die Stalins berüchtigte „Zweite Revolution“ hinterlassen<br />

hat und deren ermordete AnalytikerInnen die<br />

eigentlichen Grundsteine der Stalinismusforschung<br />

gelegt haben; Bini Adamczak beschäftigt sich mit<br />

den Geschlechtlichkeiten in der Theorie und Praxis<br />

der frühen Sowjetunion. Die DDR ist Thema von<br />

Philipp Graf, der in „‚Nach Hitler wir!‘“ den offiziell<br />

verordneten und realen DDR-Antifaschismus<br />

untersucht, und Ulrike Breitsprecher, die sich<br />

mit der schleichenden Abnahme des utopischen<br />

Gehalts der DDR-Kunst beschäftigt. Hendrik<br />

Wallat lässt in „‚Die Weltreaktion ist auch Moskau!‘“<br />

vergesse ne und verschüttete zeitgenössische Kritiker<br />

des Bolschewismus zu Wort kommen, Sebastian<br />

Tränkle in „‚Akrobatenkunststücke auf dem Seil des<br />

Gewissens‘“ den seiner Ansicht nach zu Unrecht als<br />

Antikommunisten abgestempelten Arthur Koestler.<br />

Alexis Kunze und die Gruppe [paeris] versuchen<br />

schließlich, in „‚Liegt es am System?‘“ bzw. in „Der<br />

real gescheiterte Sozialismus und die real existierende<br />

sozialistische Linke“ die antistalinistische Haltung<br />

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