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wenn die Menschen nicht mehr träumen würden? Ich halte es für eine<br />
Schande, dass so viele Menschen in Unfrieden leben müssen. Das hat<br />
niemand verdient.<br />
O: Ist dein Leben friedlich und erfüllend?<br />
MG: Ja, ich empfinde es so. Ich bin momentan sehr glücklich. Ich fühle<br />
mich erfüllt und komplett. Und das führt auch dazu, dass das neue Album<br />
lyrisch über weite Strecken sehr positiv ausgefallen ist. In mancherlei<br />
Moment beißt sich der Inhalt richtig mit der Musik, denn die Musik ist<br />
teils sehr bluesig. Und der Blues thematisiert ja üblicherweise Kummer,<br />
Schmerz und Depression. Aber ich hatte große Lust, Blues-Elemente in<br />
diesen ungewohnten Kontext zu stellen.<br />
O: In einem Track wie Slow ist das zum Beispiel der Fall. Stilistisch ein Blues,<br />
doch in den Lyrics geht es um...<br />
MG: ... Sex. (lacht) Nennen wir das Kind doch beim Namen. Slow ist ein<br />
gefühlvoller, erotischer Song über die Freude am Vögeln. Manchmal liegen<br />
die Dinge ganz einfach.<br />
O: Fällt es dir als Brite nicht schwer, über Sex zu schreiben?<br />
MG: Nö. Wenn du so etwas erst mal anfängst zu schreiben, dann fließt der<br />
kreative Saft schon wie von selbst und auf sehr natürliche Weise. Also, ich<br />
fand das überhaupt nicht schwierig oder gar peinlich.<br />
O: Angel ist auch so ein Beispiel: ein musikalisch recht intensives, heftiges<br />
Lied. Im Text geht es aber, wie du bereits erwähntest, um Liebe und Frieden.<br />
MG: Richtig. Wobei ich betonen möchte, dass so etwas nicht durchgeplant<br />
ist. Ich sitze nicht da und denke: „So, düstere Melodie, mache ich mal einen<br />
schönen Text dazu.“ Das geschieht alles sehr natürlich, es entwickelt sich so<br />
auf Grundlage der Skizzen.<br />
O: Das Album beginnt in Welcome To My World mit krassen Zeilen:<br />
„I penetrate your soul/I bleed into your eyes.“ Da kriegt man ja fast ein<br />
bisschen Angst. Was hat dich bei dem Stück geritten?<br />
MG: Muss ich das verraten? Grundsätzlich kann man die Songs in Kategorien<br />
zusammenfassen – einige befassen sich mit Religion, andere mit der Liebe<br />
oder deren Fehlen, weitere mit dem Tod. Das ist so die Ausgangslage, viel<br />
mehr Schubladen gibt es bei mir nicht. Dave hat einmal gesagt, dass ich in<br />
meinem gesamten Leben bloß drei Songs geschrieben hätte. Ich wäre bloß<br />
sehr gut darin, diese Songs wieder und wieder neu zu verpacken und frische<br />
Schleifchen darum zu binden. Nun, da hat er bis zu einem gewissen Grad<br />
recht. Die Lieder handeln immer von den gleichen Dingen, ich verändere<br />
höchstens mal den Blickwinkel.<br />
O: Würdest du gern noch einen vierten Song schreiben?<br />
MG: Nein, mir reichen meine drei Kategorien. Wenn ich jetzt anfangen<br />
würde, Songs zu schreiben, hinter deren Worten ich nicht stehe oder die<br />
mir einfach nichts bedeuten, dann wäre das doch Mist. Das will ich nicht.<br />
O: Lächeln musste ich bei My Little Universe. Die Musik klingt so verspielt,<br />
unschuldig, kindlich. Dazu singst du: „Here I am king/I decide everything.“<br />
Ist mit „My little universe“ dein Studio in Santa Barbara gemeint?<br />
MG: (lacht) Das könnte sogar sein. Ist aber nicht so. An mein Studio habe<br />
ich beim Texten nicht gedacht.<br />
O: Sondern?<br />
MG: Verrate ich nicht. Ich finde es doof, diese inhaltlichen Details und<br />
