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Ausgabe 06 - Goethe-Universität

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Hannes Ahbe: Die Kunst, einen Tag zu fliehen<br />

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res Zusammentreffens, war es jedoch nicht so einfach für ihn („Its hard to talk to a women when there<br />

are so many companies on bord. They just talk to their colleagues“ 252 ). Daran änderte auch die große Menge<br />

Whiskey nichts, die er an dem Abend trank. Dennoch bestätigten mir Magnus und Viki, dass<br />

beide im Finden von Partnern generell erfolgreich waren. Durch die erfolgreiche Herstellung von<br />

Beziehungen, beispielsweise durch Flirt oder Ansprechen, wechseln die Betreffenden auch<br />

gleichzeitig ihren Status innerhalb der Passagierstruktur 253 .<br />

Auf einer meiner Reisen habe ich Johann kennengelernt. Ein junger Mann, 24, der häufig allein<br />

die Schiffe besucht. Er war nicht sehr gesprächig, dennoch so auskunftsbereit, dass er mir erzählte,<br />

dass er nicht viel Erfolg bei Frauen habe. Er nutzte daher die Schiffe in regelmäßigen Abständen,<br />

weil es ihm dort möglich sei, ungezwungen zu flirten. Dabei kommt es häufig vor, dass er<br />

jemanden kennenlernte, der das gleiche Schicksal wie er selbst teilte 254 .<br />

Dass das Schiff ein riesiger Beziehungsraum ist, wurde nicht zuletzt am Beispiel von Anna, Emma<br />

und Angelika deutlich. Die Drei nutzten die Schiffe um einen Partner kennenzulernen. Dabei<br />

ist aber die Beziehung, die sie zu ihren potentiellen Partner aufbauten, in der Form nur auf den<br />

Schiffen möglich. Hierbei geht es darum, dass die Gegenrealität des Schiffes Beziehungen zulässt,<br />

welche von gegenwärtigen Moralvorstellungen an Land weit entfernt sind. Von ähnlichen Phänomenen<br />

berichteten mir auch die beiden Mitarbeiterinnen. Die Wirkung des Schiffes als<br />

Fluchtmöglichkeit (in eine Parallelwelt), war für ihre Kollegen mitunter so groß, dass diese parallele<br />

(partnerschaftliche) Beziehungen zu ihren Partnern an Land führten 255 .<br />

Wie sich im Fall von Caroline zeigte erfüllte das Schiff gleichzeitig mehrere Funktionen. Neben<br />

der Tatsache, dass sie ihr Leben zu Hause, wo sie keinen stabilen Freundes- und Familienkreis<br />

hatte, nicht mochte, ist sie zu allem Überfluss auch noch von Arbeitslosigkeit betroffen. Dabei<br />

erfüllte Caroline überhaupt keine Anforderungen einer klassischen Schiffspassagierin, sie trank<br />

gar keinen Alkohol. Trotzdem war sie ein Dauergast an Bord. Dies resultiert ebenfalls aus der<br />

speziellen Gemeinschaftsform, die auf den Schiffen vorherrscht. Das Schiff 256 bezeichnete sie als<br />

ihre Familie 257 und meint damit neben den Besatzungsmitgliedern, welche sie mitunter beim Namen<br />

nennen konnte auch das Publikum der Passagiere an Bord. Wenn sie von ihrer Heimat im<br />

mittleren Westen Schwedens erzählte, schien es so, als sei das Schiff das Zentrum ihrer gelebten<br />

Sozialität. Das Schiff half ihr daher über die Einsamkeit ihres Alltages hinweg und stellte einen<br />

Raum für neue Beziehungen dar. Dabei schwärmte sie wie einfach es an sei Bord jemanden kennenzulernen.<br />

An Land sei dies deutlich schwieriger. Obwohl sie den Alkoholrausch verurteilte,<br />

war auch für sie das Fest am Abend emotionaler Höhepunkt der Reise. Die wichtigste Aktivität<br />

war das Tanzen mit Fremden. Auf einer finanziellen Ebene profitierte sie von den günstigen Busund<br />

Fährtickets. Diese erlaubten ihr fast kostenfrei nach Stockholm zu reisen um ihre Schwester<br />

zu besuchen 258 . Es war aufgrund ihrer schwierigen ökonomischen Lage nicht einfach für sie an<br />

kulturellen Aktivitäten teilzunehmen. Der Rückbau des schwedischen Wohlfahrtsstaat (Tuchten-<br />

!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!<br />

252 Protokoll 1.<br />

253 Es ist daher Möglich von der Gruppe der Einsamen in die Gruppe ‚in Begleitung’ zu wechseln.<br />

254 Protokoll 2.<br />

255 Mit Gästen oder Kollegen untereinander.<br />

256 Sie ist immer nur auf der Cinderella unterwegs.<br />

257 Was darauf hinweist, dass sie den Umgang auf dem Boot als gemeinschaftlicher und näher empfindet, als den<br />

Umgang in der real world.<br />

258 Und wird damit zum Nutznießer.<br />

!

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