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oead.news Nr. 88/2013 - Österreichischer Austauschdienst

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37<br />

Andreas Wenninger<br />

Über ein geteiltes Land am<br />

Rande Europas<br />

Bukowina-Dialog<br />

MMag. Andreas Wenninger ist Leiter<br />

des OeAD-Kooperationsbüros in Lemberg<br />

Bukowina-Dialog,<br />

Mai 2011<br />

© andreas wenninger<br />

Meine erste Reise in die Bukowina führte<br />

mich im Oktober 2000 durch Ungarn,<br />

zuerst nach Siebenbürgen und dann von<br />

Klausenburg in den Norden Rumäniens.<br />

Von dort planten wir die rumänischukrainische<br />

Grenze zu passieren. Ich<br />

fuhr mit einem von der Österreich-Kooperation<br />

organisierten Reisebus nach<br />

Czernowitz zum 125-Jahr-Jubliäum der<br />

dortigen Universität, von wo wir nach<br />

Lemberg weiterreisen wollten.<br />

Nach einer kurzweiligen Fahrt durch die<br />

Karpatenwälder Rumäniens besuchten<br />

wir das Kloster Voronet. Wie andere<br />

nordrumänische Klöster ist es innen<br />

und außen ganz mit wilden und wunderschönen<br />

Bildern bemalt. Neben dem<br />

Kloster trieb eine alte Frau eine Herde<br />

Gänse zum Bach, und alles sah aus wie in<br />

einem Märchen. Die Klöster Moldovita<br />

und Sucevita seien noch viel schöner als<br />

Voronet, beteuerten uns Mitreisende.<br />

Wir fuhren durch endloses, bewaldetes<br />

Hügelland. In Moldovita und Sucevita<br />

bestaunten wir Bilder von Engeln, Teufeln<br />

und Drachen, frommen Gläubigen<br />

und ›bösen‹ Türken – die Bemalungen<br />

hatten während der Kriege gegen das<br />

Osmanische Reich als christliche Propaganda<br />

gedient. Die bemalten Klöster<br />

sind eine der bekanntesten Attraktionen<br />

der Bukowina.<br />

Doch das kleine Land am östlichen Rand Mitteleuropas<br />

existiert nur noch dem Namen nach: Der Süden gehört<br />

zu Rumänien, der Norden mit der einstigen Hauptstadt<br />

Czernowitz zur Ukraine.<br />

Geschichte als Fundament<br />

Einst war die Bukowina Teil des Herzogtums Moldau<br />

gewesen, dann der Habsburgermonarchie. Nach<br />

dem Ersten Weltkrieg fiel sie an Rumänien, das eine<br />

Großmacht werden wollte und sich bald auf die Seite<br />

der Nazis schlug. 1940 marschierte die Rote Armee<br />

ein, dann die deutsche Wehrmacht, dann wieder die<br />

Sowjets. Auch nach 1991 blieb die Bukowina geteilt.<br />

Mittlerweile ist der Graben sogar tiefer geworden:<br />

Heute verläuft die EU-Außengrenze mitten durch<br />

die Region. Rumän/innen müssen seit einigen Jahren<br />

kein Visum mehr vorzeigen, wenn sie den anderen<br />

Teil besuchen wollen, Ukrainer/innen schon.<br />

Das Bukowina-Forschungszentrum, das mit Hilfe der<br />

Österreich-Kooperation bereits Anfang der 90er-Jahre<br />

an der Czernowitzer Yurij-Fedkowytsch-Universität<br />

eingerichtet wurde und auch eine Österreich-Bibliothek<br />

beherbergte, war die erste Einrichtung, die sich<br />

zum Ziel setzte, gemeinsame bukowinische Projekte<br />

zu initiieren und durchzuführen. Hierzu wurden regelmäßig<br />

Expert/innen und Wissenschafter/innen aus<br />

Rumänien, aus der Ukraine, aus Deutschland und aus<br />

Österreich nach Czernowitz eingeladen und in Form<br />

von Konferenzen, gemeinsamen Ausstellungen und<br />

Literaturprojekten erste Dialog-Veranstaltungen abgehalten.<br />

Zwischenzeitlich beschäftigten sich zahlreiche<br />

Wissenschafter/innen (historisch, literaturwissen-<br />

schaftlich und kulturwissenschaftlich) mit der Region<br />

Bukowina: so zum Beispiel Andrei Corbea-Hoisie in<br />

Iasi, Winfried Menninghaus in Berlin, Peter Rychlo in<br />

Czernowitz und viele mehr, die Czernowitz und die Bukowina<br />

auch als Topos deutsch-jüdischer und multikultureller<br />

Geschichte und Literatur untersuchten. Die<br />

ehemalige Metropole des östlichsten habsburgischen<br />

Kronlandes Bukowina hatte viele bedeutende Schriftsteller/innen,<br />

Künstler/innen und Wissenschafter/<br />

innen hervorgebracht, die bis heute Gegenstand von<br />

Forschungen und Publikationen sind.<br />

Der österreichische Wissenschafter, Geograf und<br />

Historiker Kurt Scharr schrieb im Zuge mehrerer Forschungsreisen<br />

in den letzten 15 Jahren nicht nur einen<br />

informativen Bukowina-Reiseführer, sondern auch<br />

eine wissenschaftliche Abhandlung über ›Die Landschaft<br />

Bukowina‹ mit dem Titel ›Das Werden und Vergehen<br />

einer Region an der Peripherie 1774-1918‹, die<br />

2010 erschien.<br />

Tatsächlich erlebte vor allem Czernowitz während der<br />

relativ friedlichen Zeit unter österreichischer Herrschaft<br />

einen Aufschwung. Armenische, polnische,<br />

rumänische, russische, slowakische, ukrainische, ungarische<br />

und deutsche Menschen, viele von ihnen<br />

Juden und Jüdinnen, lebten friedlich nebeneinander.<br />

Drei oder mehr Sprachen zu sprechen, galt als normal.<br />

Das funktionierte vor allem deshalb so gut, weil ›keine<br />

der Nationen in der Bukowina über eine ausreichende<br />

Mehrheit verfügte und somit (jede) gezwungen war,<br />

konsensorientierte Koalitionen zu anderen zu suchen‹,<br />

schreibt Kurt Scharr in seinem Buch.<br />

Das 20. Jahrhundert verlief weit düsterer. Zwischen

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