Zwei von uns sind gestorben - AIDS-Hilfe Offenbach eV - Deutsche ...
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Das bedeutet, dass für 62 % <strong>uns</strong>erer KlientInnen mit HIV<br />
und <strong>AIDS</strong> zum einen das Leben in der Armut völlig neu akzeptiert<br />
und erlernt werden muss. Gleichzeitig leiden viele<br />
unter der Kränkung, nach einem erfüllten Berufsleben, vielfältig<br />
<strong>Hilfe</strong> zu benötigen und unter der Belastung, sich mit<br />
den diversen Ämtern und Hilfssystemen überhaupt zurecht<br />
zu finden.<br />
Bei beiden Gruppen, in denen Menschen zumindest seit<br />
Langem keine Arbeit haben, bestimmt nicht selten eine Sozialisation<br />
in das Grundgefühl „Ich bin ein Mensch, der im<br />
Leben immer zu kurz gekommen ist“ viele Inhalte der Beratung.<br />
Gleichzeitig kommt bei vielen zur eigentlichen Armut<br />
die Sozialisation zum/r <strong>Hilfe</strong>empfängerIn, verbunden<br />
mit einem schwach ausgebildeten Selbstbewusstsein, eigene<br />
Interessen selbst vertreten zu können.<br />
Nimmt man alle drei Gruppen zusammen, zeigt sich, dass<br />
„Armutsberatung“ qualitativ und quantitativ in <strong>uns</strong>erer Aids<br />
-<strong>Hilfe</strong> einen besonders hohen Stellenwert haben muss.<br />
Unter den äußerst vielfältigen Problemlagen der armutsspezifischen<br />
Beratung möchte ich die vier häufigsten<br />
Armutsprobleme hervorheben:<br />
- über 70 % der als arm zu bezeichnenden Menschen<br />
mit HIV und <strong>AIDS</strong> in <strong>uns</strong>erer <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong> geraten unterschiedlich<br />
häufig in finanzielle Notlagen und bitten<br />
um <strong>Hilfe</strong><br />
- über 50% dieser Menschen <strong>sind</strong> kontinuierlich oder<br />
zeitweise verschuldet<br />
- nahezu alle dieser Menschen beklagen Gefühle der<br />
Überforderung, der Hilflosigkeit und der Demütigung<br />
durch die bestehende Armut<br />
- über die Hälfte suchen inmitten dieser Schwierigkeiten<br />
sinnvolle Beschäftigung zur Verbesserung der Lebensqualität<br />
Wenn Armut in die Verelendung führt, kann sich das<br />
zeigen in:<br />
- Zunehmender Verschuldung verbunden mit Formen<br />
des „Abtauchens“<br />
- drohender Obdachlosigkeit, ungeordneter Ernährung<br />
und Kleidung<br />
- Kontakt-Abbruch zu Ambulanzen und Arztpraxen,<br />
Kontakt-Abbruch zu anderen Hilfseinrichtungen<br />
- Isolation und Selbstisolation auf Grund nicht mehr<br />
bezahlbarer früherer sozialer Verhältnisse<br />
- abnehmende Gesundheitspflege<br />
45<br />
- Compliance-Probleme innerhalb der Behandlung<br />
- abnehmende Umsetzung eigener Vorhaben<br />
- weniger Beziehungspflege<br />
- Strukturlosigkeit des Alltages<br />
- Sozialisation zur devoten Bittsteller-Haltung in Gesprächen<br />
Die Begriffe das „Neue <strong>AIDS</strong>“ (eine gut behandelbare,<br />
wenn auch nicht heilbare, schwere chronische Erkrankung)<br />
und das „Alte <strong>AIDS</strong>“ (eine kaum behandelbare,<br />
letztlich in absehbarer Zeit tödliche Erkrankung) spielen<br />
in der heutigen Fach-Diskussion eine zunehmende Rolle.<br />
In <strong>uns</strong>erer <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong> lässt sich beobachten, dass das<br />
„Neue <strong>AIDS</strong>“ mit der Abnahme <strong>von</strong> Einkommen, Bildungschancen,<br />
Selbstwert und folglich auch mit der Abnahme<br />
<strong>von</strong> Gesundheitsbewusstsein proportional wieder<br />
zum „Alten <strong>AIDS</strong>“ zu werden droht. Der Einfluss des<br />
Faktors Armut auf das Infektionsgeschehen und den<br />
Krankheitsverlauf wird in Zukunft noch <strong>von</strong> weit größerem<br />
Gewicht werden als er es ohnehin schon war und ist.<br />
Dieser Einfluss ökonomischer und sozialer Benachteiligung<br />
wird inhaltlich und didaktisch in die Präventions-, Beratungs-<br />
und Bildungsarbeit aufzunehmen sein, während<br />
sich dieser Beitrag im Folgenden mit der Armutsfrage unter<br />
Menschen mit HIV und <strong>AIDS</strong> beschäftigt, soll hier zur<br />
Präventionsarbeit nur soviel vermerkt sein: Auch in der<br />
Prävention müssen wir das stabile Management <strong>von</strong> Armutssituationen<br />
unter Wahrung der persönlichen Würde<br />
in das didaktische Gesamtkonzept mit aufnehmen.<br />
Der genannte Zusammenhang zwischen dem Infektionsund<br />
Krankheitsverlauf <strong>von</strong> <strong>AIDS</strong> und Armut gilt lokal<br />
wie global.<br />
Dass in der näheren Zukunft Formen des „Alten <strong>AIDS</strong>“<br />
für Millionen <strong>von</strong> Menschen in vielen Regionen Afrikas<br />
vorherrschend sein werden, das „Neue <strong>AIDS</strong>“ aber in den<br />
Großstädten Westeuropas vorherrschen wird, bestreitet<br />
wohl niemand.<br />
Aber auch in <strong>uns</strong>erem Beratungsalltag hat eine kleine Auswertung<br />
ergeben: Von den 14 der <strong>von</strong> <strong>uns</strong> begleiteten<br />
Menschen, deren Krankheits- oder Therapieverlauf ich als<br />
anhaltend kompliziert und immer wieder auch lebensgefährlich<br />
bezeichnen würde, hängt das bei 12 <strong>von</strong> ihnen unmittelbar<br />
mit einer Biografie und einem allgemeinen<br />
Gesundheitszustand zusammen, die viel weniger mit HIVspezifischen<br />
Aspekten zu tun haben als mit einem (Vor-)<br />
Leben in Armut, Instabilität und einem Mangel an persön-<br />
Alle 198 UNMitgliedsstaaten erklären, eigene Programme gegen die weitere Verbreitung<br />
<strong>von</strong> HIV zu entwickeln und zu finanzieren.<br />
2007 Lesung An<br />
dreas Steinhöfel<br />
("Die Mitte der<br />
Welt") in Zusam<br />
menarbeit mit dem<br />
Buchladen am<br />
Markt in Winter's<br />
Hotel <strong>Offenbach</strong>