Informationen mit den Hörern zu teilen. Das ist ein unnötig restriktiver<br />
Umgang mit Kunst. Denn dann können sie nicht mehr selbst träumen und<br />
assoziieren, so wie du gerade mit meinem Studio. My Little Universe ist ein<br />
interessantes Lied. Es war bereits vom Album geflogen, dann haben wir es<br />
noch mal ziemlich radikal bearbeitet und verändert. Am Ende ist es ein<br />
außergewöhnlich schlichtes Lied und sogar einer meiner Lieblingssongs des<br />
Albums.<br />
O: So ganz allgemein: Bist du eher Optimist oder Pessimist?<br />
MG: (zögert) Ich denke, ich war früher eindeutig ein Pessimist. Auf alle<br />
Fälle war ich klar pessimistischer als heutzutage. Heute bin ich weitaus mehr<br />
Optimist als Pessimist.<br />
O: Woran liegt das?<br />
MG: Ich schließe nicht aus, dass das etwas mit dem vorgerückten Lebensalter<br />
zu tun hat, in dem ich nun angekommen bin. So genau weiß ich es selbst<br />
nicht. Ich halte es jedoch für eine angenehme Entwicklung, nicht mehr<br />
dieser Miesepeter zu sein wie früher.<br />
O: Gibt es außer dem Älterwerden noch Ursachen dafür, dass du das Leben<br />
heute positiver betrachtest?<br />
MG: Das Älterwerden ist einer der Gründe. Es kommt zudem auch immer<br />
darauf an, wie deine Lebenssituation gerade aussieht. Wo du im Leben<br />
stehst. Und mir geht es zurzeit echt verdammt gut.<br />
O: Du genießt dein Leben also auch außerhalb von <strong>Depeche</strong> <strong>Mode</strong>?<br />
MG: Ja, ich bin auch jenseits von <strong>Depeche</strong> <strong>Mode</strong> sehr glücklich. Ich<br />
habe ein schönes Leben und genieße es zum Beispiel, Vater zu sein. Auch<br />
künstlerische Ausflüge wie das gemeinsame Album mit Vince Clarke<br />
machen mir viel Freude. Aber auch innerhalb von <strong>Depeche</strong> <strong>Mode</strong> bin ich<br />
glücklich. Wir setzen uns nicht mehr unter Druck oder zeitlichen Stress, das<br />
kommt unserer Stimmung sehr zugute. In den kommenden 16 Monaten<br />
freilich werde ich wenig Möglichkeiten zur Muße haben. Wir werden sehr<br />
viel arbeiten und sehr viel live spielen. Das mag ich. Ich habe die letzte Tour<br />
so richtig genossen.<br />
O: Zu Beginn jener Tournee musste Dave ein Blasentumor entfernt werden.<br />
Wie groß war der Schreck?<br />
MG: Der Schreck war schon sehr groß. Wir waren alle fit und – so dachten<br />
wir – gesund. Und dann geschieht so etwas. Diese Art von Drama hätte<br />
es wirklich nicht gebraucht. Andererseits muss man sagen: Dieser Tumor<br />
war eigentlich der erste große medizinische Vorfall, der je bei einer unserer<br />
Touren passiert ist. Hoffentlich läuft diesmal alles glatt.<br />
O: Na ja, es gab schon noch mehr Dramen. Man denke nur an Gahans<br />
Heroinüberdosis und seinen Herzstillstand.<br />
MG: Okay, du hast recht. Wir hatten auch schon Tourneen, bei denen<br />
Drogenkonsum hinter den Kulissen ein großes Problem war. Zum Glück<br />
liegt das bereits sehr weit in der Vergangenheit, bald 20 Jahre. Oder dass Alan<br />
uns verlassen hat. 1995 war das. Ewig her. Diese Ereignisse verschwinden<br />
allmählich im Nebel.<br />
O: Apropos „Nebel“: Du hast jahrelang tendenziell zu viel Alkohol getrunken<br />
und bist seit sieben Jahren trocken. Vermisst du den gelegentlichen Drink?<br />
MG: Stimmt, vor sieben Jahren habe ich mit dem Trinken aufgehört. Das<br />
46 - <strong>Orkus</strong>!