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26 MEDIENMANN DES JAHRES<br />
Anlässlich des HORIZONT Award für Gabor Steingart verliest ARD-Moderator Tom Buhrow mal nicht die „Tagesthemen“, sondern die „Gaborschau“<br />
oben geführt. Jeder Chefredakteur muss Führung<br />
auch wahrnehmen“, sagt Steingart. Er sieht<br />
seinen Führungsstil als kooperativ. „Aber am Ende<br />
muss natürlich einer die Entscheidung fällen<br />
und die Verantwortung tragen.“ Und eine Zeitungsredaktion<br />
sei nun mal kein Ponyhof.<br />
Das gilt wohl auch für einen Verlag. Seit<br />
Anfang des Jahres hat Steingart seinen Radius<br />
vergrößert: Jetzt ist er Herausgeber der Zeitung<br />
(deren Chefredaktion hat er abgegeben an Hans-<br />
Jürgen Jakobs) und zugleich Vorsitzender der<br />
Geschäftsführung der Verlagsgruppe Handelsblatt<br />
(VHB), zu der auch die „Wirtschaftswoche“<br />
und Fachmagazine gehören. Außerdem übernimmt<br />
er einen Minderheitsanteil – Beobachter<br />
schätzen bis zu 5 Prozent – an der VHB. Nach<br />
dem fast dreijährigen erfolgreichen Schwenken<br />
der Piratenflagge hat er nun seinen Partner mit<br />
Schiff gefunden: Dieter von Holtzbrinck, laut<br />
Steingart ein „Alleinverleger aus dem gleichen<br />
Holz geschnitzt wie Augstein und Bucerius“.<br />
In allen wesentlichen Fragen der Verlagsführung<br />
sei er sich mit von Holtzbrinck einig,<br />
klar. Zum Glück, kann man da nur sagen, denn<br />
Steingart bezeichnet sich selbst als „manchmal<br />
auch etwas vorlaut“. Im Zeugnis der 11. Klasse<br />
stand: „Gabor erkennt keine Autoritäten an.“<br />
Jetzt also Herausgeber, Geschäftsführer und Gesellschafter.<br />
Die HORIZONT-Award-Jury wertet<br />
diesen Schritt als Bekenntnis zum Qualitätsjournalismus<br />
– auch und gerade als Geschäftsmodell.<br />
Bemerkt er schon eine Perspektivänderung<br />
durch seinen Rollenwechsel? Er interessiere sich<br />
jetzt stärker für die übrigen VHB-Titel, sagt<br />
Steingart, und für Vertrieb und Werbevermarktung:<br />
„Hier treibt mich die Frage um, ob unsere<br />
Anzeigenverkäufer verlagsintern wirklich ausreichend<br />
respektiert, motiviert und incentiviert<br />
sind.“ Denn Selbstbewusstsein und Respekt seien<br />
die Basis für alles. Auf die Aussage, dass Journalisten<br />
die besseren Verlagsmanager seien, mag<br />
er sich nicht festlegen. „Aber mit ihrem Verständnis<br />
für Inhalte können sie neue Ideen in die<br />
Verlagswelt hineinbringen“; es gehe um die<br />
Kombination aus journalistischer Kreativität<br />
und Ungeduld mit kaufmännischer Solidität.<br />
Kaufmännische Solidität. Als Chefredakteur<br />
durfte er in Redaktion, Digitales und Vertrieb<br />
investieren. Macht er das nun als Geschäftsführer<br />
zum Wohle der Rendite wieder rückgängig?<br />
Nein, sagt Steingart, „warum sollten wir die<br />
publizistische Stärke und das in Jahrzehnten aufgebaute<br />
Vertrauenskapital unserer Titel aufs<br />
Spiel setzen?“ Ja, der Verlag brauche Gewinn –<br />
aber nicht in erster Linie, um ihn auszuschütten,<br />
sondern „um in Wachstumschancen zu investieren“.<br />
Gleichwohl hat Steingart der VHB einen<br />
