Ausgabe 06 - Goethe-Universität

Hannes Ahbe: Die Kunst, einen Tag zu fliehen
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Auf den unteren Kabinendecks kommt es während der Fahrt zu vielen Begegnungen zwischen
den Passagieren. Viele Gruppen finden sich hier spontan zusammen und bilden eine eigene
Kleingemeinschaft während der Schiffsreise. Auch einsame Passagiere finden hier schnell Zugang
zu anderen Einzelgängern und Kleingruppen. In den oberen Kabinen sind dagegen die „unkontrollierbaren“
Zustände seltener zu beobachten.
Die Kabinen werden mitunter als Zuhause oder Haus an Bord bezeichnet: „because when you're on
the boat, the cabin is like your home on the boat“ 89 . Sie sind Orte des Anfangs, Treffpunkte, aber auch
ein sicherere Orte des Rückzuges. Sie sind Orte in welchem das förfest 90 stattfindet. Kleingruppen
die gemeinsam an Bord sind neigen während des Abends zur Segregation. Die Kabine ist der
einzige feste Bezugspunkt für alle Reisenden. Grade wenn auf See die Mobiltelefonnetze ihren
Dienst einstellen, bekommen die Kabinen ihren Charakter als wichtiger Treffpunkt. Nach dem
Bezug des Hauses an Bord finden sich (Groß-)Gruppen, die durch die Kabinenaufteilung getrennt
waren, in einer Kabine wieder zusammen. Dabei lässt sich oft eine spezielle Aneignung der
Kabinen durch die Passagiere beobachten. So kommt es häufig vor, dass viele Reisende zu acht
oder mehr in einer Kabine sitzen um dort zu trinken, singen, sitzen oder lagern. Dabei stört es
scheinbar niemanden, dass der Platz im Kabinenraum gar nicht ausreichend ist.
Der Kabine wird aber auch eine Art kommunikative Funktion über das Kleingruppenbefinden
zugeschrieben. Dabei stellt die offene Kabinentür für die Schiffsgemeinschaft eine Einladung
zum andocken 91 dar. Eine geschlossene Kabinentür signalisiert demgegenüber Distanz und Privatheit.
Außerdem wird bei geöffneter Kabinentür häufig automatisch mit den vorbeilaufenden
Personen kommuniziert. Einmal begonnene Gespräche enden häufig in längerem Austausch. Oft
werden die Außenstehenden zu einem Drink in das Kabineninnere eingeladen. Auf den Fluren,
die in den vielen Fällen über die komplette Schiffslänge reichen und welche dadurch komplett
eingesehen werden können, sitzen und lagern während der Fahrt viele Passagiere auf dem Boden.
Im Verlauf der Reise wird vor allem in den unteren Kabinen die ritualisierte Regelübertretung
praktiziert. Dort wird in den Kabinen und Fluren geraucht, getrunken und gelärmt. Hierbei werden
die ersten drei obligatorischen Regeln des Hauses ständig überschritten 92 . Obwohl den Delinquenten
empfindliche Geldstrafen in Aussicht gestellt werden (1200 Kronen 93 bei Verstoß
gegen die in der Fußnote erwähnten Regeln, sowie die Konfiszierung von Alkohol und in Extremfällen
gar der gesamten Kabine), finden ständige Regelüberschreitungen statt. Das steigert
sich mit zunehmendem Alkoholkonsum. Der an Bord befindliche Sicherheitsdienst wird dabei
unfreiwillig zum Erfüllungsgehilfen der Gäste, da dieser die Einhaltung der Regeln nicht durchsetzten
kann: „Dont worry, they cant do anything“ 94 .
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89 Aus der Gruppendiskussion.
90 Eine in Schweden übliche Version des Vorglühens. Nähere Beschreibung und dessen Funktion findet sich weiter
unten in dieser Arbeit.
91 Um mal bei einer maritimen Metapher zu bleiben.
92 Die drei Pflichten des Passagiers werden diesem auf einer gut lesbaren Tafel im Kabineninneren mitgeteilt. Darin
heißt es: „1) Smoking in the cabins and corridors is forbidden. Smoking is only allowed in the designated smoking
areas. 2) The consumption of alcohol in the cabins, corridors and public spaces is forbidden, however you
most welcome to drink in the ship’s restaurants and bars! 3) Please be considerate of your fellow passengers and
maintain peace and quiet in the cabins and corridors.“ (Von der Hinweistafel: Välkommen till er hytt! Welcome
to your cabin! aus einer der Kabinen der Cinderella)
93 Ca. 140-150 €.
94 Aus einer Feld- und Gesprächsnotiz, Fahrt 1.
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