oead.news Nr. 88/2013 - Österreichischer Austauschdienst
oead.news Nr. 88/2013 - Österreichischer Austauschdienst
oead.news Nr. 88/2013 - Österreichischer Austauschdienst
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
25<br />
Bildungsprogramme<br />
als Chancen gegen<br />
Benachteiligung<br />
© Caritas/Luttenberger<br />
Rande der Städte oder in leerstehende Häuser in entlegenen<br />
Dörfern zu übersiedeln. Anders als die meisten<br />
osteuropäischen Familien konnten sie es sich in den<br />
1990er Jahren nicht leisten, ihre Mietwohnungen billig<br />
zu kaufen, da sie ja kein Kapital aus der Besitzrestitution<br />
erhalten hatten.<br />
Die heutigen Probleme der mittel- und osteuropäischen<br />
Roma sind keine ethnischen Probleme, sondern<br />
in erster Linie Sozialprobleme. Nicht alle Roma sind<br />
arm, aber die Mehrzahl der Armen sind Roma. Mit ethnisierenden<br />
Ansätzen werden diese Probleme auch in<br />
Zukunft nicht zu lösen sein.<br />
Schon 2004 warnte eine Studie des UNDP – United<br />
Nations Development Programme davor, dass sich<br />
ohne verbesserte Bildungsmöglichkeiten für Roma<br />
Jugendliche diese prekäre Situation noch wesentlich<br />
verschlechtern werde. Trotz einiger Initiativen und<br />
Programme hat sich an der Lage der Roma in den<br />
mittel- und osteuropäischen Staaten aber anscheinend<br />
kaum etwas geändert. Einzig die rassistischen<br />
Übergriffe auf Mitglieder der Minderheit scheinen zugenommen<br />
zu haben. Roma erscheinen heute ausgegrenzter<br />
und diskriminierter als je zuvor.<br />
Zwar sind die rassistischen Übergriffe auf Roma eine<br />
traurige Realität, aber keineswegs die Norm. Es ist<br />
richtig, dass es seit 1989 zu einer zunehmenden<br />
›Re-ethnisierung‹ der Roma gekommen ist, zu einer<br />
zunehmenden Abgrenzung zwischen Roma und<br />
Nicht-Roma. Vielfach ist die Bezeichnung Roma oder<br />
›Zigeuner‹ zu einem Synonym für marginalisierte,<br />
verarmte Bevölkerungsschichten geworden. In einer<br />
aufsehenerregenden Vergleichsstudie konnten Sozialwissenschafter<br />
beweisen, dass in den Länder Ungarn,<br />
Slowakei, Rumänien und in der Tschechischen Republik<br />
nur 50 Prozent jener Menschen, die sich selbst als<br />
Roma identifizieren von ihrer Umwelt auch als solche<br />
wahrgenommen werden. Andererseits<br />
aber bezeichnen sich 50 Prozent jener<br />
Personen die von so genannten ›Sozialexpert/innen‹<br />
– also Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen,<br />
Polizist/innen oder<br />
Verwaltungsbeamt/innen – als Roma<br />
eingeschätzt werden, selbst nicht als<br />
Roma. Tatsache ist, dass Roma nur als<br />
Roma wahrgenommen werden, wenn<br />
sie dem Klischee der verarmten, marginalisierten<br />
Person entsprechen. Gesellschaftlich<br />
und wirtschaftlich erfolgreiche<br />
und integrierte Roma fallen nicht<br />
auf – viele von ihnen deklarieren sich<br />
aber auch nicht öffentlich, um ihren sozialen<br />
und ökonomischen Status nicht<br />
zu gefährden.<br />
Ob das sogenannte ›Roma Problem‹ in<br />
Mittel- und Osteuropa immer größer<br />
wird, darf zumindest angezweifelt werden.<br />
Tatsche ist, dass fast täglich neue<br />
Zahlen über eine rasant ansteigende<br />
Romapopulation in den Medien kolportiert<br />
werden. Wurde die europäische<br />
Romabevölkerung zur Jahrtausendwende<br />
noch auf fünf bis acht Millionen Personen<br />
geschätzt, so sprechen heutige<br />
Schätzungen meist schon von 10 bis<br />
15 Millionen. Diese stetig steigenden<br />
– aber völlig unbewiesenen – Zahlen<br />
bleiben weitgehend unwidersprochen,<br />
denn schließlich profitieren alle Beteiligten<br />
von dieser wundersamen statistischen<br />
Vermehrung der Roma. Die<br />
lokalen Romaorganisationen und internationalen<br />
Roma-NGOs gewinnen an<br />
Bedeutung und die nationalen Regierungen<br />
der betroffenen Staaten benutzen<br />
die hochlizitierten Zahlen, um zusätzliche Gelder<br />
aus den verschiedenen Fördertöpfen der Europäischen<br />
Union zu lukrieren.<br />
Warum aber greifen diese so finanzierten arbeitsmarktorientierten<br />
Aus- und Weiterbildungsproramme oft nicht?<br />
Oftmals handelt es sich dabei um so genannte ›Aktivierungsprogramme‹<br />
für Arbeitslose, klassisch neo-liberale<br />
Instrumente, durch die Arbeitslose nun mit Unterstützung<br />
der EU zu Arbeiten im Niedrigstlohnsektor gezwungen<br />
werden, wollen sie nicht alle Ansprüche auf Sozialleistungen,<br />
Kranken und Rentenversicherung verlieren. Nicht<br />
selten verrichten diese Arbeitslosen nun dieselbe Arbeit<br />
wie früher, nur für wesentlich niedrigere Löhne. Solche internationalen<br />
Beschäftigungs- und Fortbildungsprogramme<br />
nützen einerseits der lokalen Wirtschaft und entlasten<br />
andererseits die ohnehin knappen Sozialbudgets der Lokalverwaltungen.<br />
Trotzdem scheinen gerade auf dem Schulbildungssektor<br />
einige Programme gute Erfolge zu zeitigen. Hier<br />
ist es zumindest teilweise gelungen, durch internationale<br />
Programme der zum Teil eklatanten Benachteiligung<br />
von Schüler/innen aus Romafamilien gegenzusteuern.<br />
Spezielle Roma-Gymnasien haben einem<br />
kleinen Teil der Roma Mittelschichten den verbesserten<br />
Zugang zur universitären Bildung ermöglicht<br />
und spezielle Universitätsprogramme für Student/<br />
innen mit Romahintergrund haben in den letzten<br />
Jahren zum Entstehen einer internationalen akademischen<br />
Elite unter den Roma beigetragen. Seit der<br />
Jahrtausendwende sind sie zunehmend zu wichtigen<br />
neuen Akteur/innen nicht nur in wissenschaftlichen<br />
sondern auch in politischen und ökonomischen Bereichen<br />
geworden. Nicht zufällig sind viele der heute<br />
national politisch tätigen Romaaktivist/innen aus ihren<br />
Reihen hervorgegangen, ebenso wie die beiden<br />
aus Romafamilien stammenden Abgeordneten des<br />
Europäischen Parlaments.