„Prozess der Transformation“ verordnet, der<br />
mancherorts Stellen schafft und woanders Stellen<br />
abbaut. Das Ziel sei die Beschleunigung der<br />
Abläufe und mehr Kundennähe: „Viele deutsche<br />
Verlage wirken auf mich, als hätte man versucht,<br />
eine DDR en miniature nachzubauen.“<br />
Um die Zukunft der Zunft ist ihm nicht<br />
bange, solange die Macher ihr Handwerk verstehen<br />
(„Nur eine kritische Zeitung ist eine gute<br />
Zeitung“). Das Wort „Zeitung“ beschreibe das<br />
Festhalten der Zeit, das Durchdringen des eben<br />
Geschehenen. „Die Zeitung ist also eine Seh- und<br />
Verstehhilfe, deshalb wird sie auch nicht sterben“,<br />
sagt Steingart: „Was wir derzeit erleben, ist<br />
die Übertragung des Prinzips Zeitung auf neue<br />
technologische Trägermedien.“ Gerade Wirtschaftsinformation<br />
sei ein „Wachstumsmarkt<br />
par excellence“, sagt er mit Blick auf Bloomberg,<br />
„The Wall Street Journal“ und „Economist“.<br />
Vorbilder, die ihn ermuntern und anregen: „Das<br />
Verzagtsein ist in der Verlagsgruppe Handelsblatt<br />
künftig verboten.“ Da kann man nur hoffen,<br />
dass bei dieser wohltuenden Zuversicht<br />
nicht Steingarts größte Schwäche Regie führte,<br />
die er im HORIZONT-Porträt zu Protokoll gab:<br />
„Ein Optimismus, der sich auch durch Fakten<br />
nicht erschüttern lässt.“ ROLAND PIMPL<br />
AUFLAGENWACHSTUM GEGEN DEN TREND UND NEUE GESCHÄFTSIDEEN<br />
Cover des „Handelsblatt“<br />
Prämiert wird Gabor Steingart, der zu Jahresanfang<br />
den Vorsitz der Geschäftsführung der Verlagsgruppe<br />
Handelsblatt übernommen hat, ausdrücklich<br />
für seine journalistische Leistung. Unter<br />
seiner Leitung etablierte sich das „Handelsblatt“<br />
als einer der meinungsstarken Agendasetter im<br />
Land und ist ein Beispiel dafür, wie wirkungsstark<br />
engagierter Journalismus nach wie vor ist. Gleichzeitig<br />
gilt Steingart als ein Chefredakteur, der die<br />
Digitalisierung in hohem Tempo vorantreibt.<br />
Als einer der wenigen Titel in den Segmenten<br />
Wirtschaftspresse und Tageszeitungen konnte<br />
das „Handelsblatt“ seine verkaufte Auflage erneut<br />
steigern: Im 3. Quartal 2012 (die<br />
Daten des 4. Quartals waren bis Redaktionsschluss<br />
noch nicht verfügbar)<br />
stiegen die Verkäufe leicht auf<br />
137725 Stück. Die „hart“ verkaufte<br />
Auflage (Abo und Einzelverkauf) stieg<br />
gegenüber Vorjahr sogar um 2,1 Prozent<br />
auf 86274 Exemplare. Mit seiner<br />
Website kam der Titel auf 2,3 Millionen<br />
Unique User (Oktober 2012).<br />
Laut Steingart hat die Verlagsgruppe<br />
Handelsblatt 2012 „einen nicht üppigen,<br />
aber doch ordentlichen Millionengewinn<br />
erzielt“. Diese Aussage<br />
umfasst nicht nur die Zeitung, sondern<br />
die gesamte Gruppe in Düsseldorf<br />
mit „Wirtschaftswoche“, Fachmedien<br />
und Kongressen.<br />
In diesem Jahr stehen der Ausbau<br />
der Marktforschungs- und Kongressaktivitäten<br />
auf der Agenda.<br />
Und Ende Februar kommt die App<br />
„Handelsblatt live“ als digitale<br />
Zeitung dreimal pro Tag. Die Website<br />
soll künftig vor allem junge Zielgruppen<br />
ansprechen.<br />
HORIZONT MAGAZIN JANUAR 2013