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Demokratie - grundrisse.zeitschrift für linke theorie & debatte

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Zur <strong>Demokratie</strong> sozialer Bewegungen<br />

Warum die <strong>Demokratie</strong> der Bewegungen nicht<br />

Konstituierende Macht nennen, die Form, in der<br />

sich die Multitude der revolutionären Bewegungen<br />

in der Organisation des Lebens wieder findet?<br />

Als Gegensatz zur Konstituierten Macht, die die<br />

neuerliche Bürokratisierung und Integration in das<br />

System bedeutet, häufig in staatlichen Strukturen,<br />

aber auch in die Institutionen von NGOs.<br />

Anmerkungen<br />

1 Viele der Beispiele stammen aus sozialen Bewegungen in Österreich, die das Thema in zwei Büchern von mir sind: Foltin<br />

(2004 / 2010).<br />

2 Es ist bezeichnend, dass in zwei besonders autoritären Bereichen nie über <strong>Demokratie</strong> diskutiert werden durfte: in den<br />

Fabriken und in den bewaffneten Strukturen wie Polizei und Armee. Nur in revolutionären Situationen wie z.B. in den<br />

Umwälzungen nach der Oktoberrevolution entwickelten sich Arbeiter- und Soldatenräte als direkt demokratische Formen.<br />

3 Auch vor 1968 hat es die Auseinandersetzungen außerhalb der geordneten Strukturen gegeben, wie etwa den Streik 1950<br />

gegen die Lohn-Preis-Pakte, aber dieser spontane Aufbruch wurde einerseits von der sozialdemokratischen Gewerkschaft<br />

niedergeknüppelt, aber auch von einer KPÖ-dominierten Betriebsrätekonferenz abgewürgt (vgl. Koller 2011, S.<br />

472ff). Dieser riesige wilde Streik wurde lange als kommunistischer Putschversuch gewertet, später wurde die Spontanität<br />

zumindest anerkannt und gesagt, die KPÖ hätte den Streik <strong>für</strong> ihre Parteipolitik benutzt. Tatsächlich könnte mensch<br />

umgekehrt sagen, dass die streikenden und demonstrierenden Arbeiter_innen die KPÖ-Organisation benutzt haben, weil<br />

diese die einzigen waren, die den Streik unterstützten.<br />

4 Wegen der Erfahrungen dieser Besetzungen von 1987, 1992, 1996, 2000 und 2006 wäre ich am 24. Oktober 2009<br />

dagegen gewesen, das Audimax zu besetzen, weil ich mich noch an die fruchtlosen Sektenstreitereien erinnerte. Aber die<br />

Besetzer_innen von unibrennt waren offensichtlich Menschen, die diese negativen Erfahrungen nicht gemacht hatten.<br />

5 Zu den meisten Gipfeln der Herrschenden wurden weltweite Aktionstage ausgerufen und auch vor Ort demonstriert. Zur<br />

Konferenz der WTO in Seattle im November 1999 fanden Demonstrationen statt, an denen sich unterschiedliche Gruppierungen<br />

beteiligten, von Gewerkschaften bis hin zu Umweltschützer_innen. Die Auseinandersetzungen rückten die<br />

Proteste erstmals medial ins Zentrum der Weltöffentlichkeit. Im Juni 2001 fanden mehrtägige, auch militante Demonstrationen<br />

gegen den G8-Gipfel in Genua statt. Dort wurde ein Demonstrant von der Polizei erschossen.<br />

6 Eine Ablehnung von Kapitalismus, Imperialismus und Feudalismus sowie aller Handelsabkommen, Institutionen und<br />

Regierungen, die zerstörerische Globalisierung vorantreiben. Eine Ablehnung aller Formen und Systemen von Herrschaft<br />

und Diskriminierung, einschließlich (aber nicht ausschließlich) Patriarchat, Rassismus und religiösen Fundamentalismus<br />

aller Art. Wir erkennen die vollständige Würde aller Menschen an.<br />

Eine konfrontative Haltung, da wir nicht glauben, dass Lobbyarbeit einen nennenswerten Einfluss haben kann auf undemokratische<br />

Organisationen, die maßgeblich vom transnationalen Kapital beeinflusst sind;<br />

Ein Aufruf zu direkter Aktion und zivilem Ungehorsam Unterstützung <strong>für</strong> die Kämpfe sozialer Bewegungen, die Respekt<br />

<strong>für</strong> das Leben und die Rechte der unterdrückten Menschen maximieren, wie auch den Aufbau von lokalen Alternativen<br />

zum Kapitalismus.<br />

Eine Organisationsphilosophie, die auf Dezentralisierung und Autonomie aufgebaut ist.<br />

7 Ein kurzer Einschub noch zu Kämpfen im globalen Süden. Raul Zibechi (2008) beschreibt die Organisationsformen<br />

der aufständischen Gemeinden in Bolivien und findet dort Organisationsstrukturen, die über die westliche <strong>Demokratie</strong><br />

hinausweisen, weil sich der Staat ganz aus den Stadtvierteln zurückgezogen hat. Der danach folgende Wahlsieg von<br />

Evo Morales wird schon wieder als Integration in herrschende Strukturen gesehen. Zibechi nimmt an, dass die Bevölkerung,<br />

wenn sie von der Regierung enttäuscht wird, nicht die Rechten wählen wird, sondern sich aus den Wahlprozessen<br />

zurückzieht.<br />

51<br />

Literatur<br />

Asenbaum, Maria / Hajek, Katharina / Botka, Michael / Piro, Ako (2010): „Die Explosion eines politischen Unbehagens“.<br />

In: Perspektiven Nr 10, S. 4-11.<br />

Das unsichtbare Komitee (2009): Der kommende Aufstand. Hamburg: Nautilus.<br />

Debord, Guy (1996): Die Gesellschaft des Spektakels. Berlin: Edition TIAMAT.<br />

Foltin, Robert (2004): Und wir bewegen uns doch. Soziale Bewegungen in Österreich. Wien, edition <strong>grundrisse</strong>.<br />

Foltin, Robert (2010): Und wir bewegen uns noch. Zur jüngeren Geschichte sozialer Bewegungen in Österreich. Wien,<br />

Mandelbaum kritik & utopie.<br />

Christian Koller (2009): Streikkultur. Performanzen und Diskurse des Arbeitskampfes im schweizerisch-österreichischen<br />

Vergleich (1860–1950), Wien / Münster: Lit. Verlag.<br />

Negri, Antonio (1999): Insurgencies. Constituent Power and the Modern State. Minneapolis / London: University of Minnesota<br />

Press.<br />

Tamás, Gáspár Miklós (2007): Konterrevolution gegen eine Konterrevolution. In: <strong>grundrisse</strong> Nr. 23, S. 45-55.<br />

Zibechi, Raul (2008): Bolivien: Die Zersplitterung der Macht. Hamburg: Edition Nautilus.

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