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Ausgabe 06 - Goethe-Universität

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Hannes Ahbe: Die Kunst, einen Tag zu fliehen<br />

57<br />

nach sehr engem Kontakt an Bord an Land nicht mehr wiedersieht. Daher bleibt auch ein eventuell<br />

unmoralisches (oder sogar unrechtes) Handeln während der Überfahrt an Land ungesühnt.<br />

Mit der Angst vor der Anonymität ist grundsätzlich gemeint, dass jeder jeden im Unklaren über<br />

die eigene Identität lassen kann. Der Passagier sieht sich nicht im Stande an Bord Rückschlüsse<br />

über sein Gegenüber zu ziehen. Die entstehende Skepsis ging auch (wie in Kapitel 3 gezeigt) an<br />

mir nicht vorüber. So durfte ich teilweise die Erfahrung machen, dass meine Geschichte zur Disposition<br />

stand.<br />

Zeitlichkeit<br />

Die Schiffsreisen werden tendenziell als (Kurz-)Urlaub erfahren. Eine Funktion des Urlaubs ist<br />

es, die „Zeitrhythmen“ (Hennig 1999: 44) außer Kraft zu setzten. Das spielt an Bord eine wichtige<br />

Rolle. Hier aber in entgegensetzter Richtung. Grundsätzlich scheint Zeit im Urlaub ein unendliches<br />

und absolutes Gut (ebd.). Auf dem Schiff ist sie aber Mangelware. Die zeitlichen Regelmäßigkeiten<br />

des Alltags, werden durch den straffen Zeitplan, welcher an Bord vorherrscht verschärft.<br />

Ausdruck und Sprachrohr dieser neuen Zeitlichkeit ist das Lautsprechersystem, welches<br />

den Passagier permanent über den Zeitplan informiert und ihn zum Handeln auffordert. Es<br />

scheint fast so, als bestimme der Lautsprecher das Leben an Bord. Dieser teilt mit, wann gegessen,<br />

getrunken, geschlafen, gefeiert oder eingekauft wird. Damit wird die Zeit an Bord fast schon<br />

zu einem „quasi-materiellen“ (ebd.) und kostbaren Gut. Im Gegensatz zu einem richtigen Urlaub<br />

rückt die Zeitknappheit hier in den Mittelpunkt.<br />

Ver-rückt (crazy)<br />

Außerdem wird auf eine generelle Veränderung der Personen und der Persönlichkeit auf dem<br />

Schiff angespielt. „(...)You like, ja, transform into another(...)“ 215 . Diese Transformation wird aber zumeist<br />

als durchaus verrückt oder „crazy“ dargestellt. Es gilt keineswegs als problematisch, da jeder<br />

an Bord diesen Verwandlungsprozess durchmacht. „(...)Yeah, but everybody is just going crazy(...)“.<br />

Hierbei wird von den Teilnehmern hauptsächlich der Alkohol als Katalysator des Prozesses gesehen.<br />

Auch wird über eine Veränderung der Mentalitäten (Daun 1996) gesprochen. Was ich auf<br />

diesem Schiff nicht feststellen konnte, waren die typischen Stereotype zur schwedischen Mentalität.<br />

Allen voran Daun, Britten-Austin und Phillips-Martinsson haben den Schweden eine strukturelle<br />

Konfliktscheue, Kontaktscheue und Verschlossenheit vorgeworfen (Daun 1996; Phillips-<br />

Martinsson 1991; Britten-Austin 1969). Aber nicht nur die renommierten Wissenschaftler, sondern<br />

auch die Teilnehmer der Gruppendiskussion haben sich als Ethnologen versucht. Sie wissen<br />

über die Schweden zu berichten. Diese seien kühl, introvertiert und nicht so kontaktfreudig 216<br />

sind. Diese Eigenschaften konnte ich während meines Aufenthalts an Bord bei den Anwesenden<br />

nicht feststellen. Eher das Gegenteil war der Fall. Die Passagiere waren zuvorkommend, offen,<br />

freundlich und auskunftsbereit. Dabei scheint es, als würden die nordeuropäischen Eigenschaften<br />

an Bord in südeuropäische Lockerheit gewandelt „(...)its more like summer then winter on the boats.<br />

summer all the(...)“ 217 . Dabei stand auch zur Diskussion, dass die Mentalitätsveränderung nicht nur<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

215 Gruppendiskussion.<br />

216 In der Gruppendiskussion wurden die Schweden außerdem als kühl, emotionslos und unsozial beschrieben und<br />

mit der kühlen Jahreszeit Winter assoziiert.<br />

217 Ebd.<br />

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