Ausgabe 06 - Goethe-Universität
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Hannes Ahbe: Die Kunst, einen Tag zu fliehen<br />
66<br />
auffälliger agieren als die Partygänger und Alkoholtouristen. Es ist die Gruppe der Sozialschwächeren<br />
und die Gruppe Einsamen 248 .<br />
Grundsätzlich war ich verblüfft, wie offen sich die Passagiere mir gegenüber verhielten. Die Offenheit<br />
war auch gleichzeitig Ausdruck der Offenheit untereinander in der Schiffsgemeinschaft.<br />
Wie wir im Fall von Magnus und Viki gesehen haben, funktioniert das Schiff für sie in erster Linie<br />
als Dating-Plattform, um andere Singles kennenzulernen, die ihr einsames Schicksal teilen.<br />
Vor allem für die Gruppe der zwischen 40 bis 60 Jährigen besteht ein erhöhter Bedarf an Verhandlungsraum<br />
für Bekanntschaften und Kontakte. Häufig werden gesellschaftliche Räume, in<br />
denen dies zwanglos möglich ist nur jüngeren Mitgliedern der Gesellschaft zur Verfügung gestellt.<br />
Das Schiff stellt also einen Raum zum Kennenlernen und Etablieren von Beziehungen dar.<br />
Diese können auch nur für eine Nacht oder bis zum Nächsten Tag andauern. Magnus nutzt nebenbei<br />
die Boote, um der Langeweile seines Zuhauses zu entfliehen („Coming when its a boring weekend<br />
249 ). Ich habe festgestellt, dass das Schiff ein Ort ist, an dem das Suchen nach einem Partner<br />
nicht als pinsamt 250 aufgefasst wird. Es ist unproblematisch, jemanden anzusprechen. Das Schiff<br />
ist ein Ort, an dem diese Devianz Alltag und Normalität zu sein scheint. Dabei erscheint es in<br />
erster Linie interessant, dass die aufgebaute Beziehung im Sinne der Vergemeinschaftung an Bord<br />
erst mal zwanglos ist (Hennig 1999: 49). Sie weniger komplex und dadurch wird dadurch auch als<br />
näher erfahren (ebd). Vor allem denke ich, dass unter der besonderen Berücksichtigung der<br />
schwedischen Mentalität der Raum Schiff dazu führt, dass die Passagiere ein stärker aus sich herauskommen.<br />
Die Gruppendiskussion mit den vier jungen Frauen hat gezeigt, wie die Schweden<br />
sich selbst sehen: kalt, kühl und sozial-verschlossen. Dies sieht auch der schwedische Ethnologe<br />
Åke Daun ähnlich. 251 Daun argumentiert, dass ein Großteil der schwedischen Bevölkerung<br />
schüchtern und verschlossen sei. Auf dem Schiff kommt es kurioserweise während der Fahrt zur<br />
Auflösung dieser Kontaktscheue. Er weißt außerdem darauf hin, dass die „shyness“ durch Alkohol<br />
eine Auflösung erfährt (Daun 1996: 51). Dennoch scheint aber nicht nur der Alkohol, sondern<br />
vor allem der Raum des Schiffes diese Lockerheit zu ermöglichen. Der spezielle Raum, in<br />
dem sich die Passagiere befinden, wirkt als Gegenwelt. Diese wirkt Bezug auf Beziehung als zu<br />
beginn komplexitätsreduzierend und dadurch unkomplizierter was den Erstkontakt vereinfacht.<br />
Der Schiffsaufenthalt scheint wie ein Urlaub. Dieser Umstand ermöglicht eine hohe Kontaktdichte<br />
was die Beziehungsaufnahme zusätzlich erleichtert. So ist schließlich vor allem die touristische<br />
Erfahrung des Urlaubs eine Abkehr von „gewöhnlichen Verhaltensvorschriften“ (Hennig<br />
1999: 50). Hiervon profitieren Personen wie Magnus und Viki. Sie können die Schiffe nutzen,<br />
ohne im Beziehungsnetz an Bord wirkliche Fehler zu begehen, die ihnen unangenehm sein müssten.<br />
Das Ausprobieren verschiedener Strategien der Kontaktaufnahme durch das Spiel, sowie der<br />
Wechsel von Rollen und Identitäten vereinfacht das Herstellen von Beziehungen. Dies wirkt sich<br />
insgesamt positiv auf die Beziehungen an Bord aus. Magnus hatte zum Beispiel einen genauen<br />
Plan im Kopf, mit welcher Strategie er bei der Kontaktaufnahme vorgehen soll. Am Abend unse-<br />
!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />
248 (1) Entnehme ich aus der Passagier-Kategorisierung. Hier ist aber eine gesellschaftlich vereinsamte Person gemeint.<br />
(2) Das heißt nicht, dass es auch einsame und sozialschwache Alkoholtouristen oder Partygänger gibt.<br />
249 Protokoll 1 Magnus.<br />
250 Deutsch: peinlich.<br />
251 Vergleiche hier auch nochmal die Studie von svensk mentalitet, Swedish Mentality. (Daun 1996) Dauns empirische<br />
Studie ist neben empirischen Material vor allem von privaten Eindrücken geprägt. Daun argumentiert, dass<br />
neben historisch-gesellschaftlichen Transformationen auch das nordische Klima einen verschlossenen Charakter<br />
prägt.<br />
!