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Ausgabe 06 - Goethe-Universität

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Hannes Ahbe: Die Kunst, einen Tag zu fliehen<br />

56<br />

und Konventionen der real world scheinen während des temporären Aufenthaltes nicht mehr zu<br />

gelten. Dies drückt sich beispielsweise im Hintergehen des Partners oder gar der Familie aus 211 .<br />

Das passiert nicht nur auf Seiten der Passagiere, sondern wie erwähnt auch im Umfeld der Mitarbeiter<br />

212 . Es gibt aber auch Passagiere, die damit offensiv umgehen wie die drei jungen Frauen<br />

Angelika, Anna und Emma zum Beispiel. Dabei wird häufig das Hintergehen des Partners ebenso<br />

als Flucht aus der Realität verstanden. Hingegen scheinen in Bezug auf das Schiff spezielle<br />

Regeln zu gelten, welche es wiederrum einzuhalten gilt. Sie erleichtern gleichzeitig die Abgrenzung<br />

von der Realität. So wird gewissermaßen Geheimniskrämerei um die Aktivitäten an Bord<br />

geführt: „What happens on the boat stays on the boat“. Dies gilt als allgemeiner Terminus und anerkannte<br />

Regel an Bord und wird von den meisten Teilnehmern der Fahrten geteilt. Auch lässt dich<br />

diese Losung als Integrationsinstrument verstehen. Es hat eine gewisse zusammenschließende<br />

Wirkung und verschwört die Gemeinschaft .<br />

Hierarchiefreiheit und Gemeinschaft<br />

Ausdruck der neuen Ordnung ist außerdem eine Gemeinschaft ohne soziale Hierarchie: „Everybody<br />

is the same“. Die externe soziale Struktur der Gesellschaft wird zugunsten einer temporären,<br />

nicht ganz so hierarchischen Gemeinschaft( Tönnies 2012) aufgehoben: „there is no hierarchy among<br />

the passengers“. Zwar spiegelt in gewisser Weise die horizontale Anordnung der Kabinentypen die<br />

gesellschaftliche Stellung des Passagiers in der real world wieder. Dennoch findet sich hier nicht<br />

immer ein Zusammenhang. So kommt es durchaus im Sinne einer rituellen Statusumkehr 213<br />

(Turner 2005) und eines Rollenwechsels (Gottlieb 1993) vor, dass Passagiere mit gesellschaftlich<br />

niedrigerem Status gewissermaßen temporär in der Kabinenhierarchie über einem Statushöherem<br />

leben. Grundsätzlich wird aber festgestellt, dass die Kabinentypen für den Umgang miteinander<br />

keine Rolle spielen. So hat während der Reise für die Passagiere jemand aus dem lower car deck<br />

keinen niedrigeren sozialen Rang oder Status als jemand aus dem oberen Kabinentrakt. Es ist für<br />

die Passagiere ein zu vernachlässigendes Kriterium, wo auf dem Schiff der Passagier lebt 214 . Außerdem<br />

ist die egalisierende Funktion der uniformen Kabinen Ausdruck einer temporären sozialen<br />

Gleichheit an Bord. Die fehlende Autorität an Bord ist ebenfalls Ausdruck gewandelter Ordnung.<br />

Zwar existiert ein Sicherheitsdienst an Bord doch hat dieser mehr beaufsichtigende als<br />

regulierende Funktion. Daher kann er als Symbol eines geschwächten Gewaltmonopols angesehen<br />

werden. Merkmal der Gemeinschaftlichkeit ist die während der Fahrt entstehende Geselligkeit.<br />

Sie darf genau wie der Alkohol als Katalysator der Gemeinschaft verstanden werden.<br />

Anonymität<br />

Ein weiteres Strukturelement der neuen Ordnung ist vor allem die Anonymität im Sinne einer<br />

Rollenumkehr im Spiel (Hennig 1999: 86). Es wird häufig berichtet, dass die Teilnehmer und<br />

Passagiere Rollen einehmen um ihr wahres Ich verbergen. Auf dem Schiff ist jeder anonym<br />

„(...)you are like anonymous on the boats (...)“. Das spiegelt auch die Angst wieder belogen zu werden.<br />

Die Anonymität wird von den Passagieren hinlänglich durch den Umstand erklärt, dass man sich<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

211 Das dies passiert wurde mir in einigen Erzählungen bestätigt.<br />

212 Nach Aussagen der beiden Mitarbeiterinnen mit denen ich ein Gespräch führen konnte.<br />

213 Ich verweise auf Teil III.<br />

214 Jedenfalls habe ich nie erlebt, dass jemand danach fragt wo auf dem Schiff man wohnt.<br />

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