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Canetti, Elias - nachschlage.net

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gen in leidenschaftlicher Neugier gebunden sei und das ihn, wie <strong>Ca<strong>net</strong>ti</strong> in seiner<br />

drastischen Metaphorik schreibt, zum „Hund seiner Zeit“ mache. Zweitens fordert er<br />

vom Dichter einen „Drang zur Universalität, der sich durch keine Einzelaufgabe abschrecken<br />

läßt“; und er ruft ihn schließlich auf, Widerstand zu leisten „gegen seine<br />

Zeit“ und gegen die absolute Herrschaft des Todes in ihr. Aus dieser ebenso anspruchsvollen<br />

wie eigenwilligen Poetik leitet sich auch der formale Charakter seiner<br />

Schriften ab, die eine Synthese zwischen radikaler intellektueller Konstruktion und<br />

ausgebreiteter phänomenologischer Detailbeschreibung sind.<br />

Die unverwechselbare literarische Technik <strong>Ca<strong>net</strong>ti</strong>s ist schon in seinem ersten Werk,<br />

dem von Herbst 1930 bis Oktober 1931 niedergeschriebenen Roman „Die Blendung“<br />

voll ausgebildet. Ursprünglich als einer von acht Romanen „einer Comédie Humaine<br />

an Irren“ geplant, steht in seinem Mittelpunkt ein „reiner Büchermensch“, der Sinologe<br />

Kien, der ausschließlich in seiner Bibliothek und für seine Bibliothek lebt.<br />

Die drei Teile des Romans führen die allmähliche Verwandlung dieses Mannes, der<br />

nur die einzige Eigenschaft besitzt, Intellektueller zu sein, in einen von Wahnideen<br />

besessenen Selbstmörder vor. In dem „Ein Kopf ohne Welt“ überschriebenen ersten<br />

Teil läßt <strong>Ca<strong>net</strong>ti</strong> die Außenwelt, verkörpert in der Gestalt der dummdreisten Haushälterin<br />

Therese, sich allmählich in die geord<strong>net</strong>e Geisteswelt des Gelehrten einschleichen<br />

und ihn schließlich, um ihre Habgier zu befriedigen, aus seinem einzigen Besitz,<br />

der Bibliothek, vertreiben. Im zweiten Teil, der „Kopflosen Welt“, wird Kien in Gesellschaft<br />

der Wiener Unterwelt gezeigt. Immer noch von der Idee besessen, seine<br />

Bücher zu retten, verbindet er sich dem buckligen Zwerg Fischerle, der ihn seinerseits<br />

für die Verwirklichung seines Zieles, Schachweltmeister zu werden, benutzen zu<br />

können glaubt. Der dritte Teil zeigt schon durch seinen Titel „Welt im Kopf“ an, daß<br />

er so etwas wie eine Synthese der beiden vorhergehenden darstellt. Zwar gerät Kien<br />

hier vollends in die Hände seiner Haushälterin und des sadistischen Hausbesorgers<br />

Benedikt Pfaff, auch verrennt er sich immer tiefer in seine Wahnideen, doch wird in<br />

der Gestalt seines Bruders Georges, der in Paris als Psychiater lebt und, um ihm zu<br />

helfen, nach Wien kommt, eine humane Gegenfigur ins Spiel gebracht, die sich den<br />

Wahnwelten entgegenstellt, jedoch bei dem Versuch, Kien zu retten, scheitert. Der<br />

„Büchermensch“ verbrennt schließlich sich und seine Bibliothek im selbstgelegten<br />

Feuer.<br />

<strong>Ca<strong>net</strong>ti</strong> hat in seinem Essay „Das erste Buch: Die Blendung“ die realistischen Elemente<br />

dieser Fabel betont. So ist die Haushälterin Therese, die eigentliche Gegenspielerin<br />

Kiens, der Hausfrau nachgebildet, die dem jungen Autor im April 1927 in<br />

Wien ein Zimmer mit Blick auf „die von einer Mauer umgebene Stadt der Irren,<br />

Steinhof“, vermietete; „die erste Rede, die sie mir hielt, findet sich wörtlich im drittel<br />

Kapitel der ‚Blendung‘ über die Jugend von heute und die Kartoffeln, die bereits das<br />

doppelte kosten.“ Schon an diesem Hinweis läßt sich das Prinzip ablesen, auf Grund<br />

dessen <strong>Ca<strong>net</strong>ti</strong> seine Romanwelt entwirft. Er hält sich an die sprachliche Physiognomie<br />

des Individuums und zitiert, hierin Karl Kraus verpflichtet, dessen privates Lexi-<br />

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